Die Bildersprache Terry Gilliams ist visionär, opulent, manchmal auch ausufernd und verstörend, seine Geschichten sind Märchen mit realem Hintergrund - und sein neuer Film "Das Kabinett des Doktor Parnassus" ist da keine Ausnahme.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ein 1000 Jahre alter Mann zieht mit einem heruntergekommenen Wandertheater und einem magischen Spiegel, durch den die Menschen in die Welt ihrer eigenen Imagination gelangen können, durch die Lande, strandet in London. Seine Unsterblichkeit hat er sich durch einen Pakt mit dem Teufel erkauft. Doch der Preis ist hoch - an ihrem 16. Geburtstag soll seine Tochter dem Leibhaftigen gehören. Außer es gelingt ihm, fünf "Ersatzseelen" zu beschaffen.
Die Geschichte über das teuer erkaufte ewige Leben, die so alt wie die Menschheit ist, hat der visionäre Gestalter der anarchischen britischen Komikertruppe Monty Python in gewohnt üppige Bilder gepackt, denen man sich ab sofort in den heimischen Kinos hingeben kann. Dass es jedoch je so weit kommen würde, war nicht sicher, denn während der Dreharbeiten starb am 22. Jänner 2008 plötzlich und unerwartet der Hauptdarsteller Heath Ledger. Das stürzte Gilliam in ein tiefes kreatives Loch, er wollte den Film nicht fortsetzen, bis ihn seine Tochter Amy und die Crew schließlich dazu brachten, Ledgers Freunde Johnny Depp, Jude Law und Colin Farrell anzurufen und sie zu fragen, ob sie die Traumsequenzen übernehmen könnten. Sie konnten - und "Das Kabinett des Doktor Parnassus" war gerettet.
Filmische Höhepunkte. Gilliam hatte schon oft Schwierigkeiten mit seinen Projekten. Er selbst sagte einmal, wann immer er in Hollywood vorsprach, um Geld für einen Film aufzustellen, ihm die Produzenten und Studiobosse sagten, dass sie jeden seiner Filme lieben würden, doch gerade bei diesem seien sie nun nicht sicher: "Ich höre das seit 25 Jahren und die Liste der Filme, die sie lieben, wird immer länger. Das Wort nach aber ist jedoch immer das gleiche. Es macht mich müde."
Nach seinem Regiedebüt 1975 mit dem Monty-Python-Film "Die Ritter der Kokosnuss" legte der ehemalige Satire-Zeichner und Politikwissenschaftstudent "Jabberwocky" nach. 1981 folgte die äußerst erfolgreiche Komödie "Time Bandits", 1985 kam "Brazil" auf die Leinwände und etablierte Gilliams Ruf als sozialkritischer Regisseur mit einer unglaublich ergiebigen Fantasie und einer charakteristischen Bildersprache. 1988 floppte jedoch "Die Abenteuer des Baron Münchhausen" an den Kinokassen und Gilliam nahm in den 1990er Jahren mehrere Auftragsarbeiten an: Dass "Der König der Fischer" und "12 Monkeys" dabei zu seinen größten Erfolgen gehören würden, hatte er anfangs selbst nicht gedacht. Mit "Fear and Loathing in Las Vegas" mit Johnny Depp erlangte er zwar keinen kommerziellen Erfolg, dafür aber Kultstatus.
Der 2005 präsentierte "Brothers Grimm" wurde zwar von der Kritik verrissen, erfreute sich aber erstaunlich hoher Besucherzahlen. "Tideland" dagegen, das wegen des geringen Budgets kaum beworben wurde, heimste einige Preise ein und zeigte wieder viel von der für Gilliam typischen Skurrilität.
Verpasste Gelegenheiten. An "The Man Who Killed Don Quixote" hatte Gilliam bereits zehn Jahre gearbeitet, bevor er sich im Jahr 2000 mit Johnny Depp und Jean Rochefort in den Hauptrollen an die Dreharbeiten machte. Doch es sollte das größte Desaster in seiner filmischen Laufbahn werden: Es regnete ständig, Kampfflieger störten die Geräuschkulisse und Rochefort konnte wegen gesundheitlicher Probleme plötzlich nicht mehr reiten. Nach dem Abbruch gingen die Filmrechte an die Versicherung über, und Gilliam konnte nicht mehr darauf zugreifen. Dieses Problem scheint allerdings nunmehr behoben zu sein, denn der Regisseur bestätigte in einem Interview, dass er heuer wieder an "The Man Who Killed Don Quixote" weiterarbeiten werde.
