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Fahrplan zur Fiskalunion gesucht

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Politik

EFSF-Hebel bringt nur Verdoppelung - Griechenlandkredit vor der Freigabe.


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Brüssel. Das Zeitfenster zur Lösung der Eurokrise wird immer kleiner. Die Staats- und Regierungschefs suchen ihr Heil jetzt offenbar in der "Fiskalunion". Pünktlich vor dem Treffen der Eurofinanzminister am Dienstag meldeten sich die Ratingagenturen zu Wort und drohten Frankreich und zahlreichen Banken mit Abstufungen. Gleichzeitig stiegen die Zinsen für Europroblemländer auf den Finanzmärkten weiter an.

Dennoch mussten sich die Eurofinanzminister bei ihrem Treffen am Abend darauf beschränken, weitere Mosaiksteine zur Rettung der Gemeinschaftswährung dazuzulegen. Der Hebel für den Euroschirm EFSF und die Freigabe der nächsten Notkredittranche für Griechenland standen auf dem Programm: Nichts, was einen großen Meinungsumschwung bewirken könnte.

Mit fiebriger Spannung warten die Märkte auf den EU-Gipfel am 8. und 9. Dezember. Bis dahin müsse es einen "klaren und verbindlichen Fahrplan" geben, wie die Eurozone künftig organisiert werden soll, hieß es in Diplomatenkreisen. Es müsse gelingen, "die Märkte durch glaubwürdige und mit Terminen versehene Vorhaben auf politischer Ebene zu überzeugen." Dafür werde eine Änderung des Lissabonner Vertrags kommen, "die Frage ist nur wann und in welchem Umfang."

Vorleistung für EZB-Eingriff

Beharrlich ist von einer "Fiskalunion" die Rede, welche auf Wunsch Deutschlands angestrebt werden soll. Binnen 24 Monaten soll das neue Konstrukt stehen, meinte Finanzminister Wolfgang Schäuble unlängst. Mit ihr soll ein Konstruktionsfehler der Eurozone behoben werden: Der gemeinsamen Währung war keine funktionierende Haushaltspolitik gegenübergestellt worden.

Dabei würden die Euroländer im Wesentlichen auf ihre Budgethoheit verzichten müssen, hieß es. Eine EU-Instanz bekäme volles Durchgriffsrecht auf die nationalen Haushalte, wenn die Regierungen sich nicht gemeinsame Euroregeln und Brüsseler Empfehlungen für Budgetkorrekturen halten - womöglich käme ein EU-Finanzminister, wie ihn sich die Niederländer wünschen. Die Kontrolle soll möglichst bereits vorab greifen. Muss im Nachhinein korrigiert werden, sind automatische Sanktionen im Gespräch - den Euroländern würde kein Ermessensspielraum mehr gelassen, um Strafen abzuwenden. Die bisher nötige Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten und damit das Vetorecht würden für Entscheidungen im Finanzbereich wohl fallen.

Im Gegenzug könnten mittelfristig Eurobonds eingeführt werden, mit denen die Zinsen der schwankenden Euroländer auf ein vernünftiges Niveau abgesenkt würden. Die EU-Kommission rechnet für die gemeinsamen Anleihen der Eurozone je nach Konstruktion mit Aufschlägen von 0,5 bis zwei Prozentpunkte auf die sichersten deutschen Staatsanleihen - also zwischen 2,5 und 4,5 Prozent Refinanzierungskosten.

Mit den genannten Vorleistungen sollte dann auch die Europäische Zentralbank (EZB) noch viel beherzter als bisher Anleihen von Euro-Sorgenkindern aufkaufen dürfen, um deren Refinanzierungskosten verkraftbar zu halten. Um die Unabhängigkeit der EZB nicht in Frage zu stellen, dürfe es dafür aber keine Zurufe aus der Politik geben, sagte ein Diplomat. Die EZB würde von sich aus im Rahmen ihrer geldpolitischen Entscheidungen intervenieren.

Fix an Bord hat Merkel für ihre Vertragsänderung prinzipiell den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und den italienischen Premier Mario Monti. Heikel ist die Modifizierung des Lissabonner Vertrags, weil Nicht-Euroländer wie Großbritannien noch überraschende Bedingungen stellen könnten - etwa ein fortwährendes Einbetonieren des britischen EU-Beitragsrabatts. Zudem sind in Ländern wie Irland, Dänemark und (laut "Krone-Versprechen von Bundeskanzler Werner Faymann) Österreich Referenden nötig, deren Ausgang unvorhersehbar ist. Analysten des Brüsseler Think-Tanks Bruegel rechnen für den Ablauf inklusive Konvent und Ratifizierung mit etwa vier Jahren. Einig sind sich die meisten Ökonomen und Banker, dass die Festlegung auf den großen Plan vor Weihnachten oder zumindest noch heuer erfolgen muss, weil die Eurozone sonst ernsthaft zu zerbrechen drohte.

Negativer Ausblick für Paris

Bei ihrem aktuellen Treffen sollten sich die Euro- und EU-Finanzminister vorerst nur auf einen Hebel für den Euroschirm EFSF einigen, der laut EFSF-Chef Klaus Regling wohl moderater ausfallen wird als geplant. Die Billionengrenze wird trotz Finanztricks wohl klar verfehlt. Statt einer Vervier- oder Verfünffachung sprach der niederländische Finanzminister Kees de Jager nur von einem Faktor 2 bis 2,5. Offenkundig bietet die Haftung des EFSF für die ersten 20 oder 30 Prozent eines möglichen Verlustes von Problem-Staatsanleihen beim aktuellen Käuferstreik nicht genug Anreiz für die Investoren. Griechenland erwartet währenddessen die Auszahlung der Notkredittranche über acht Milliarden Euro, ohne die es Mitte Dezember pleite wäre. Schließlich hat sich nun Oppositionsführer Antonis Samaras schriftlich hinter das Reformprogramm gestellt.

Standard & Poor’s schoss sich unterdessen auf Frankreich ein: Die Abstufung des Triple-A-Ratings haben sie offenbar schon in der Schublade und unlängst aus Versehen sogar ausgeschickt. Jetzt machten sie zumindest den negativen Ausblick für die zweitgrößte EU-Volkswirtschaft offiziell. Damit zweifeln alle drei großen Ratingagenturen an einer dauerhaften Topbewertung für die Franzosen.

Moody’s erklärte, womöglich die Ratings für 87 Banken aus 15 europäischen Ländern abzustufen: Wegen der hohen Staatsschulden könnten die Institute künftig weniger auf Rettungsaktionen vertrauen.Analyse - Seite 3