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Familienvater als Terror-Kommandant?

Von Daniel Bischof

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Wien gegen einen mutmaßlichen ranghohen Terroristen liegt der "Wiener Zeitung" vor.


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Wien. In einem vergleichsweise kleinen Verhandlungssaal des Straflandesgerichts Wien wird bald über einen weltpolitischen Konflikt gesprochen werden: Den Tschetschenien-Konflikt. Es ist ein Konflikt, der seit über zwei Jahrzehnten kein Ende finden mag und bereits mindestens 170.000 Menschenleben gefordert hat. Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte Tschetschenien 1991 seine Unabhängigkeit. Russland akzeptierte diese Entscheidung nicht und marschierte 1994 in Tschetschenien ein. Seitdem kämpfen tschetschenische Separatisten und terroristische Gruppierungen gewaltsam um die Unabhängigkeit der russischen Teilrepublik und die Errichtung eines islamischen Gottesstaates im Nordkaukasus. Terroranschläge und Antiterrorkämpfe, hunderttausende Tote und Vertriebene prägen die blutige Geschichte Tschetscheniens.<p>Eine Episode des scheinbar so weit entfernt liegenden Konflikts beschäftigt nun das Wiener Straflandesgericht. Am vergangenen Donnerstag hat die Staatsanwaltschaft Wien Anklage gegen den 38-jährigen I. eingebracht. Die 34-Seiten starke Anklageschrift liegt der "Wiener Zeitung" vor. I. soll Mitglied der tschetschenisch-separatistischen und radikalislamisch-sunnitischen Terrorgruppe "Emirat Kaukasus" und an der vorsätzlichen Tötung von drei georgischen Sicherheitskräften beteiligt gewesen sein.

Er soll versucht haben, mit einer von ihm befehligten Militärgruppe von Georgien aus auf russisches Territorium vorzudringen, um dort Terrorakte zu verüben. Ihm werden die Verbrechen der terroristischen Vereinigung und der terroristischen Straftaten – dazu zählt die ihm angelastete Ermordung der georgischen Streitkräfte – vorgeworfen.

Sorgepflicht für sechs Kinder

Der 38-Jährige (Verteidiger: Wolfgang Blaschitz) ist russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Herkunft. Bereits 1999 soll er in Kämpfe im Nordkaukasus verwickelt gewesen sein. Danach soll er nach eigenen Angaben eine militärische Formation von etwa 34 Personen befehligt haben. Er soll mehrere Verletzungen erlitten haben und nicht mehr kampffähig gewesen sein. 2005 flüchtete er nach Österreich und stellte einen Asylantrag. Dieser wurde ihm 2009 in zweiter Instanz positiv beschieden. I. ist verheiratet und hat Sorgepflichten für sechs Kinder. Zuletzt ging er keiner Beschäftigung nach.

Ende Juli 2012 soll er laut Anklage von Österreich nach Georgien gereist sein. Dort soll er ein Monat später mit 16 weiteren Mitgliedern des "Kaukasus Emirats" zusammengetroffen sein und das Kommando über die bewaffnete und gut ausgestattete Gruppe übernommen haben. Das "Emirat Kaukasus" will die Errichtung eines unabhängigen radikalislamischen Gottesstaates auf Basis der Scharia in Tschetschenien und weiteren Gebieten des Nordkaukasus erreichen. Dabei setzt die Gruppierung auf Terroranschläge – unter anderem bekannte sie sich in einem Internetvideo zum Anschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedowo im Jänner 2011, bei dem 37 Menschen starben. Sie wird von der UN als Terrorvereinigung gelistet.

