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Neben Nachdruck bei Reformen braucht Südosteuropa auch die Anerkennung von Fortschritten.
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Serbien dominierte jüngst wieder die Schlagzeilen. Mitte September findet dort die Pride-Week statt - und eine dabei geplante große Parade in Belgrad soll nicht stattfinden, weil Präsident Aleksandar Vucic und Premierministerin Ana Brnabic Sicherheitsbedenken haben. Damit war Serbien wochenlang negativ in europäischen Medien präsent. Die EU, deren Position in dieser Frage klar ist, war etwas zurückhaltender. Aus gutem Grund: Vucic ist aktuell dabei, sein Land in wichtigen politischen Fragen in der Region stärker auf EU-Linie zu bringen. Die negativen Schlagzeilen in vielen europäischen Medien stellen nicht das volle Bild dar.
Die kürzlich erzielte Einigung mit dem Kosovo, maßgeblich auf Vermittlung der EU und der USA, war ein wichtiger Erfolg. Dabei machte Vucic einen großen Schritt. Natürlich ist das keine Anerkennung, doch beachtlich für ein Land, das bei diesem Thema immer noch stark emotionalisiert ist. Vucic riskiert hier einiges und steht vor großen Weichenstellungen. Wer das nicht sieht, verkennt die politische Situation. Sollte er eine neue Partei ("Mein Serbien") gründen, könnte dies auch eine Chance sein, sich von extremeren innerparteilichen Gruppierungen abzugrenzen und einen proeuropäischen Kurs zu festigen.
Erhobene Zeigefinger sind jedenfalls unangebracht. Immerhin verweigern auch fünf EU-Staaten dem Kosovo die Anerkennung, und vor allem westeuropäische Länder blockieren die versprochene Visaliberalisierung für den Kosovo. Wo ist da der Aufschrei?
Mit der "Open Balkan Initiative" wird der Wille zur regionalen Zusammenarbeit bekräftigt. Das ist wichtig, da die Westbalkan-Staaten auf dem Weg in die EU vor allem auch ihre Märkte und die Freiheiten für ihre Bürger harmonisieren müssen.
Auch die Kritik an Serbien, das sich den EU-Sanktionen nicht angeschlossen hat, ist westeuropäische Doppelmoral: Es hat den Krieg klar verurteilt und die territoriale Integrität der Ukraine betont, konnte aber (als Nicht-EU-Staat) wegen der Energiefrage die Sanktionen nicht voll mittragen - und genau beim Punkt Energie verhängten die EU-Staaten aus Abhängigkeit keine Sanktionen. Vizepremierministerin Zorana Mihajlovic erklärte jüngst, neben der Verurteilung des Krieges werde Serbien seine Energieabhängigkeit von Russland drastisch reduzieren; der proeuropäische Weg sei der einzig richtige für ihr Land. Klare Worte, denen natürlich Taten folgen müssen. Russland spielt in Serbien eher eine symbolische Rolle; größter Investor ist die EU. Diese muss auf nötige Reformen mit Nachdruck bestehen; Serbiens Bevölkerung muss klar sein, dass diese Reformen in erster Linie nicht "für die EU" sind, sondern ihr eigenes Leben verbessern.
Die Doppelmoral, mit man in der EU, wo rechts- und linksextreme Gruppen teils massiv auf dem Vormarsch sind, oft ohne genaue Kenntnisse auf Südosteuropa blickt, ist unfair. Für Staaten, die seit 70 Jahren in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben, erscheint alles viel leichter. Doch historische, politische und gesellschaftliche Entwicklungen wie jene in Südosteuropa können nicht in fünf Jahren weggewischt werden. Es braucht dafür Zeit, Geduld und gute europäische Freunde.