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Familiäre Fürsorge in Eigenregie

Von Brigitte Suchan

Wissen

Die "generelle Diskriminierung der Alten" hat Wiens Pflegeombudsmann Werner Vogt jüngst als Ursache für die Probleme im Pflegebereich genannt. Die Menschen werden immer älter, das Gesundheitssystem wird immer teurer. Das Zauberwort zur Lösung aller Fragen heißt Hauskrankenpflege. Derzeit sind in Österreich rund 600.000 Menschen hilfs- und pflegebedürftig. Schon jetzt werden 80 Prozent davon von der Familie oder Bekannten in ihrem eigenen Umfeld betreut.


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Das Klischee vom Alters- oder Pflegeheim als üblichem Lebensraum für alte Menschen stellt laut Angaben des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) eine Verzerrung der Wirklichkeit dar. Denn etwa 93 Prozent der über 75-Jährigen leben in Österreich entweder alleine oder mit Angehörigen zu Hause.

Immer mehr Menschen wollen in ihren eigenen vier Wänden professionell gepflegt und betreut werden. Statistisch gesehen ist jede vierte Familie in Österreich mit der Problematik von Hilfs- oder Pflegebedürftigkeit unmittelbar konfrontiert. Immer mehr Angehörige sind bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Pflege daheim kann allerdings nur dann gelingen, wenn die geeigneten Rahmenbedingungen vorhanden sind. Dazu gehört u.a. das Inanspruchnehmen von professionellen Hilfsdiensten.

Hauskrankenpflege wird von diplomierten Pflegefachkräften und Pflegehelfern in Zusammenarbeit mit dem Hausarzt ausgeführt. Die mobilen Pflege- und Betreuungsdienste des Roten Kreuzes bieten ein Bündel von Dienstleistungen in diesem Bereich an als Ergänzung der Betreuung durch die Familie, Freunde oder Nachbarn. Der freiwillige Besuchsdienst kann zum Beispiel das familiäre Unterstützungsnetz ergänzen. In manchen Regionen gibt es freiwillige Hospizgruppen, deren ausgebildete Mitarbeiter bei der Begleitung schwer kranker und sterbender Angehöriger zur Seite stehen.

Der Essensdienst entlastet den Pflegenden bei der Zubereitung von Mahlzeiten. Die Heimhilfe und die Alten- und Pflegehilfe des Roten Kreuzes helfen ganz allgemein, den Alltag zu bewältigen. Von Hilfestellungen bei der persönlichen Hygiene und beim An- und Auskleiden über Haushaltsarbeit bis hin zur Begleitung bei Behördenwegen oder Arztbesuchen reicht die Aufgabenstellung.

Unbezahlt und unbedankt

Pflegende Angehörige sind fester und notwendiger Bestandteil des Gesundheits- und Sozialsystems, das auf diese "selbstverständlichen" und nicht budgetrelevanten Leistungen baut. Das Pflegegeld leistet zwar einen Beitrag zur Abdeckung zusätzlich anfallender Kosten, Pflegende brauchen aber auch eine ideelle und praktische Form der Unterstützung. Pflegeombudsmann Werner Vogt spricht in diesem Zusammenhang von der "gesellschaftlichen Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen, die gepflegt werden müssen", was auch auf das Pflegepersonal bzw. die Pflegenden negativ abfärbe.

Angehörige, die ständig jemanden pflegen müssen, sind großen physischen, psychischen, sozialen und materiellen Belastungen ausgesetzt - und sie sind in der überwiegenden Mehrzahl weiblich. Fast 80 Prozent der Hauptbetreuungspersonen von Pflegegeldbeziehern sind Frauen; die Hälfte davon im Alter zwischen 41 und 60.

Pflegen ist eine anstrengende, kraftraubende Tätigkeit. Pflegende klagen über Verschleißerscheinungen von Gelenken, Rücken-, Schulter- und Hüftleiden, Kopf- und Gliederschmerzen sowie nervöse Zustände und Erschöpfung. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die meisten Frauen, die einen Angehörigen pflegen, selbst berufstätig sind und eine eigene Familie haben und somit der klassischen Mehrfachbelastung ausgesetzt sind.

Pflegende Männer sind meist über 60 und nicht mehr erwerbstätig.

Damit die Pflege eines Angehörigen nicht zur Psychofalle wird, empfehlen Experten Kommunikation - mit der Familie, Verwandten, Freunden, Kollegen, dem Hausarzt - und positives Denken. Die - freiwillige! - Betreuung und Pflege eines nahe stehenden Menschen kann schließlich auch eine Bereicherung des eigenen Lebens sein.

Unter dem Motto "Pflege daheim - leicht(er) gemacht" bietet das ÖRK ein umfangreiches Schulungsangebot für pflegende Angehörige. Kurzzeitpflegeplätze für den Fall, dass die Pflegeperson ausfällt, werden von fast allen Alten- und Pflegeheimen angeboten. Die Rotkreuz-Hauskrankenpflege hilft bei der Vermittlung.

Altenheime vor dem Aus?

"In zehn Jahren sind klassische Altenheime bei uns kein Thema mehr", betonte Herm Leenders, Direktor mehrerer Pflegeheime sowie Direktionsmitglied von "ORBIS Medisch en Zorgconcern" in den Niederlanden anlässlich einer Tagung zu dem Thema "Lebens- und Wohnformen im Alter".

Während man früher in der Annahme ältere Menschen brauchten Ruhe Pflegeheime jahrzehntelang an den Rand der örtlichen Gemeinschaftsstrukturen stellte, beginnt allmählich ein Umdenkprozess. So entstehen Wohnformen, in denen beispielsweise ein Kindergarten und ein Pflegeheim unter einem Dach zusammengeführt werden. Dieses Modell aus Vorarlberg hat nach anfänglicher Skepsis mittlerweile alle überzeugt.

Anderswo werden gezielt Wohnanlagen für ältere Menschen errichtet. Pflegedienste und medizinische Betreuung können bei Bedarf ins Haus geordert werden. Indem Menschen mit unterschiedlichen Krankheitsbildern zusammengeführt werden, können sie einander in vielen Bereichen aushelfen und unterstützen. "Betreutes Wohnen" gehört in Deutschland mittlerweile zu den am meisten nachgefragten Wohnformen.

Das Thema beginnt auch schon die Industrie zu interessieren. Das Unternehmen Wiesner-Hager Möbel will die Entstehung neuer Wohnformen durch die Entwicklung neuer Einrichtungsgenerationen weiter vorantreiben. Ein unabhängiges Institut für soziales Design wurde mit der Erstellung eines Pflichtenhefts für Möbel im medizinisch-pflegerischen Sektor beauftragt. Ein Team aus Psychologen, Ergotherapeuten und Kommunikationsdesignern widmet sich der Frage, wie Möbel aussehen müssen, um ältere, teilweise pflegebedürftige oder demente Menschen optimal zu unterstützen.

Information: http://www.hauskrankenpflege.at