In Massenmedien findet die dörfliche Welt kein sachgemäßes Echo.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Das Landleben hat sich strukturell gewandelt, die mitmenschliche Dorfidylle hat Brüche, die wenigen Bauern sind mehr und mehr Großlandwirte. Einer sagte mir, die derzeitigen Methoden der Landwirtschaft seien auf Dauer fragwürdig. Pendler nehmen enorme Strapazen auf sich. In ländlichen Gemeinden ist nicht alles eitle Wonne: So hat nicht nur der Marktflecken Asperhofen (NÖ) keinen Bankomat. Und es besteht naturgemäß eine enorme Disparität in den kulturellen Angeboten in der Großstadt und auf dem Land. Im Sommer findet ein gewisser Ausgleich statt.
Ich schicke dies in Kulanz für die Verfasserin der Kolumne "Idylle mit Pumpgun" in der "Wiener Zeitung" vom 4. August voraus. In 15 Fallstudien quer durch Österreichs Gemeinden und dörfliche Welt erfuhr ich, dass der ländliche Raum bunt und werteplural ist. Das Mit- und Gegeneinander in Tourismusorten findet sich in meinem Buch "Bin kein Tourist, ich wohne hier. Dörfer im Stress", das Regionalmedien wegen etwas Sozial- und Kulturkritik nicht aufgegriffen haben.
In Massenmedien findet diese Welt kein sachgemäßes Echo: Das Fernsehen zeigt ländliche Feiertagsidylle oder beschämende Shows. Wann wurden Filme gesendet, damit Menschen sich in der multikulturellen Welt zurechtfinden? Romane handeln von der vorindustriellen oder einer nicht mehr existierenden bäuerlichen Welt der 1950er Jahre. Meist sind sie eindimensional kritisch. Positiva sind ideologieverdächtig. Für Robert Misik ist das Wort Heimat "toxisch", wie er in der "Zeit" schrieb. Und Soziologen wählen meist andere Themen. Barbara Coudenhove-Kalergi lernte bei der Präsentation ihres Buches "Zuhause ist überall" großartige und tüchtige Menschen im ländlichen Raum und in Kleinstädten kennen und meinte, dies sei ein wichtiger Grund, warum es um Österreich doch so gut stehe. Und wer das Glück hat, am Ortsrand im alpinen Gebiet Urlaub zu machen, schätzt die ihn umgebende Stille - in Kontrast zur überbordenden Reklame in der Großstadt und in Verkehrsmitteln.
Die Kolumnistin führte ein Gespräch in der "tiefen Provinz" (schon dies ist ein Wort mit negativer Konnotation). Sie kam "etwa" mit einem Handwerker ins Gespräch, der ein not-wendendes Hobby fand: Schießen mit der Pumpgun. Und warum das? Der junge Mann kam gleich auf das "Gesindel", die Ausländer, zu sprechen, auf lebensgefährliche Schießereien in Wien. Der Bursch ist kein zorniger Globalisierungsverlierer, vielmehr Durchschnittstyp mit fixer Anstellung (also einer von vielen).
"Ich habe nie ein schlechtes Wort über Flüchtlinge gehört"
Die Verfasserin zeigt "das (!) Leben in der österreichischen Provinz". "Manchmal" überwindet sie dorthin die "Distanz". Und von diesem jungen Mann mit Wahrnehmungsstörung zieht die Autorin eine Parallele zu einem AfD-Politiker, der sagt, es gelte "mannhaft und wehrhaft" zu werden, und es gehe um die "Rückkehr der Männlichkeit in postheroischen Gesellschaften". Damit ist das Gemeinte klar: Wir erleben auf dem Lande einen proto-faschistoiden Aufbruch. Die Verfasserin will wachsam sein - von Anfang an. Ist dies ein breiter Trend, sich auf dem Land mit Waffen einzudecken, um sich zu schützen - vor einem hereinbrechenden "Vor-Bürgerkrieg"?