Kein Glück hatte er auch mit "The Defective Detective": Der Film über einen heruntergekommenen Detektiv war zuerst nach "König der Fischer", dann nach "12 Monkeys" geplant. Nicolas Cage hatte für die Hauptrolle bereits zugesagt, doch die Paramount-Studios wollten den Film nicht finanzieren. Gilliam war tief enttäuscht, dass Hollywood nach diesen beiden Riesenerfolgen immer noch kein Vertrauen in ihn hatte.
Nach "Jabberwoky" arbeitete Gilliam an "Theseus and The Minotaur", war jedoch mit dem von ihm selbst verfassten Drehbuch nicht zufrieden. Auch die Überarbeitung desselben nach "12 Monkeys" entsprach nicht seinen hohen Anforderungen, das Projekt blieb bislang in der Lade.
1994 beschäftigte er sich mit "A Tale of Two Cities" das er mit Mel Gibson in der Hauptrolle verfilmen wollte. Der entschied sich jedoch für "Braveheart" und der als Ersatz vorgeschlagene Liam Neeson gefiel offensichtlich den Studios nicht, denn sie kürzten das Budget um die Hälfte - was wiederum Gilliam nicht akzeptierte und aus dem Projekt ausstieg.
Auch "Good Omens" scheiterte am Geld, denn trotz der Zusage von Johnny Depp, die Hauptrolle zu übernehmen, fehlten 15 Millionen Dollar für die Realisierung.
An "A Scanner Darkly" arbeitete Gilliam ebenfalls nach "König der Fischer", doch Hollywood hielt die Geschichte für zu düster. 2006 war es dann doch soweit, allerdings unter der Regie von Richard Linklater. Der erhoffte große Erfolg blieb allerdings aus.
Ein ähnliches Schicksal erwartete Gilliam mit "Watchmen": Die Verfilmung des gleichnamigen Comics von Alan Moore wurde ihm erstmals 1989 angeboten, das Projekt scheiterte allerdings an der nicht vorhandenen Finanzierung. Das erneute Angebot 1996 schlug er aus, weil er den Stoff für zu komplex hielt, um ihn in einen Film zu packen. Dieser Ansicht war Zack Snyder nicht - und machte aus "Watchmen" 2008 eine der erfolgreichsten Comicverfilmungen aller Zeiten.
Die Fortsetzung seines eigenen Filmes "Time Bandits" ist ihm bis heute nicht gelungen, ebenso wenig wie die Neuverfilmung von "Der Glöckner von Notre Dame" mit Gérard Depardieu in der Hauptrolle. Als Gilliam nämlich erfuhr, dass Disney an einer Zeichentrick-Version davon arbeitete, stieg er aus.
Unerwünscht. Dass sich Gilliam in den vergangenen Jahren eher als Kassengift erwiesen hatte, war wohl auch der Grund, warum ihm Warner Bros. nicht die Regie für die "Harry Potter"-Verfilmungen übertrug - obwohl der Ex-Monty Python der Wunschkandidat von Autorin Joanne K. Rowling gewesen war. An der Arbeit von Regisseur Chris Columbus ließ er dann kein gutes Haar.
Auch Philip Pullman hätte die Verfilmung seines Bestsellers "Der goldene Kompass" gerne in den Händen Gilliams gesehen, doch wieder fürchteten die Studios, dass "Captain Chaos", wie Gilliam oft genannt wird, die Produktion sprengen könnte. Selbst bei "Charlie und die Schokoladenfabrik" blieb ihm die Regie verwehrt, obwohl sich auch hier die Witwe Roald Dahls für Gilliam eingesetzt hatte.
Gilliam wird sich davon aber bestimmt auch weiterhin nicht unterkriegen lassen und seine Fantasie reicht wohl noch für etliche weitere Filme aus.