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Die öffentliche Diskussion der vergangen zwei Jahrzehnte hat sich redlich bemüht, das österreichische Bildungssystem herunterzureden. Dass dieses trotzdem weit davon entfernt ist, zu leisten, was es leisten sollte, ist die Kehrseite der Medaille. Die Politik führt am liebsten mit ideologischen Grundsatzdiskussionen das große Wort - Stichwort Gesamtschule, freier Hochschulzugang -, statt pragmatische Lösungen für die bestehenden Probleme zu finden.
Wenn die bevorzugte Lösung aus dem einen oder anderen Grund nicht durchgesetzt werden kann, besteht trotzdem die politische Pflicht, die nächstbeste Lösung umzusetzen.
In Österreich ist das seltene bildungspolitische Kunststück gelungen, die Realität zwar in den düstersten Farben zu schildern, aber trotzdem die Augen vor den tatsächlich bestehenden Problemen zu verschließen. Und beides geschah, weil es jeweils für die handelnden Akteure auf Bundes- und Landesebene politisch opportun war.
Wenn Bildungsminister Heinz Faßmann nun im Interview mit der "Wiener Zeitung" laut darüber nachdenkt, einen Chancenindex einzusetzen, um soziale Brennpunktschulen aus dem Teufelskreislauf von aussichtslosen Schülern und frustrierten Lehrern herauszuholen, dann besteht hoffentlich die Chance, ein längst überfälliges Instrument endlich einzuführen. Damit sollen Schulen in besonders benachteiligten Regionen und Stadtteilen nach einem nachvollziehbaren Kriterienkatalog zusätzliche Lehrerstellen und/oder sonstige Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
Eine solche Förderung von Brennpunktschulen ist ein Gebot nicht nur der sozialen Fairness, sondern auch der politischen Vernunft.
Unsere Form des friedlichen Zusammenlebens und des gewinnorientierten Wirtschaftens basiert auf einem Versprechen: dass die Gesellschaft - im Großen und Ganzen - für gesellschaftliche Rahmenbedingungen sorgt, die es jedem Bürger - noch besser: jedem Menschen - in diesem Land ermöglichen, sich durch eigenes Talent und eigene Leistung nach oben zu arbeiten; und zwar völlig losgelöst von den Umständen, von der Stellung und vom Rang der Familie, in die er hineingeboren wurde.
Was geschieht, wenn eine Gesellschaft ihren Bürgern gegenüber dieses Versprechen nicht mehr einlösen kann (oder will), lässt sich bereits in Frankreichs Banlieus, in den marginalisierten Regionen Großbritanniens, im Mittleren Westen der USA und in etlichen weiteren Regionen beobachten: Die Menschen kündigen ihrerseits den Konsens auf, auf dem das Zusammenleben bisher beruhte. So gesehen ist es die billigste und klügste Variante, das Versprechen gleicher Chancen für alle einfach einzuhalten. Und fair ist es sowieso.