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Fällt Irland, bleibt in der EU kein Stein auf dem anderen

Von Stefan Melichar

Europaarchiv

Deutschland könnte Krise nutzen, um seine Position zu verbessern. | Debatte über ständigen Rettungsschirm als Streit um Konjunkturvorteile. | Wien. Die europäische Staatsschuldenkrise rund um Irland, Griechenland & Co wird zunehmend von einem Wettstreit um künftige wirtschaftliche Vorteile begleitet. Vor allem in Deutschland sehen sich manche offenbar als die großen Verlierer der bisherigen Euro-Architektur. | Iren sollen für EU-Hilfe Körperschaftssteuer opfern


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In einem Kurzgutachten für die FDP-Fraktion des deutschen Bundestags legt das renommierte Münchner Ifo-Institut dar, wie die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren unter der Gleichmacherei der Einheitswährung gelitten habe. Tatsächlich gab es mit Einführung des Euro so gut wie keine Bonitätsunterschiede mehr zwischen den einzelnen Ländern. Alle mussten in etwa die selben Zinsen für ihre Staatsanleihen bezahlen - ein großer Unterschied zu vorher, als Länder wie Italien oder Griechenland deutlich höhere Finanzierungskosten hatten als die als besonders sicher geltenden Deutschen.

Das Ifo-Institut interpretiert das dahingehend, dass Deutschland weniger soliden Staaten implizit seine gute Bonität geborgt hat. Allerdings habe der Verlust des früheren Zinsvorteils für die Deutschen gravierende Nachteile gehabt: Jene Kapitalströme, die die Wirtschaft der Bundesrepublik dringend selbst benötigt hätte, seien nun in Länder wie Irland, Portugal oder Spanien geflossen. Dort habe es einen Boom gegeben, in Deutschland sei hingegen eine Stagnation mit schwerwiegenden Folgen für den Arbeitsmarkt eingetreten.

Wichtiger Wachstumsfaktor

Geht man von dem Ifo-Papier aus, hätte den Deutschen gar nichts Besseres passieren können als die europäische Staatsschuldenkrise. Investoren zweifelten trotz Einheitswährung auf einmal an der Zahlungsfähigkeit einzelner Staaten - zunächst vor allem an der Griechenlands. Deren Staatsanleihe-Zinsen explodierten, jene Deutschlands sanken. Die lange vermissten Kapitalströme waren auf einen Schlag wieder da.

Laut Ifo ist - anders als landläufig vermutet - nicht der brummende Export Haupttreiber für das heuer erwartete Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent. 1,7 Prozentpunkte davon würden nämlich auf die gestiegene Investitionsnachfrage in Deutschland entfallen - eine "neue Binnenkonjunktur" durch die Umlenkung der Kreditflüsse.

Ein Schelm, wer vermutet, dass nicht anstehende Landtagswahlen, sondern manifeste wirtschaftliche Vorteile die deutsche Politik bewogen haben könnten, europäische Finanzhilfen für Athen im Frühjahr 2010 hinauszuzögern. Dadurch verschärfte sich die Situation in Griechenland und anderen hoch verschuldeten Euro-Staaten, Deutschland profitierte jedoch durch das neue Risikobewusstsein der Investoren.

Beitrag der Investoren

Von dieser Entwicklung will man sich nun offenbar nicht so rasch wieder verabschieden: Größtes Gräuel für das Ifo-Institut ist, dass Europa dauerhaft einen Rettungsschirm für Problemstaaten bereithält, der so sicher ist, dass Investoren keine Verluste fürchten müssen. In diesem Fall würde Deutschland erneut mit seiner Bonität für andere geradestehen, der gerade wiedererlangte Vorteil wäre dahin.

Vor diesem Hintergrund ist auch die aktuelle Debatte um eine Nachfolgeregelung für den derzeitigen - bis 2013 befristeten - Schutzmechanismus von EU, Eurozone und Internationalem Währungsfonds zu sehen. Deutschland drängt darauf, dass künftig auch private Investoren - das sind vor allem Banken - bei einer Rettungsaktion für einen von der Pleite bedrohten Staat Geld in die Hand nehmen müssen. Konkret könnte das über einen Abschlag auf den Wert der gehaltenen Staatsanleihen passieren - dem Ifo schweben hier 20 Prozent vor.

Allerdings besteht die Gefahr, dass das Schielen auf langfristige Vorteile kurzfristig zu einer Katastrophe führen könnte - dann nämlich, wenn die Märkte noch nervöser werden und Irland tatsächlich zusammenbricht.

Großbritannien zieht mit

Das Ifo-Institut wirft Frankreich vor, im Frühjahr deshalb Hilfen für Griechenland favorisiert zu haben, weil französische Banken dort besonders engagiert sind (siehe Grafik) und bei einer Staatspleite hohe Verluste fürchten hätten müssen. Sollte nun Irland oder ein anderer Euro-Problemstaat in den Bankrott schlittern, bliebe jedoch in ganz Europa kein Auge trocken.

Laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich waren zum Halbjahr deutsche Banken mit Forderungen von 138,6 Milliarden US-Dollar auf der Grünen Insel engagiert. Tatsächlich wehrt sich Berlin diesmal wesentlich weniger gegen Hilfen für das unter seinem maroden Finanzsektor leidende Land als bei Griechenland.

Übertroffen werden die deutschen Banken in Sachen Irland-Exposure übrigens nur noch von Großbritannien. Die dortigen Finanzinstitute müssen im Ernstfall um 148,5 Milliarden Dollar bangen. Da überrascht es nicht, dass die sonst so europaskeptischen Briten angekündigt haben, im Fall einer Hilfsaktion mitzuziehen - und das, obwohl sie ja nicht einmal zum Kreis der Euro-Staaten gehören.

Österreich freut sich heuer - quasi im Windschatten Deutschlands - übrigens ebenfalls über günstige Zinsen für seine Staatsanleihen. Grund ist auch hier die starke Nachfrage risikoaverser Anleger. Letztlich könnte jedoch die langfristige Stabilität der Eurozone wichtiger sein als ein kurzfristiger Zinsvorteil.