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"Familien müssen das Kindergeld retournieren"

Von Reinhard Binder

Politik

Haupt-Weisung: Genießen Bezieher Vertrauensschutz? | Rückwirkende Sanierung als Lösung. | Wien. Juristen sind sich einig: "Wer zu Unrecht Kindergeld bezogen hat, muss das Geld zurückzahlen." Sie sehen kaum Chancen auf eine erfolgreiche Anfechtung des Rückzahlungsbescheides vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH). Rund 250 Rückzahlungsbescheide für das Kindergeld werden in diesen Tagen den betroffenen Jungfamilien zugestellt.


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Martin Binder, Experte für Arbeits- und Sozialrecht der Leopold Franzens Uni in Innsbruck, hält den Erlass des ehemaligen Sozialministers Herbert Haupt für "rechtswidrig", in dem auf eine Rückforderung zu Unrecht bezogenen Kindergelds verzichtet wird. Im Kindergeldgesetz fehle jeder Spielraum für eine solche Verordnung. Binder begründet dies mit dem Legalitätsprinzip der Bundesverfassung: Eine Verwaltungsbehörde darf nur auf Grund der Gesetze handeln. Das Kindergeldgesetz sehe nur eine Verordnungsermächtigung für Härtefälle vor, aber keine Möglichkeit eines generellen Rückforderungsverzichts, so Binder.

Kdolsky hat angekündigt, Härten vermeiden zu wollen. Sie stützt sich dabei auf die Härtefälle-Verordnung. Diese besagt, wer die Zuverdienstgrenze um mehr als 15 Prozent überschreitet, muss das Kindergeld zurückzahlen. Das Gesetz erlaubt nur eine geringfügige und unvorhersehbare Überschreitung. Wenn jemand etwa nach einem Monat einen hochbezahlten Job annimmt, ist das für Binder ein nicht zu billigendes Verhalten des Beziehers.

"Diese Unkultur darf nicht einreißen", meinte auch Reinhard Resch, Sozialrechtsexperte aus Linz. "Wer auf der Autobahn zu schnell fährt, ist auch selbst verantwortlich." Auch wenn nur in Stichproben überprüft wurde, hat für Stefan Greimel vom Institut für öffentliches Recht der Universität Graz keiner der Betroffenen einen Anspruch auf "Gleichheit im Unrecht."

Betroffene sollen

Bescheid anfechten

Fraglich bleibt, ob die Betroffenen wegen der Haupt-Weisung einen Vertrauensschutz genießen. Der Salzburger Sozialrechtler Walter Pfeil hält diese schwierige Frage für noch nicht ausjudiziert. "Sobald ein Gesetz gehörig kundgemacht worden ist, kann sich niemand damit entschuldigen, dass ihm dasselbe nicht bekannt sei." Außerdem sei laut VfGH das Legalitätsprinzip stärker als Treu und Glauben.

Pfeil und Greimel sehen als Lösung eine rückwirkende Sanierung des Gesetzes. Die Betroffenen sollen auf jeden Fall den Bescheid anfechten und auf eine gerichtliche Klärung hoffen. Kosten entstünden keine, weil vor dem Arbeits- und Sozialgericht kein Anwaltszwang besteht.

Die Verantwortung liege laut Experten beim ehemaligen Sozialminister. Binder kritisiert den "schlampigen Umgang" mit dem Steuergeld. Ein Minister sei verpflichtet, eine offensichtlich rechtswidrige Verwaltungspraxis abzustellen. Resch bezeichnet Haupts Weisung als "eklatante Gesetzesverletzung". Laut Experten könnte Haupt zivilrechtlich mittels Organhaftung belangt werden. Sogar eine strafrechtliche Anklage wegen Missbrauchs der Amtsgewalt wäre denkbar.

Geht es nach dem Finanzrechtler Werner Doralt, gibt es für die Betroffenen dennoch eine Chance. Sie könnten die Zuverdienstgrenze anfechten. Diese sei verfassungwidrig, denn die Einkünftegrenze sei je nach Einkunftsart leicht zu manipulieren. Auch, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht in die Grenze eingerechnet werden, sei bedenklich. Greimel kontert: Zuverdienstgrenzen seien im Sozialversicherungsrecht durchaus üblich.