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Falscher Hut, falsches Kaninchen

Von WZ-Korrespondentin Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Trumps Wirtschaftspolitik hat etwas Nostalgisches. Den Strukturwandel in der US-Wirtschaft ignoriert er.


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Los Angeles. Es scheint vor langer, langer Zeit gewesen sein. Doch wer sich noch entsinnt, mag sich daran erinnern, dass viele Wahlkampfauftritte von Donald Trump den Vorstellungen eines Zauberers glichen: Wie Trump in dunklem Anzug und weißem Hemd im Scheinwerferlicht auf der Bühne stand, mit breitem Lächeln und ausufernden Gesten, kleine, rhetorische Tricks und wilde Verbal-Stunts vollführte und stets Raum ließ für den Applaus der erstaunten Zuseher. Eines seiner wichtigsten Kunststücke beinhaltete das immer gleiche Wort, zumeist drei Mal wiederholt: "Jobs, Jobs, Jobs". Er werde der größte Stellenbeschaffer sein, den Gott je erschaffen hat, verlautete er, und die Begeisterung seines Publikums ließ erahnen, dass sie alle tausende Hasen aus seinem Hut - oder vielmehr seiner roten Make-America-Great-Again-Kappe - springen sahen. Hundert Tage nach seiner Amtseinführung geht die Vorstellung weiter. Trump ließ diese Woche seinen Sprecher Sean Spicer erklären, seither seien bereits über eine halbe Million Jobs in den USA geschaffen worden.

Das ist, wie bei Zauberern und ihren Tricks nicht unüblich, ein wenig geschwindelt. Denn für diese Zahl hat Trump die 216.000 Jobs, die im Jänner noch unter Vorgänger Barack Obama kreiert wurden, hinzuaddiert. Laut US Bureau of Labor wurden im Februar und März 317.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Damit liegt Trump, der erklärt hatte, 25 Millionen Arbeitsplätze in der nächsten Dekade zu schaffen - sprich 288.000 pro Monat und damit mehr als die 23 Millionen unter Bill Clinton in den Boomjahren der 1990er - hinter den eigenen Versprechungen zurück.

Im ersten Quartal nur 0,7 Prozent Wirtschaftswachstum

Und aktuelle Daten des Handelsministeriums besagen, dass die US-Wirtschaft im ersten Quartal 2017 um nur 0,7 Prozent gewachsen ist - so niedrig wie seit drei Jahren nicht mehr.

Es wäre aber unseriös, Trump nach lediglich 100 Tagen dafür zu beurteilen, ob er sein versprochenes Wirtschaftswunder bereits aus dem Hut zaubern konnte. Immerhin lassen sich einzelne Wirtschaftssektoren ausmachen, die von der neuen US-Administration profitieren. Da wäre die Öl-, Gas- und Kohleindustrie, für die Trump Auflagen zum Schutz von Umwelt und Arbeitern lockerte, die Offshore-Ölförderung erleichterte und umstrittene Pipelines durchwinkte. Die Rüstungsindustrie kann darüber jubilieren, dass das US-Verteidigungsbudget um satte zehn Prozent erhöht werden soll. Banken freuen sich über Lockerungen von Barack Obamas Wall-Street-Reform, die Finanzhäuser nach der Finanzkrise 2008/09 an die Kandare genommen hatte. Verloren haben indes erneuerbare Energien, Trump senkte auch die Ausgaben für Umweltschutz drastisch. Die Tech-Industrie trifft die Reduzierung der Visazahl für Hochqualifizierte, denn diese sind für Google und Co. nur schwer zu ersetzen. Gleichzeitig stieg Trump aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen TPP aus, andere Abkommen wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta zwischen den USA, Kanada und Mexiko stehen zur Disposition.

Was haben diese Politikansätze gemeinsam? Sie alle muten irgendwie gestrig und nostalgisch an. Trump scheint die Vergangenheit zu mögen, offenbar ist sie ein Ideal, nach dem er strebt. Wenn die verrosteten Fließbänder in den verfallenen Fabriken im Rustbelt in neuem Glanze wieder auferstehen und Minenarbeiter wieder Kohle zutage fördern, dann ist alles wieder gut, ist Amerika wieder großartig. Man kann dem Präsidenten freilich zugutehalten, dass er sich für jene einsetzt, die in den vergangenen Jahren eine Erosion ihrer ökonomischen Möglichkeiten erlebt haben.

Doch Trumps Fokus auf frühere Zeiten, darauf, "unsere Jobs, unseren Reichtum und unsere Träume zurückzubringen", wie er in seiner Amtsantrittsrede erklärt hatte, ignoriert eine wichtige Tatsache: den Strukturwandel der US-Wirtschaft, angetrieben von unaufhaltsamer Automatisierung.

Für einige Wirtschaftssektoren, die bereits jetzt massiv kämpfen, wird Trump so viele Erleichterungen per Dekret unterzeichnen können, wie er will - er wird höchstens ihr Leiden verlängern. Aktuellstes Beispiel dafür ist die marode US-Kohlebranche. Trump schwor, diese neu zu beleben, und beseitigte bereits Umweltauflagen. Experten schütteln aber nur den Kopf und schließen ein Comeback von Kohle aus. Denn Gas wird in den USA in großen Mengen und billig gefördert, der Energiebedarf insgesamt sinkt und technische Fortschritte bei erneuerbaren Energien würden dem Zweig keine Überlebenschance lassen.

