Wissenschaftsminister Caspar Einem eröffnete am Wochenende die nunmehr schon traditionelle Sommerakademie des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktforschung in Schlaining. In | seiner Eröffnungsrede befaßte sich der Präsident des ÖSFK, Gerald Mader, mit Fragen der österreichischen Sicherheitspolitik und den Ereignissen im Kosovo.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die ethnischen und religiösen Konflikte am Balkan sind seit 1989 ein Thema der internationalen Friedensforschung. Immer wieder wurde vor der Gefahr der Eskalation interner Konflikte gewarnt.
Dennoch hat niemand einen zwischenstaatlichen Krieg in Europa für möglich gehalten. Wenn damals jemand behauptet hätte, daß die NATO in den 90-Jahren Belgrad bombardieren und die Infrastruktur
Jugoslawiens zerstören werde, um die Menschenrechte der Kosovo-Albaner zu schützen, wäre dies als böswillige Unterstellung zurückgewiesen worden.
Daraus folgt: Die Geschichte nimmt immer wieder einen unvorhergesehenen Verlauf, der im Rückblick oft unbegreiflich erscheint. Es gibt kein Ende und es gibt keinen Zwang der Geschichte zu einer
vorbestimmten Entwicklung, sondern es sind die Menschen, die sich für Krieg oder Frieden entscheiden. Diese Entscheidungen erfolgen nicht im luftleeren Raum, sondern werden in Leitvorstellungen
geprägt, die Gegenstand von Träumen und Utopien sind.
Als unverdächtiger Kronzeuge für die Notwendigkeit von Utopien sei Friedrich August von Hayek zitiert. "Ein ideales Bild einer Gesellschaft, die nicht voll verwirklicht werden kann, oder eine
Leitvorstellung einer Gesamtordnung, die anzustreben sei, ist eine unverzichtbare Voraussetzung einer auf Vernunft begründeten Politik".
Für Friedenspolitik bedeutet dies, daß sie auf Friedensutopien, die sich nicht voll verwirklichen lassen, nicht verzichten darf. Nur wer sich vorstellen kann, ohne Krieg und Gewalt leben zu können,
wird dazu auch beitragen können. Aber wir müssen selbst träumen und dürfen das Träumen nicht jenen überlassen, die eben nicht von Frieden und Gewaltlosigkeit, sondern von Macht und Gewalt, Krieg,
Aufrüstung und diffusen Bedrohungen träumen, mit welchen sie die Existenz militärischer Konfliktlösungen rechtfertigen.
Die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien sind ein Beispiel hierfür. Die Serben träumten von Großserbien, die Kroaten von Großkroatien, die Albaner von Großalbanien und die USA von ihrer Rolle als
Weltpolizist. Im Kosovo-Krieg führte dies zur Vertreibungspolitik Milosevics, zur Zuspitzung des Konfliktes durch die UCK und zu den NATO-Luftschlägen, die keinen einzigen Kosovo-Albaner vor
Vertreibung und Massaker geschützt haben. Wir sollten daher weniger von einem Sieg der Menschenrechte sprechen, sondern mehr von einer Rückkehr in die Barbarei des Krieges, die sich in den serbischen
Greueltaten, in den kollateralen Schäden der NATO-Luftschläge und in den Racheakten der Albaner manifestiert.
Krieg und Frieden sind komplexe Begriffe, sie lassen sich nicht durch Schwarz-Weiß-Malerei definieren. Gab es Alternativen? Die NATO hatte zwei Möglichkeiten. Eine friedliche und eine kriegerische.
Friedlich: Neben einer massiven Unterstützung der Opposition ein verstärkter politischer und wirtschaftlicher Druck unter Einschaltung der UNO und Rußlands bei gleichzeitiger Verdoppelung der OSZE-
Beobachter statt deren Abzug. Erst dieser Abzug hat die Massenvertreibung ermöglicht, da selbst Gewalthaber vom Schlage eines Milosevics nicht wagen, eine Massenvertreibung vor den Augen der
internationalen Öffentlichkeit durchzuführen.
Die kriegerische Alternative bestand in Luftschlägen in Verbindung mit dem Einsatz von Bodentruppen, da nur in dieser Verbindung eine Vertreibung der Kosovo-Albaner kriegerisch zu verhindern gewesen
wäre. Die NATO hat jedoch die Variante Luftschläge ohne Bodentruppen gewählt, mit der die Vertreibung der Kosovo-Albaner nicht gestoppt, sondern zur Explosion gebracht wurde. Zwei Zahlen von der
Transnationalen Stiftung für Frieden in Lund beleuchten dies. Während des Kleinkrieges zwischen Serben und Albaner sind 50.000 Kosovo-Albaner geflohen, nach dem NATO-Bombardements wurden 800.000
Albaner vertrieben. Dies zeigt, daß der Bombenkrieg der NATO jenseits von Pazifismus und Völkerrecht eine verfehlte Methode und Strategie war.
Die europäischen Staaten befanden sich in einer schwierigen Situation, da sie sich trotz aller Bedenken aufgrund ihrer Abhängigkeit von den USA und ihrer NATO-Mitgliedschaft zur Solidarität
verpflichtet fühlen. Sie waren es aber, die dann die Initiative zur Beendigung des Krieges ergriffen und mit Hilfe Rußlands und der UNO eine Beendigung des Krieges erreichten.
Der Kosovo-Krieg ist kein europäischer Einigungskrieg, wie manche behaupten, aber das amerikanische Herrschaftsgehabe und das große Abhängigkeitserlebnis der Europäer haben den europäischen
Emanzipationsprozeß in Sachen Sicherheitspolitik zweifellos beschleunigt.