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Studien: Struktur der Familie ist unerheblich, wichtig fürs Kind ist Beziehungsqualität.
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Wien. "Eine Zunge ist eine Zunge, ein Mund ist ein Mund." Gelegentlich muss Stefan ganz von vorne anfangen. Dann fragt er genau nach, warum sein Gegenüber ein Problem mit Homosexuellen hat. "Entweder, meine Nachfrage bringt sie sofort zum Nachdenken, oder sie sagen ‚es ekelt mich an, wenn ich sehe, wie sich zwei Homosexuelle auf der Straße küssen‘." Dann erklärt er, dass ein Mund ein Mund ist . . .
Als Sohn einer lesbischen Mutter kommt der 18-Jährige öfter in die Situation, sich erklären zu müssen. In der Volksschule kamen die Schulkollegen interessiert zu ihm und wollten wissen, wie es ist, mit zwei Frauen zusammenzuleben. Später, im Gymnasium, musste sich Stefan auch mit Hänseleien herumschlagen. Da hat er gelernt, zu argumentieren. "Und damit habe ich immer die bessere Position, da geht den Leuten schnell die Luft aus."
Gefragt, wie ihn seine familiäre Situation geprägt hat, meint er: "Meiner Erfahrung nach haben Kinder aus Regenbogenfamilien eine humanitärere Herangehensweise an unterschiedlichste Themen. Unsere Toleranzgrenze ist sehr hoch." Er selbst sei erzogen worden, "dass man den Menschen eine Chance geben soll, egal woher sie kommen." Als Schwäche sieht er, dass er gelernt hat, alles zu hinterfragen: "Ich habe manchmal Probleme mit Autoritäten - wenn mir jemand etwas anschafft, muss er das begründen."
Die Debatte um das Kindeswohl in einer homosexuellen Partnerschaft ist mit dem Vorstoß von ÖVP-Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter, der entgegen der Linie seiner Partei ein Adoptionsrecht für Homosexuelle gefordert hat, wieder aufgeflammt. Es gibt keine Statistik darüber, wie viele Kinder das in Österreich sind, in Deutschland sind es 30.000 bis 35.000. In der emotional geführten Diskussion werden stets zwei Hauptargumente gegen Regenbogenfamilien vorgebracht: Kinder brauchten Vater und Mutter, zudem gebe es nicht genug Langzeitstudien über die Auswirkungen einer gleichgeschlechtlichen Elternschaft auf die psychosoziale Entwicklung des Kindes.
Ersteres wurde unter bestimmten Voraussetzungen widerlegt - und zwar in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen, darunter auch Langzeitstudien wie die USA National Longitudinal Lesbian Family Study, die seit den 1980ern die Entwicklung von Kindern in lesbischen Familien verfolgt. Der Sukkus ist überall gleich: "Entscheidend für die Entwicklung der Kinder ist nicht die Struktur der Familie, sondern die Qualität der innerfamilialen Beziehungen", heißt es etwa in einer Untersuchung, die 2009 im Auftrag des deutschen Justizministeriums erstellt wurde. Darin wird deutlich, dass sich Regenbogenkinder nicht anders entwickeln als Kinder in heterosexuellen Kern- oder Patchworkfamilien. Sie sind aber toleranter und verfügen über ein höheres Selbstwertgefühl. Zwar sind sie häufiger als Kinder Heterosexueller Diskriminierungen ausgesetzt, können aber tendenziell besser damit umgehen und entwickeln eine höhere psychische Stärke (Resilienz).
"Für mich war die Norm, zwei Mütter zu haben"
Gefragt, ob er seinen Vater vermisst hat, meint Stefan: "Für mich war die Norm, dass zwei Frauen ein Kind haben. Als ich in den Kindergarten kam, sagte ich zu meiner Mutter ‚irgendwas ist bei den anderen Kindern ganz komisch, die haben alle einen Vater‘." Mit vier Jahren hat er seinen als solchen kennengelernt - einen engen Freund der Mutter, den er schon immer kannte und mit dem er sich bis heute sehr gut versteht. "Ich wage nicht zu sagen, dass man keine männliche Bezugsperson braucht, weil ich eine hatte. Aber ganz sicher braucht man Menschen um einen herum, die einen lieben."