Nicht China, sondern Roboter sind die Konkurrenz

Der zweite Sektor, in dem Trump neue Job-Höhenflüge will, ist die verarbeitende Industrie. Globalisierung, Produktionsverlagerung ins Ausland und Automatisierung haben laut der Denkfabrik Brookings Institution seit 1980 in den USA fast sieben Millionen Arbeitsplätze in dem Bereich gekillt - das ist mehr als ein Drittel aller Manufacturing-Stellen. Vor allem ab dem Jahr 2000 verschärfte sich der Trend massiv. Und auch wenn Trump nun mit der Brechstange versucht, Firmen dazu zu bringen, in den USA zu produzieren statt in China oder Mexiko, macht ihm vor allem die Automatisierung einen Strich durch die Rechnung. Sie hilft dem Sektor, trotz der so viel geringeren Arbeiterzahl seinen Output auf Rekordniveau zu halten. Viele Firmen, die heute auf Roboter setzen, die etwa Kleidung nähen, fragen - freilich unter Rechtfertigungszwang -, warum man denn Menschen plötzlich wieder in harte, oft ungesunde Jobs in Fabriken zurückschicken will. Und winken ab: Vor allem junge US-Amerikaner seien dafür ohnehin nicht mehr zu begeistern. Unternehmen wie der Air-Condition-Hersteller Carrier, der unter Trumps öffentlichem Druck Jobs nicht nach Mexiko verlagerte, sondern im US-Bundesstaat Indiana beließ, erklärte später das Resultat dieser Entwicklung sei - richtig geraten - mehr Automatisierung.

Darunter fällt aber nicht nur die Automatisierung am Fließband, sondern dazu zählen auch die Roboter, die heute schon in San Francisco Essen ausliefern oder in einem Shopping-Center in Stanford Sicherheitsleute ersetzen, ebenso wie die unzähligen selbstfahrenden Autos oder Lkw, die gerade in Kalifornien getestet werden und Millionen Taxi- und Lkw-Fahrer ersetzen werden. Und auch Interaktion mit Menschen wird automatisiert: Das sieht man anhand der Software-Bots von Facebook, die Firmen mit ihren Kunden kommunizieren lassen anstelle von echten Angestellten, Programme, die die Arbeit von 360.000 Anwälten in einer Stunde erledigen, Algorithmen, die Sportnachrichten anstelle von Journalisten verfassen, oder der IBM-Watson-Computer, der mittlerweile bessere Diagnosen erstellt, als ein zwölfköpfiges Ärzteteam. Doch all das scheint für Trump und seine Administration erst in Jahrzehnten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu haben. Fast könnte man meinen, Trump tut den Wandel am Arbeitsmarkt - gleich der Klimaerwärmung - als Spinnerei liberaler Wissenschafter ab. Dabei erleben die USA bereits heute die Folgen: Den Einzelhandel sehen Analysten aktuell vor einer Apokalypse. Setzt sich der Trend der ersten drei Monate des Jahres fort, sperren heuer mehr Geschäfte zu als im Krisenjahr 2008.

Fast 3000 Geschäftsschließungen wurden in den USA für 2017 bereits angekündigt, 30.000 Jobs im Einzelhandel gingen alleine im März verloren, legendäre Kaufhausketten stehen vor dem Aus - allen voran, weil Amerikaner heute einfach viel lieber im Internet einkaufen als in Malls. Der Finanznachrichtendienst "Bloomberg" fasste die Entwicklung diese Woche in einem prägnanten Satz zusammen: In den USA werden die Reichen reicher und die Armen durch Roboter ersetzt. Bedroht sind vor allem Jobs im Einzel- und Großhandel, Transport, Lagerhaltung und der verarbeitenden Industrie. Die Consultingfirma PricewaterhouseCoopers sieht bei 38 Prozent der Jobs in den USA ein "hohes Risiko", bis 2030 durch Automatisierung wegzufallen. Gewinnt Trump eine zweite Amtszeit, ist er bis 2025 US-Präsident.

Automatisierung "nicht einmal auf unserem Radar"

Verfechter der Automatisierung und künstlichen Intelligenz beschwichtigen - alles nicht so tragisch, denn die Umrüstung auf technische Fertigungsanlagen schaffe gleichzeitig viele interessante, hochbezahlte Jobs.

Doch auch jene, die sich tagtäglich mit Technologie und der Zukunft beschäftigen, geben sich offenbar wenig Illusionen hin. Facebook CEO Mark Zuckerberg sagte vergangene Woche, dass Technologie die Menschen produktiver mache und sie bald mehr Zeit hätten für Dinge, die ihnen wichtig sind. Viele würden künftig ihren Beitrag zur Gesellschaft in einer Art leisten, die nicht mehr in üblichen ökonomischen Kategorien wie Bruttoinlandsprodukt gemessen werden könne. Bisher hat man von Zauberer Trump nicht gehört, ob er auch dafür passende Kaninchen in seinem Hut hat. Wie es aussieht, hat er nicht einmal den passenden Hut. Sein Finanzminister Steven Mnuchin erklärte, die Gefahr, dass Automatisierung amerikanische Jobs wegnehmen würde, sei "nicht einmal auf unserem Radar".