Das Ziel der angeblich von I. kommandierten Truppe soll die Verübung terroristischer Straftaten auf russischem Territorium gewesen sein. Dazu soll die Gruppe von 26. bis 28. August 2012 vom georgischen Lopota-Tal zur Grenze der russischen Teilrepublik Tschetschenien marschiert sein. Dabei sollen sie zufällig auf mehrere georgische Männer gestoßen sein, die auf einem Jagdausflug waren. Unter Vorhalt von Schusswaffen sollen sie diese gezwungen haben, sie zu begleiten und ihre Ausrüstungsgegenstände zu tragen. Drei Männer sollen von der Gruppe in der Nacht mit Seilen festgebunden worden sein. Um einen Fluchtversuch zu verhindern, soll an einem Seil eine scharfe Handgranate befestigt worden sein.

Am 28. und 29. August kam es dann zu einem verhängnisvollen Feuergefecht im Grenzgebiet, nachdem die mutmaßliche Gruppierung von georgischen Sicherheitskräften gestellt wurde. Sieben angebliche Gruppenmitglieder und drei Angehörige der georgischen Sicherheitskräfte starben, fünf weitere wurden verletzt. Unter den toten Kämpfern befanden sich zwei Männer, denen in Österreich Asyl gewährt wurde.

I. soll an dem mehrstündigen Feuergefecht teilgenommen haben, Schüsse abgegeben und auch Befehlsgewalt über weitere Kämpfer ausgeübt haben. Er soll gemeinsam mit weiteren Kämpfern entkommen sein. Einige sollen sich später dem sogenannten Islamischen Staat in Syrien oder anderen Terrormilizen angeschlossen haben. I. soll rund um den 8. Dezember 2012 nach Österreich zurückgekehrt sein.

Russischer Spitzel

Das geplante Vorhaben der Gruppe soll deshalb aufgeflogen sein, weil sich zumindest ein russischer Geheimdienstagent unter ihnen befunden haben soll. Er soll kurz vor dem geplanten Aufbruch eine Nachricht an Russland übermittelt haben. Es sei laut Staatsanwaltschaft Wien davon auszugehen, dass Russland Georgien mit ernsten Konsequenzen gedroht habe, sollte es der Gruppe gelingen, die Staatsgrenze zu überschreiten.

Russland und Georgien führten im August 2008 einen kurzen Krieg. "Die georgischen Verantwortlichen waren äußerst besorgt über die mögliche russische Reaktion ... Es wurden Befürchtungen geäußert, wonach russische Streitkräfte ... sogar auf die Hauptstadt Tifilis selbst vorrücken könnten", so die Anklage.

Im Laufe des Ermittlungsverfahrens änderte I. seine Angaben mehrmals. So wurde er laut Anklage 2013 selbstständig beim Landesamt für Verfassungsschutz vorstellig und gestand aus freien Stücken seine Beteiligung ein. "Ein besonderes Anliegen war ihm gewesen, die seiner Ansicht nach falsche Darstellung zu "korrigieren", wonach sieben tschetschenische Kämpfer, jedoch nur drei Angehörige der georgischen Sicherheitskräfte getötet wurden; er behauptete, dass es tatsächlich sehr viel mehr Tote auf georgischer Seite gegeben habe", soll er laut Anklage geprahlt haben.

Laut Staatsanwaltschaft Wien behauptete I. dann 2017, er sei seit 2005 Mitarbeiter des russischen militärischen Nachrichtendienstes GRU gewesen. Er habe die Aufgabe gehabt, Informationen über das Vorhaben an Russland weiterzuleiten und die Begehung terroristischer Straftaten zu verhindern. Die im Rechtshilfeweg eingeholten Auskünfte von russischer Seite konnten das bisher nicht bestätigen.

I. befindet sich derzeit in Untersuchungshaft. Die österreichische Gerichtsbarkeit über den Fall ist deshalb gegeben, weil I. bei seiner Betretung seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz im Inland hatte. Außerdem sollen einzelne Tathandlungen, die ihm Rahmen des Verbrechens der terroristischen Vereinigung zuzurechnen seien, in Österreich begangen worden sein. Etwa die Vorbereitung der inkriminierten Tat. Über die Schuld von I. werden acht Geschworene zu entscheiden haben. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest.