Die USA töteten im Irak auch Milizenführer Muhandis. Dessen Kata’ib Hisbollah drängt auf Rache für den Tod ihres Chefs.
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Am Tahrir-Platz in Bagdad brennen wieder Fahnen. Während vor nicht einmal zwei Wochen iranische Flaggen dort in Flammen aufgingen, sind es jetzt die "Stars and Stripes". Manchmal sieht man auch einen Davidstern, der brennt. Die Prioritäten haben sich geändert, seitdem die USA den iranischen General Qassem Soleimani am Bagdader Flughafen getötet haben. Zwar hat die Protestbewegung im Irak schon immer dafür demonstriert, dass alle ausländischen Truppen den Irak verlassen, aber an erster Stelle auf den Plakaten stand stets der Iran, dann die USA und an dritter Stelle die Türkei. Jetzt ist nur noch von den USA und den mit ihnen verbündeten Israelis die Rede, die viele in Bagdad als Drahtzieher hinter dem Attentat sehen. Es heißt, Israels Geheimdienst Mossad habe den Amerikanern die Information gegeben, dass der iranische General, Chef der al-Quds-Brigaden und Kommandant einiger Schiitenmilizen im Irak, am Morgen des 3. Jänner in Bagdad am Flughafen ankomme. Dass der stellvertretende Vorsitzende der irakischen Hashd al-Shaabi und Gründer der Katai’b Hisbollah, Abu Mahdi Al Muhandis, auch dem Mordkommando zum Opfer fiel, tritt dabei oft in den Hintergrund. Es ist aber wichtig, wenn man die Reaktion der irakischen Milizen verstehen will. Denn diese verüben fast täglich Raketenangriffe auf amerikanische Ziele, sei es die US-Botschaft in Bagdad oder Militärbasen, die auch von US-Soldaten genutzt werden.
Muhandis besaß zwar einen iranischen Pass, war aber im südirakischen Basra geboren worden. Seine Mutter war Iranerin, der Vater Iraker. Muhandis wurde von Saddam Hussein verfolgt und floh in den Iran. Eine Karriere, die einem tausende Male im Irak begegnet. Er begann eine Zusammenarbeit mit den iranischen Pasdaran, den Revolutionsgarden, und organisierte Angriffe auf Botschaften von Ländern, die Saddam im Iran-Irak-Krieg unterstützten. Einige Stunden nach dem Anschlag auf die Botschaften der USA und Frankreichs in Kuwait am 12. Dezember 1983 floh er wiederum in den Iran. Wegen der Planung der Angriffe wurde er von einem kuwaitischen Gerichtshof in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Nach dem Sturz des Diktators kehrte er in den Irak zurück und gründete Kata’ib Hisbollah, die die Amerikaner für die neuerlichen Anschläge und den Tod eines US-Soldaten in Kirkuk verantwortlich machen. Soleimani und Muhandis waren also Weggefährten.
100.000 Milizionäre in den irakischen Sicherheitskräften
Da Rache ein fester Bestandteil der arabischen Kultur ist, können die Milizionäre von Kata’ib Hisbollah den Tod ihres Chefs nicht ungesühnt lassen, obwohl US-Vizepräsident Mike Pence von einer Deeskalationsstrategie des Irans sprach: "Offen gesagt, wir erhalten einige ermutigende Geheimdienstinformationen, nach denen der Iran Botschaften an eben diese verbündeten Milizen schickt, sich nicht gegen amerikanische Ziele oder Zivilisten zu wenden." Der Iran hatte als Reaktion auf die Ermordung seines Generals Militärbasen in der irakischen Provinz Anbar, im Norden von Bagdad und im kurdischen Erbil bombardiert, bei denen aber keine Personen zu Schaden gekommen sind. Jetzt steht die Frage im Raum, ob die ansonsten iranhörigen Milizen im Irak auf die Mäßigung Teherans reagieren.
"Die Amerikaner sind das große Übel", sagt Abu Jasar al-Jafari am Telefon in Basra. Er spricht mit leiser Stimme, so als ob niemand ihn hören soll. Der Mann Mitte 40 ist Kommandant der Hashd al-Shaabi in Iraks Südmetropole, wo viele der im Verbund Volksmobilisierungsfront zusammengeschlossenen Schiitenmilizen ihren Hauptsitz haben. Zum Kampf gegen den IS gegründet, zählten sie zeitweilig bis zu 30 unterschiedliche Gruppierungen. Kata’ib Hisbollah war eine davon. Ein Kommandochaos war die Folge. Abu Jasar lobte die Rolle Soleimanis, der versuchte, Ordnung in dieses Chaos zu bringen. "Offiziell war er Militärberater der irakischen Regierung." 2013 war Abu Jasar bei der Sondereinheit des damaligen Premiers Nuri al-Maliki in Falludscha, der ersten Stadt, die die Terrormiliz schon im Jänner 2014 einnahm. Danach ging er nach Tikrit und kämpfte auf Seiten der Hashd-Milizen. Immer war Soleimani dabei. "Der Sieg über den IS war für uns ein Segen", sagt Abu Jasar auf die Zukunft der Milizen angesprochen. 100.000 Milizionäre seien inzwischen fester Bestandteil der irakischen Sicherheitskräfte und direkt dem Premierminister unterstellt. "Auch wenn Sie mir es vielleicht nicht glauben, wir verteidigen den Prozess der Demokratie, der derzeit im Irak läuft." Insofern gäbe es doch Schnittmengen mit den Amerikanern? Nein, antwortet Abu Jaser, es gebe keine Kooperation. Die Leute im Süden Iraks würden die Amerikaner hassen. Sie seien Heuchler. Das einzige Interesse, das US-Präsident Donald Trump am Irak habe, sei das Öl.
Enttäuscht von Bush seniorund Bush junior
Doch der Hass auf die Amerikaner besteht nicht erst seit Trump. Als George Bush Vater 1991 die irakischen Truppen aus Kuwait vertrieb und eigentlich schon damals auf den Sturz Saddam Husseins abzielte, ermutigte er die Schiiten im Süden, gegen Saddam zu rebellieren. Bei Nasserija, 280 Kilometer vor Bagdad, änderte er seine Meinung und zog die Truppen wieder ab. Die Schiiten fühlten sich betrogen. Saddam rächte sich bitter. Tausende kamen grausam zu Tode, Tausende flohen in den Iran. Als Bush Sohn dann 2003 in den Irak einmarschierte, keimte ein zweites Mal Hoffnung bei den Schiiten auf. Doch wieder wurden sie enttäuscht. Zwar wurde Saddam gestürzt, aber der Irak versank im Chaos. Eigentlich könnte man annehmen, dass gerade bei den Schiiten eine bestimmte Dankbarkeit oder zumindest Sympathie gegenüber den Amerikanern herrscht, denn sie haben in den vergangenen Jahren immer mehr an Macht gewonnen. Doch der Irak taumelt von einer Krise in die andere, von einem Konflikt in den nächsten. Für die Misere, in der sich ihr Land befindet, machen die jungen Demonstranten in Basra, Nasserija, Kerbela, Najaf und Bagdad zwar in erster Linie die eigene, schiitische Regierung verantwortlich, aber auch die Amerikaner, die Exiliraker an die Macht gebracht hätten, die sie jetzt nicht mehr loswürden.