Im Kampf um die Präsidentschaft haben sich die US-Demokraten "Fairness" auf die Fahnen geschrieben. Das Ziel: Die Zurückeroberung des amerikanischen Mittelstands. | Senator Jim Webb spricht gern über die Familie seiner Mutter, die während der Depression im verarmten Osten von Arkansas lebte: Sie waren so arm, erzählt der heutige Senator von Virginia, "sie hatten überhaupt nichts - nicht einmal Geld". Die US-Demokraten haben ihre Partei um solche Menschen herum aufgebaut, sagt Webb, die Republikaner hingegen hätten sich nie viel um sie gekümmert.
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Diese Sorte von populistischem Zorn prägt die Vergangenheit der Demokraten, und geht es nach Webb, so soll er auch die Zukunft der Partei bestimmen. Aber Webb fürchtet, dass ausgerechnet "diejenigen, die an der Spitze der Partei stehen, die Macht und Bedeutung dieser Aussage nicht verstehen". Daher könnten die Demokraten die beste Gelegenheit seit langem verpassen, wieder Zugang zum amerikanischen Mittelstand zu finden.
Die Demokraten müssten sich endlich darauf einstellen, sagt Webb, dass das wichtigste Thema in den USA heute wirtschaftliche Fairness sei. Sollten es die Demokraten schaffen, eine "Fairness-Agenda" aufzustellen, würden sie große Gewinne verzeichnen, so Webb.
John Edwards hat allerdings bisher nicht viel Glück mit dem Thema, das er zum Herzstück seines Präsidentschaftswahlkampfs gemacht hat. Und dennoch: Einige einflussreiche Demokraten, unter ihnen auch der frühere Finanzminister Lawrence Summers, beginnen sich ebenfalls auf das Thema Fairness zu konzentrieren.
Ich habe Webb, der sich gerade in seinem neuen Büro im Russell Senate Office Building einrichtet, letzte Woche zu einem Gespräch getroffen. Er machte einen ziemlich gerissenen Eindruck auf mich. Mit seiner Art, bevorzugt Haltungen zu vertreten, mit denen er seinen Parteikollegen auf die Nerven geht, macht er sich nicht nur Freunde - so zum Beispiel mit seiner Unterstützung für uneingeschränkten Waffenbesitz. Man könnte sogar auf die Idee kommen, zu hinterfragen, ob er überhaupt ein richtiger Demokrat ist. Schließlich hat Webb für die Regierung Reagan gearbeitet.
Was Webb auf seine Fahnen geschrieben hat, könnte sich aber als der Joker im bereits laufenden Präsidentschaftswahlkampf für 2008 entpuppen, denn viele US-Bürger, vor allem aus dem Mittelstand, sind mittlerweile sehr zornig über ihre Lage und fühlen sich im Stich gelassen, und zwar von beiden Parteien. "Der durchschnittliche amerikanische Arbeiter bekommt die Auswirkungen von Globalisierung und Immigration ganz besonders zu spüren. Er braucht jemanden, der sich für ihn einsetzt", sagt Webb. Allerdings sagt er das nicht erst seit Eröffnung des Wahlkampfs. Schon 1995 veröffentlichte Webb ein Manifest im Wall Street Journal: "In Defense of Joe Six-Pack" (Zur Rechtfertigung von Otto Normalverbraucher). Es sollte eine Stimme sein für US-Bürger mit kleinen und mittleren Einkommen.
Einige einflussreiche Demokraten beginnen sich nun ebenfalls auf das Thema Fairness einzustimmen. So könnte Webbs "Fairness-Agenda" bald zum politischen Sprengstoff werden, im besten und im schlechtesten Sinn. Das kann ein kraftvoller Ruf sein, alle verfügbaren Kräfte zu sammeln, aber es kann auch zu protektionistischer Demagogie entarten, wenn man nicht sorgfältig damit umgeht. Aber eines hat Webb sicher richtig verstanden: Die USA entwickeln sich zu einer stark aufgegliederten Gesellschaft, in der die Einkommensschere immer weiter auseinandergeht.
Das Argument der Fairness als Rückfall in den Klassenkampf abzuwerten, wie die Republikaner das gern tun, könnte diesmal nach hinten losgehen. Ein Kandidat der Demokraten, der richtig mit dem Thema Fairness umzugehen versteht, könnte die Partei (und auch das Land) um sich scharen und neu zusammenführen.
Übersetzung: Hilde Weiss