Die Wissenschaft sollte die Biotope, die Michael Häupl und Erwin Pröll hervorgebracht haben, gebührend würdigen, solange es sie noch gibt.
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Wer wen wie: Das ist so ziemlich die simpelste Frage, wenn es um die Analyse sozialer Machtverhältnisse geht. Und da Wissen stets Gegenmacht bedeutet, geraten diejenigen Throne zuerst ins Wanken, deren Stellung kritisch analysiert wird. Das ging schon Kaisern, Königen und Päpsten so und heute eben Präsidenten, Ministern und Managern - unter besonderer Berücksichtigung der genderpolitischen Aspekte selbstredend.
Auffallend an dieser langen Liste angeschlagener Mächtiger und der Biotope, in denen sie wachsen und sich erneuern, ist, was fehlt. Schließlich sind die blinden Flecken mindestens so spannend wie der große Rest im Scheinwerferlicht. Wie etwa Österreich regiert wird, dieses barocke Wechselspiel zwischen Bund und Ländern, geschriebener und realer Verfassung, Parteien und Sozialpartnern, Europa und Globalisierung, wird seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hinlänglich erforscht. Zwei weiße Flecken harren noch einer tieferen Analyse ihrer Machtstrukturen: Wien und Niederösterreich.
In beiden Fällen begnügen wir uns mit der Erkenntnis, dass die Bundeshauptstadt rot ist und Niederösterreich eben schwarz. Viel mehr, als dass es Raiffeisen, den Echo-Verlag, den Mieter- und den Bauernbund gibt, wollen wir nicht wissen. Dabei bilden beide Regionen ein faszinierendes Forschungsobjekt, das zeigt, wie sich etablierte Machtbeziehungen durch kreative Anpassung noch in unsere angeblich post-modernen Zeiten retten. Nur interessiert das an den Universitäten keinen. An der Entfernung kann es jedenfalls nicht liegen, eher schon an zu großer Nähe. Schade ist der fehlende Mikroblick auf die Feinsteuerung der politisch-ökonomisch-medialen Verquickungen am schwarzen Land wie in der roten Stadt auf jeden Fall.
Natürlich ist - Daumen mal Pi - bekannt, wie in beiden Bundesländern machttechnisch der Hase läuft. Das vorhandene Oberflächenwissen verdankt sich in erster Linie der journalistischen Bedarfsdeckung, der Ehrgeiz, zwei Standardwerke der heimischen Machtverhältnisse zu schaffen, glänzt mit bedauerlicher Abwesenheit. Dabei gibt es wenig andere Möglichkeiten, die vielfältigen, manchmal auf Zwang, mitunter auf persönlicher Verbundenheit und oft mit ökonomischen Anreizen versehenen Wechselwirkungen politischer Machtverhältnisse so anschaulich und allgemein nachvollziehbar vom Generellen auf die konkrete individuelle Ebene herunterzubrechen. Und erst all die innerhalb der dominierenden Gesinnungsgemeinschaft verbissen, aber im Verborgenen ausgetragenen Konflikte! Oder die vielfältigen Strategien, externe Gegner mal in Sicherheit zu wiegen und zu umgarnen, nur um sie dann um so brutaler von den Segnungen der Machtteilhabe wieder zu vertreiben. Das ist Stoff für mindestens zwei Variationen einer Ästhetik politischer Macht.
All das wird hier wie dort zweifellos noch eine Weile fortleben, aber ist Eile geboten: Politische Feldforschung braucht Zeit, und wer weiß schon, wie lange die beiden sozio-politischen Biotope in Wien und Niederösterreich in ihrer heute noch erstaunlichen Ursprünglichkeit erhalten bleiben. Denn wie beim Umweltschutz gilt auch in gefährdeten Bereichen in der Politik: Einmal zerstört, ist das bedrohte Naturwunder unwiederbringlich verloren.