Eine Bewohnerin eines Weilers bei Neulengbach sagte mir: Als Flüchtlinge kamen, sei ein Bewohner anfangs "ausgeflippt", aber dann habe sich alles beruhigt. Ich sprach mit einem Einwohner namens Hubert über Flüchtlinge in Zauchen bei Bad Mitterndorf. 2015 waren hier vierzehn Migranten untergebracht, heute sind es sechs. Ein Flüchtling hat nun eine Österreicherin als Partnerin. "Ich habe nie ein schlechtes Wort über Flüchtlinge gehört", so Hubert. Fakt ist: In der Gemeinde Bad Mitterndorf wählte bei der vergangenen Präsidentschaftswahl die Mehrheit Norbert Hofer. Als Wahlmotiv gilt der Protest gegen die große Koalition von SPÖ und ÖVP.
Hubert ist Naturschützer, hat vielfältige Kontakte, fuhr nach Wien, um sich das Weltmuseum anzusehen. Er hat keine Matura, liest aber Bücher mit Qualität, ist handwerklich sehr geschickt. Die Frage, ob er Leute kenne, die sich aus Angst bewaffnen würden, verneinte er entschieden und bat mich dringlich, die Pumpgun-Geschichte richtigzustellen. Den Klischees widerspricht es, dass der Pfarrer von Bad Mitterndorf das Talent von Tom Neuwirth alias Conchita früh erkannte und würdigte und auch einmal seinen Messbesuchern eine Seite aus der "Zeit" kopierte und auflegte. Nicht wenige Pfarren öffneten Räume für Flüchtlinge. Dies alles ist die Welt von Landgemeinden.
Szenenwechsel ins Weinviertel, ein Ort eine gute Stunde entfernt von Wien. Ein Einwohner, der sich als Robert vorstellt, war jahrzehntelang Obmann eines großen Turnvereins und kennt als Warenvertreter viele Leute im Wein- und Waldviertel. Kommt er nach Wien in den 21. Bezirk, fühlt er sich sicher. Alte Leute hätten manchmal Angst, und dies könne begründet sein, meint er. Ein Neffe ist Polizist und erlebt Provokationen - auch durch Migranten - und fühlt sich dabei machtlos. Zurück zu unserem Fokus: Robert kennt aber keinen einzigen Mann im Weinviertel, der sich aus Angst bewaffnet hätte.
Fakt ist: Es gibt Ängste. Nicht nur auf Land. Verstärken nicht die pausenlosen Berichte über Migration die Angst? Verstreut nicht täglich ein Massenblatt mit Quasi-Monopol Gräuelgeschichen sonder Zahl, die aus Mangel an Medienkompetenz wortwörtlich aufgefasst werden? Marshall McLuhan nannte die Welt "ein globales Dorf". Dies ist irreführend. Vielen Leute fehlt die Kenntnis, Berichte in ihrer Dimension richtig einzuschätzen. Denken wir an die ständigen Morde und Schießereien in TV-Filmen. All das sind Produkte aus der Stadt, auch die Probleme der Banken - mit weitreichenden Folgen.
"In so einer großen Stadtmuss ja viel passieren"
Ich erinnere mich, dass ich Mathilde, eine ältere Frau aus dem Tullnerfeld, auf den Wiener Schafberg bei Dornbach begleitete. Sie liest eifrig über Verbrechen und Vorkommnisse in Wien. Und mit Blick auf das Wiener Häusermeer entschlüpfte ihr der Satz: "Ja, dann wundert’s mich nicht. In so einer großen Stadt muss ja viel passieren."
Die Landbevölkerung ist in höherem Ausmaß von Medien abhängig, hat viel weniger Zugang zu qualifizierter Information. Durch das Internet hat sich das gebessert. Es braucht mehr Direktkontakte - mit Menschen auf Land und umgekehrt. Aber die Zuspitzung im erwähnten Kommentar ist zu generalisierend und eine vorurteilsinfizierte Attitüde über Proto-Faschistoides. Das deutsche Debatten-Magazin "The European" schrieb, mit Adolf Hitler seien die Deutschen noch lange nicht fertig. "Die Ent-Dämonisierung tut unserem Umgang mit der NS-Zeit gut." Es gibt Kreise und Intellektuelle, die auf Hitler starren, so etwa auf die obsolete NS-Bauernideologie, und in ihrem Wahrnehmen und Denken in einer Kontra-Dependenz verhaftet bleiben.
Zum Autor
Zur Person:
Hans Högl ist Medien- und Bildungssoziologe, emeritierter Hochschulprofessor und Vizepräsident der "Vereinigung für Medienkultur" sowie aktiv im "Bündnis für Gemeinnützigkeit".