Zum Hauptinhalt springen

Farbenpracht und Bomben

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Bagdad präsentiert sich vor der Parlamentswahl so bunt wie noch nie. Doch so schrill die Kandidaten im Irak auch werben - die Bürger sind frustriert wegen der Korruption und des Terrors.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bagdad. Noch nie waren die Straßen von Bagdad so bunt wie in diesen Tagen. Knalliges Rot, leuchtendes Gelb, zartes Lindgrün, tiefes Blau: An Variationen mangelt es nicht. Besonders die Plätze der irakischen Hauptstadt sind ein einziges Farbenmeer. Dafür sorgen die Wahlplakate unterschiedlicher Parteien, Allianzen und Blöcke, die auf sich aufmerksam machen wollen. Oft hängen mehrere übereinander, eines größer als das andere. Überdimensioniert werden die Kandidaten präsentiert, als ob Größe bei der Stimmabgabe entscheidet.

Mehr als 9000 Bewerber kämpfen um 328 Sitze im irakischen Parlament, das am 30. April gewählt wird. Es ist die erste entscheidende Wahl nach dem Abzug der US-Truppen Ende 2011.

Trickreicher Premier

Nicht zu übersehen ist Premier Nuri al-Maliki, der um eine dritte Amtszeit kämpft. Seine Rechtsstaatskoalition hat Lindgrün als Farbe gewählt und präsentiert ihn mit unterschiedlichen Kandidaten und Kandidatinnen. Um sicherzugehen, dass er weiterhin das Sagen im Lande haben wird, hat der 63-jährige Schiit trickreich seine Anhänger auch in anderen Parteien und Koalitionen platziert. Sie sollen ihm den Machterhalt sichern, auch wenn seine Partei nicht die nötige Stimmenmehrheit erhalten sollte. Insgesamt sind 39 größere Allianzen und Blöcke registriert, die die Wählerstimmen auf sich ziehen wollen. Eine in der Region einzigartige Quote verschafft Frauen einen Sitzanteil von 25 Prozent in den Volksvertretungen.

Neben schiitischen, sunnitischen und kurdischen Parteien gibt es jetzt aber auch zunehmend gemischte Gruppierungen, die die Spaltung überwinden und auf die nationale Identität setzen. Bisher wurde im Irak nach Saddam Hussein überwiegend entlang ethnischer und religiöser Grenzen gewählt. Die jetzt einsetzende Diversifizierung der politischen Landschaft könnte ein Hoffnungsschimmer für das noch immer tief gespaltene Land sein.

Unzufrieden Wähler

Es könnte aber auch zur völligen Verunsicherung der ohnehin überdrüssigen Wähler führen, die die politische Klasse als korrupt und unfähig bezeichnen. Nach den ersten euphorischen Wahlen nach dem Sturz Saddam Husseins, als lange Schlangen vor den Wahllokalen die Regel waren und die Menschen auch die schlechte Sicherheitslage nicht von ihrer Stimmabgabe abhielt, herrscht heute überwiegend Frust.

Das Chaos im Land sei nicht weniger, sondern mehr geworden, die Korruption allgegenwärtig, die Arbeitslosigkeit unverändert hoch, der öffentliche Sektor schwach und die Politiker wirtschafteten alle nur in ihre eigenen Taschen, hört man allenthalben auf den Straßen von Bagdad, wenn man Passanten auf die Wahl anspricht.

Der Regierungschef macht ausschließlich die Nachbarländer für die verheerende Terrorwelle verantwortlich, die seit einem Jahr erneut den Irak überzieht und nach UN-Angaben bisher über 13.000 Tote forderte. Deshalb stehen Maliki und viele seiner Getreuen mit ihrem Werben für Kontinuität weitgehend alleine da in diesem Wahlkampf. Alle anderen Kandidaten plädieren für Veränderung und damit für ein Ende der Ära Maliki, den viele inzwischen als neuen Saddam Iraks bezeichnen. Ob blau, rot, braun oder gelb, die Kandidaten auf den anderen Postern kritisieren offen die verheerende Sicherheitslage und die grassierende Korruption.

Unterdessen geht der Wahlkampf auf Bagdads Straßen weiter. Plakate und Banner werden heruntergerissen, neue aufgehängt. Manche liegen zerfetzt am Straßenrand. Mit einem Hebekran wurde eine Stele auf den seit dem 9. April 2003 leeren Sockel am Firdous-Platz gehievt, wo einst die Statue von Saddam Hussein stand. Mit schwarz-grünen Lettern wird dort jetzt für eine Partei eine Wahlwerbung betrieben, die damals noch undenkbar war. Ausgebildet im Iran, sind deren Mitglieder Kämpfer der Schiitenmiliz Asa’ib Ahl al-Haq (Liga der Gerechten), die tausende von Menschenleben durch ihre Terroranschläge auf dem Gewissen haben und jetzt politische Legitimität suchen. Ebenso wie ihre "Gegenspieler" der sunnitischen Terrororganisationen Al-Kaida oder Isis (Islamischer Staat im Irak und Syrien), können sie Bagdads ansonsten lebendige und momentan sogar einladende Straßen innerhalb von Sekunden in Szenen blutiger Gewalt verwandeln. Explosionen in Busstationen, Cafés, Restaurants und sogar Moscheen sind für die sechs Millionen Einwohner erneut zum traurigen Alltag geworden.