Seit 30 Jahren wird - in immer größer werdenden Nischen - zwischen Industrie- und Entwicklungsländern eine neue Form des Handels praktiziert. Ihr Ziel: Mehr Gerechtigkeit für benachteiligte Produzentengruppen. Eine zukunftsweisende Alternative?
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Am 24. November 2000 hat der österreichische Nationalrat einstimmig einen Entschließungsantrag angenommen. Danach wird die Bundesregierung unter anderem ersucht, die Förderung des Fairen Handels als festen Bestandteil in der Entwicklungspolitik zu verankern und die Möglichkeiten zu prüfen, inwieweit dieser gerechtere Austausch zwischen Nord und Süd in Gesetzgebung, Budget und im öffentlichen Beschaffungswesen berücksichtigt werden könnte.
Wenngleich diese Formulierungen noch sehr vage sind, ist es durchaus als Erfolg zu werten, wenn sich Parlamente mit dem Fairen Handel auseinandersetzen. Er ist kein Minderheitenprogramm mehr. Das Europaparlament hat bereits 1998 den Fairen Handel als "effizienteste Art der Entwicklungsförderung" bezeichnet.
Am Anfang war nur eine Handvoll Idealisten am Werk, um "Handel statt Hilfe" umzusetzen. Die Spötter blieben nicht aus. 1985 schrieb ein Kritiker über die "Windmühlenflügelkämpfer": "Sie versuchen, der Dritten Welt zu helfen, indem sie den konsumrauschigen Europäern jene Waren teuer verkaufen, die Billiglohnländer herstellen... Es macht nur wenig Spaß bei den Weltverbesserern einzukaufen... Mit runden Augen sind sie in die Welt gezogen, nun sind diese Augen schmal und sprechen einen schuldig. Wer nur noch gut ist, ist auch fad."
Heraus aus der Nische
Das Produkt der ersten Stunde war Kaffee. Der Schweizer Entwicklungsexperte Rudolf H. Strahm erzählt davon, wie 1972 die Berner Arbeitsgruppe Dritte Welt tausend Kilo tansanischen Löskaffee eigenhändig in Gläser abgefüllt hatte. Doch sehr bald ging es professioneller zu. Nach holländischem Vorbild - wo es bereits SOS-Stichting gab - gründeten Aktionsgruppen vor allem mit kirchlicher Unterstützung eigene Importorganisationen, OS3 in der Schweiz, gepa in Deutschland und EZA in Österreich. Zu Kaffee gesellten sich Tee, Gewürze und Kunsthandwerk. Es entstanden Hunderte von Dritte-Welt-Läden (später: Weltläden). Sie sind die Vorreiter des Fairen Handels und auch heute noch eine wichtige Komponente. Die Kunden waren zu Beginn vornehmlich entwicklungsbewegte Menschen, denen es nichts ausmachte, dass der Kaffee aus dem Nicaragua der Sandinisten ein wenig bitter schmeckte.
Ende der achtziger Jahre kam wieder aus den Niederlanden die Idee und gleich der erfolgreich praktizierte Versuch: heraus aus der Soli-Ecke - hinein in den Supermarkt. Die Initiative Max Havelaar begann als erste, Siegel an Produkte zu vergeben, die nachweislich nach vorgegebenen Kriterien fair gehandelt waren. In 17 Ländern entstanden Fair Trade Siegelinitiativen.
Der Ablauf ist bei allen Produkten derselbe: Die Siegelverwalter führen ein Produzentenregister. Lizenznehmer - das können Supermarktketten, alternative Handelsorganisationen, Kaffeeröster etc. sein - kaufen direkt bei den ausgewählten Produzenten zu den von den Label-Initiativen ausgehandelten Preisen und Konditionen.
