Wer anderer Meinung ist und keine Lust zum Argumentieren hat, schreit "Fake".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Am Freitag traten SPÖ, FPÖ und Neos vor die Öffentlichkeit und geißelten den Haushaltsentwurf der türkis-grünen Regierung als "Fake-Budget". Dass die Opposition das Vorgehen der Regierung, dem Parlament ein Budget aus Vor-Corona-Zeiten vorzulegen, als Provokation auffasst, ist mehr als nachvollziehbar. Die Koalition orientiert sich am technokratischen Pragmatismus von Regierenden in einer Ausnahmesituation; die Rolle der Opposition spielt da nur eine untergeordnete Rolle.
Der Begriff "Fake-Budget" will diese verständliche Empörung auf den Punkt bringen. Das tut er, und noch viel mehr. Mit dem Wörtchen "Fake" (englisch für täuschen, erfinden oder vortäuschen) wird eine Debatte über ein optimales Prozedere im nachvollziehbaren Spannungsfeld zwischen den Erfordernissen des Parlamentarismus und einer Ministerialbürokratie im Corona-Stress kurzerhand zur moralischen Auseinandersetzung um die eine Wahrheit.
Es zählt zu den unglücklichen Entwicklungen unserer Zeit, dass richtige und wichtige Anliegen durch Eiferer oder professionelle Verwirrungsstifter ins Gegenteil kippen. Das Engagement gegen Lügen und Falschinformationen ist so ein Fall. Statt einfach sachlich falsche Nachrichten zu benennen, ist das längst allgegenwärtige Schlagwort von "Fake News" - also der Vorwurf des bewussten Einsatzes manipulierter oder erfundener Informationen zur Verfolgung eigener Ziele - zur Allzweckwaffe im Kampf gegen politische und/oder mediale Gegner geworden. Der US-Präsident ist ein Meister dieses Fachs und längst nicht der einzige. Und um dem Fass den Boden auszuschlagen, ergreifen immer mehr Staaten die Gelegenheit, unter diesem Deckmantel unliebsame Kritiker gesetzlich zum Schweigen zu bringen.
Dabei ist das alles wohlbekannt: Der Drang, die öffentliche Meinung nach eigenem Nutzen zu manipulieren, ist so alt, wie es die Idee von einer solchen Öffentlichkeit gibt. Neu ist lediglich, dass sich dank der Digitalisierung die Möglichkeiten dazu vervielfacht und von jeglichen Machtfaktoren entkoppelt haben.
Über den Tatsachengehalt von Aussagen und Behauptungen ist eine Diskussion und unter Umständen sogar eine politische Verständigung möglich. Wenn es um "Fake News" geht, verbietet sich jede Debatte, schon der Begriff lässt keinen Zweifel, dass jede weitere Diskussion sinnlos: Schließlich kann es mit jemandem, der bewusst mit Lügen operiert, keine gemeinsame Gesprächsebene geben, geschweige denn einen Kompromiss.
Mit dieser Haltung werden wir nicht wirklich weit kommen. In der Politik gibt es so viele Wahrheiten wie Anliegen und Perspektiven. Wer anders behauptet, täuscht die die Menschen.