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Fall Chodorkowski als Höhepunkt

Von Günther Chalupa

Politik

Am Ende des russischen Wahlkampfes fallen selbst in Moskau nur wenige Poster oder Plakate einzelner Parteien inmitten der glitzernden Reklame ins Auge. Vor der Dumawahl am 7. Dezember gibt es weder Skandale noch öffentliche Anschuldigungen oder Schmutzkampagnen. Haben Wahlkämpfe in Russland in den vergangenen zwölf Jahren stets für Spannungen gesorgt, so ist diesmal davon nichts zu spüren.


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"Der ganze Wahlkampf ist organisierter geworden, ruhiger und zivilisierter", resümierte der Fonds "Gesellschaftliche Meinung". "Es fehlte auch die schmutzige Technologie", meint das Institut weiter mit Hinweis auf die in den vergangenen Jahren ausgeschalteten freien Medien.

Einziger "Höhepunkt" des bisherigen Wahlkampfs in Russland war das rabiate Vorgehen der Justiz gegen den Milliardär Michail Chodorkowski, der Parteien in Opposition zum Kreml finanziell unterstützt hatte. Auch wenn dem früheren Leiter des Erdölkonzerns Yukos offiziell schwerer Betrug und Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe angelastet wurde, war die politische Komponente der Amtshandlung der Justiz nicht zu übersehen. Chodorkowski hatte dem Vernehmen nach eine frühere Vereinbarung mit Putin ignoriert und sich politisch engagiert.

Der leidenschaftslose Wahlkampf dürfte sich nach einhelliger Meinung russischer Experten auch auf die Wahlbeteiligung auswirken. Verschiedene Umfragen ergaben knapp eine Woche vor den Wahlen, dass sich bestenfalls 60 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahl gehen werden - so wenig wie noch nie. Das Meinungsforschungsinstitut WZIOM stellte fest, dass die Bevölkerung "den Versprechungen der Politiker nicht mehr glaubt". Fast ein Drittel von 1600 Befragten meinten, eine Wahlbeteiligung werde ohnehin nichts ändern. Ein Fünftel bewertete die Politiker als unglaubwürdig, während elf Prozent meinten, dass die Parlamentsabgeordneten nach der Wahl nur ihre eigenen Interessen verfolgen würden.

Als klarer Sieger der insgesamt 23 Parteien und Bündnisse wurde die Kreml-treue Partei Geeintes Russland (Jedinaja Rossija) erwartet, die schon 1999 unter dem Namen Einheit den Kommunisten den Rang abgelaufen hatte. Putin selbst hatte sich in den Wahlkampf eingeschaltet mit einer Empfehlung für Geeintes Russland, die Partei der Mitte, die seiner Ansicht nach "absolut" zur Ausgewogenheit im Parlament beigetragen habe. Der Präsident hatte schon vor Monaten mit dem Plazet der Justiz in den Wahlkampf in Sankt Petersburg eingegriffen, so dass auch für diese Wahlwerbung kein Protest erwartet wurde.

Die Kommunisten sehen erneut einem zweiten Platz entgegen, auch wenn sie in den vergangenen Jahren durch inneren Streit und Abspaltung viel an Zugkraft verloren haben. Dazu wurden sie während des Wahlkampfs als "nicht gesetzestreue" Partei diskreditiert. In der künftigen "gemäßigten Duma", so "Gesellschaftliche Meinung", seien dann lediglich noch die oppositionellen Parteien Jabloko und Union Rechter Kräfte zu erwarten, neben dem Bündnis "Rodina" (Vaterland) des abtrünnigen Kommunisten Sergej Glasjew und den extremistischen Liberaldemokraten von Wladmir Schirinowski.

Nur vereinzelt wird versucht, Bürger aus der Vorwahllethargie zu reißen, wie etwa beim Einkauf in einer Supermarktkette, deren Personal Plaketten des Kreml-treuen Geeinten Russlands tragen muss. Und in vielen Haushalten wurden die Bewohner durch einen Telefonanruf aufgeschreckt, in dem eine "Dame vom Band" genaue Anweisungen zur Stimmabgabe für Geeintes Russland gibt.