Lizenznehmer vermarkten die so importierten Produkte unter den von ihnen gewünschten Namen und dürfen auf den entsprechenden Packungen das Siegel des fairen Handels führen. Ein ausgeklügeltes Kontrollsystem schützt mit Hilfe von Wirtschaftsprüfern die Reinheit des Siegels. Die Lizenzgebühren verwenden die Siegelverwalter für die Pflege des Produzentenregisters, die Gewinnung weiterer Lizenznehmer und für Öffentlichkeitsarbeit.
Leider hat man es bisher nicht geschafft, ein gemeinsames Label für fairen Handel einzuführen. Der Siegel-Salat hält sich nur deshalb in Grenzen, weil ausgemacht ist: ein Siegel pro Land. Zum Beispiel: TransFair (Deutschland, Österreich, Italien, Kanada, Luxemburg, Japan, USA), Max Havelaar (Niederlande, Schweiz, Belgien, Dänemark, Frankreich, Norwegen), Fairtrade Foundation (Großbritannien).
Im Prinzip haben die Siegelinitiativen - sie sind im Dachverband FLO (Fairtrade Labelling Organizations International) zusammengeschlossen - die von den alternativen Handelsorganisationen entwickelten Kriterien standardisiert:
- direkte Zusammenarbeit und Produktberatung mit ausgewählten, häufig genossenschaftlich organisierten (Klein-)Produzentengruppen (also Vermeidung des Zwischenhandels);
- für etliche Produkte Preisgarantieren über den Weltmarktpreisen;
- langfristige, verlässliche Wirtschaftskontakte;
- Förderung sozialer Gerechtigkeit (angemessene Bezahlung; menschenwürdige Arbeitsbedingungen; Förderung von Gesundheits- oder Bildungsprojekten; keine Diskriminierung von Frauen, keine Kinderarbeit)
- Erhaltung der Umwelt durch möglichst ökologische Produktion.
Ein profunder Kenner und Mitgestalter des Fairen Handels in Deutschland, Martin Kunz, meint, dass "entgegen weitverbreiteter Einschätzung die Hauptleistung der Siegelinitiativen weniger in einer Ausweitung des Volumens fair gehandelter Waren und in der Ausweitung auf Supermärkte besteht" (der Umsatz habe sich bestensfalls verdoppelt). Vielmehr liege der Quantensprung in der öffentlichen Darstellung des fairen Handels. Die statistischen Werte der Wiedererkennung und die Verfügbarkeit von fair gehandelten Waren liegen jetzt je nach Produkt und Land zwischen 35 und 90 Prozent. Die Medien berichten darüber, weil hier ein "Konzept verkauft wird" und nicht eine Firma beworben.
Nicht nur Success-Stories
Verkaufserfolge vom Start weg für besiegelten Kaffee (in Deutschland 1 Prozent Marktanteil, in der Schweiz 3 Prozent) beeindruckten so manche Kritiker wenig. Sie orteten Verrat an der guten Sache, denn der alternative Handel sei ja nicht zuletzt angetreten, um die ungerechten Strukturen des Welthandels aufzubrechen und das Bewusstsein der Bevölkerung in den Industrieländern zu verändern. Das würden die Siegelinitiativen nicht leisten. Besonders in Deutschland wurden die Wortgefechte erbittert geführt. In Österreich war der Dachverband der Weltläden allerdings von Anfang an eine der Trägerorganisationen des Vereines TransFair.
Und heute? Die meisten Beteiligten haben eingesehen, dass es nur im Sinne der Sache sein kann, wenn jeder seinen Part gut spielt. Und die Grenzen haben sich ein wenig verwischt: Weltläden streben eine Professionalisierung an und die Abkehr vom "Wollsocken-Image". Kaffee darf nicht nur keinen bitteren Nachgeschmack haben, er muss zwecks Verkaufssteigerung auch gefällig präsentiert werden. Alternative Importorganisationen stehen in allen Ländern als Lizenznehmer in der ersten Reihe. Und sie beackern - wie die Siegelinitiativen auch - das Feld der Supermärkte und der Großverbraucher.