Genauso sieht das auch Barbara Schlachter, Obfrau des Vereins FamOS (Familien Andersum Österreich), der erste in Österreich, der sich gezielt um die Interessen und die Beratung von Regenbogenfamilien kümmert. "Ein Kind braucht männliche und weibliche Rollenvorbilder - aber die müssen nicht zwingend im selben Haushalt leben," so Schlachter. Ihr Sohn habe zum Beispiel zwei aktive Großväter und vier Onkel. "Homosexuelle Paare sind sehr bewusste und verantwortungsvolle Eltern und damit sehr darauf bedacht, dass es den Kindern gut geht", sagt sie. Der Verein organisiert auch regelmäßige Treffen von Kindern in ähnlichen Familiensituationen: "Das trägt enorm dazu bei, dass sich unser Sohn nicht als Exot fühlt."
Allen Studien zufolge hinterfragen Kinder in homosexuellen Beziehungen eher Geschlechterstereotype. Das kann Schlachter - noch - nicht bestätigen. Ihr mittlerweile fünfjähriger Sohn "ist ein typischer Bub. Alles, was Rosa ist, ist ‚bäh‘". Was die eigene Sexualität betrifft, haben Regenbogenkinder keine höhere Tendenz, homosexuell zu werden, sind aber experimentierfreudiger. Stefan hat einiges ausprobiert, möchte sich aber nicht endgültig auf eine sexuelle Neigung festlegen.
Irgendwo muss doch der Haken sein, fragt man sich automatisch. Dass der nicht zu finden ist, zeigt folgende Geschichte: Im Zusammenhang mit dem Verbot künstlicher Befruchtung für lesbische Paare hat die Bioethikkommission 2012 auf Einladung des VfGH eine Stellungnahme abgegeben. Nach einer Analyse vieler Studien zum Kindeswohl kommt die Kommission mit Dreiviertelmehrheit zu dem Schluss, dass es keine sachliche Rechtfertigung gibt, lesbischen Paaren künstliche Befruchtung zu verbieten. Darüber hinaus müsste schwulen Paaren die Adoption offen stehen.
Sechs Mitglieder der Kommission meinten in einer abweichenden Stellungnahme etwa, dass das Verbot positiv sei, um gespaltene Familienstrukturen von Anfang an zu vermeiden. Der VfGH folgte nicht nur der Argumentation der Mehrheit, sondern vernichtete in seiner Entscheidung zugunsten der Samenbank-Nutzung für Lesben die Minderheitsmeinung. Zu behaupten, dass es für ein Kind besser sei, gar nicht geboren zu werden als als Kind einer lesbischen Mutter, sei menschenwürdeverletzend, so die sichtlich empörten Höchstrichter.
Bioethikkommission: Adoption muss möglich sein
"Alleine schon aus dem Prinzip der Gerechtigkeit ist es wichtig, dass die Adoption geöffnet wird", sagt die Vorsitzende der Bioethikkommission, Christiane Druml, dazu. Und: "Wir müssen uns endlich von der Ansicht trennen, dass nur der Weg, den man selbst geht, der einzig richtige ist."
Auch Schlachter fordert die rechtliche Gleichstellung bei der Adoption und die Öffnung der Ehe, "denn eine hundertprozentige Gleichstellung ist auch für die Kinder wichtig". Und sie mahnt eine Sensibilisierung in Kindergärten und Schulen ein.
Und hätte Stefan gerne ein anderes Leben gelebt? "Ich würde dieses Leben wieder wählen, auch wenn es nicht einfach war. Der Vorteil ist auch, dass sich meine Eltern nicht trennen können, weil sie nie zusammen waren."