Jedes Produkt hat seine eigene Geschichte, die pro Land völlig anders verlaufen kann. Der Faire Handel glänzt in der Schweiz mit Marktanteilen, von denen andere nur träumen: 15 Prozent bei Bananen, 6 Prozent bei Orangensaft, 5 Prozent bei Kaffee. Der Erfolg ist darauf zurückzuführen, dass die in Konkurrenz zueinander stehenden Handelsriesen Coop und Migros für den Fairen Handel gewonnen werden konnten.
In den Niederlanden halten die Bananen bei 9 Prozent, der Kaffee bei 3 Prozent. Deutschland wiederum zeigt sich bei Tee mit 3 Prozent besonders erfolgreich. In Österreich liegt der faire Kaffee knapp unter 1 Prozent. Überhaupt verkaufen in unserem Land die 70 Weltläden mehr besiegelte Waren als die am fairen Handel beteiligten 2.000 Supermärkte.
Bei fairen Bananen gestaltet sich die Einführung in Österreich und Deutschland schwierig, weil noch nicht die richtigen großen Partner gewonnen werden konnten. Überhaupt setzen die Preise dem Fairen Handel in letzter Zeit besonders zu: Chiquita-Bananen finden sich schon um 15,-- Schilling pro Kilo (vor einiger Zeit noch 24,--), während die fairen Bananen an die 30,-- kosten müssten. Die Weltmarktpreise für Kaffee und Kakao sind im Keller, mit dem Effekt, dass fairer Kaffee derzeit im Endverkauf bis zu doppelt so viel kosten kann wie herkömmlicher.
Wirkung für wen?
Ist nun der Faire Handel die Lösung schlechthin, um eine "gerechte Entwicklung für alle" zu erreichen? Eine großangelegte Studie, die kürzlich in Deutschland und in einigen Produzentenländern durchgeführt worden ist, hat differenzierte Ergebnisse gebracht:
- Der Faire Handel sei in den Industrieländern für viele Menschen ein wichtiger Einstieg in entwicklungspolitisches Engagement geworden.
- Der Faire Handel sei nicht als Alternative, sondern als ein komplementäres Instrument zur Entwicklungszusammenarbeit zu sehen. Mehreinkommen allein bewirke bei benachteiligten Produzentengruppen nicht notwendig eine dauerhafte Entwicklung, weil ihnen oft schlüssige politische und soziale Konzepte fehlten.
- Der Faire Handels müsste sich verstärkt auch um industrielle Produktion annehmen mit ihren häufig ungerechten Arbeitsstrukturen.
- Der Faire Handel habe sich in den 30 Jahren seines Bestehens vor allem auf eine Erhöhung der Verkaufszahlen konzentriert. Das musste er tun. Um aber fundierteren Einfluss auf die Welthandelspolitik zu gewinnen, sollte er sich in Zukunft stärker den Herausforderungen veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen stellen (Auswirkungen des globalen Finanzhandels, dramatische Zunahme des Handels mit Dienstleistungen, enorm gewachsene Macht der multinationalen Konzerne und der Welthandelsorganisation etc.)
- Der Faire Handel müsste sich stärker der politischen Arbeit widmen, um Einfluss zu gewinnen. In diese Richtung gehen bereits die "Weltladen-Tage", die jährlich europaweit von cirka 2.500 Weltläden zu brisanten Themen durchgeführt werden. Beispiele: "Land Macht Satt" oder "Made in Dignity".
Letztlich geht es um die Frage: Welche Identität will sich der Faire Handel in Zukunft geben?
- Will er "Symbol" sein im Sinne einer Alternative zum konventionellen Handel, indem er sozusagen "in reiner Lehre" auf dessen Ungerechtigkeiten verweist?
- Oder will er "Modell" sein, das neue Maßstäbe für den Normalhandel setzt und für diesen als Impulsgeber wirkt?
Die Beantwortung dieser Fragen ist auch innerhalb des Fairen Handels noch nicht ausgemacht.