)
Einige Kritiker bezeichnen die Vorgehensweise von US-Präsident George Bush als "Politik des Wahnsinns". Medizinisch ist dieser Vorwurf inkorrekt, aber sie spiegelt doch eine außerordentlich beunruhigende Realität wider. Sowohl ein anerkannter Psychologe als auch ein bekannter Politikwissenschafter diagnostizieren einen besonders bösartigen Krankheitserreger, der die Gesellschaft befallen hat. Dieser sei die Grundlage für die meisten derzeit vorherrschenden globalen Konflikte und Washington stehe für sie im Zentrum der Epidemie.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Es scheint tatsächlich so, dass die Welt dem Wahnsinn verfällt", so der kanadische Psychologe Daniel Burston gegenüber der "Wiener Zeitung". Rasch fügt er jedoch hinzu, dass eher von einem "Rückzug in Fantasie-Gesellschaftssysteme" zu sprechen ist. Burston zitiert den Psychoanalytiker Erich Fromm, der von "gesellschaftlich geprägten Defekten" sprach. Diese "erlauben es großen Gruppen, sich bequem an ein System anzupassen, das in seinen Grundzügen mit unseren Existenzbedürfnissen als Menschen im Konflikt steht", so Burston. Das wiederum führe zu Unzulänglichkeiten in Charakterzügen oder Einstellungen, die einen internen Konflikt auch dann nicht zulassen, wenn er nötig wäre.
Gewalt als Schutz
Für Burston wirft der Abu Ghrabi Folterskandal etliche Fragen auf. Er merkt an, dass es "sehr wenig Zweifel daran gibt, dass (die Folterungen) von oben genehmigt wurden". Als prototypisches Beispiel dafür, was solche "gesellschaftlich geprägten Defekte" hervorrufen können, nennt Burston den Nazi-Schergen Adolf Eichmann. Der Psychologe verweist dazu auf ein berühmtes Buch von Hannah Arendt.
In "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht über die Banalität des Bösen" streicht Arendt die beispiellose Natur des Nazi-Bürokraten hervor, der für die Tötung von zahllosen Insassen von Konzentrationslagern verantwortlich war. Burston erläutert, dass Eichmann alle psychologischen Tests, die mit ihm von Psychiatern vor seinem Prozess durchgeführt wurden, als "normal" bestanden hat.
Wenn das Verhalten einer Gruppe von der Norm abweicht, und entweder gegen sich selbst oder gegen andere zerstörerisch wird, dann wird, so Burston, die krankhafte Tat "als Quelle für Trost und Schutz" von der Person empfunden, die sich auf diese Weise an ein Gesellschaftssystem angepasst hat - wie etwa bei Eichmann.
Laut Fromm wird bei der Rechtfertigung destruktiver Impulse meist darauf geachtet, dass "zumindest ein paar andere Leute oder eine ganze gesellschaftliche Gruppe die Rechtfertigung teilen und diese somit für diese Gruppe von Menschen zur ,Realität' wird." So wird ein emotionales Unterstützungsnetz aufgebaut, das seine Mitglieder mit einem falschen Gefühl von Legitimität versorgt.
Mit Täuschung zum Ziel
Schon lange haben Kritiker des Irak-Krieges angeprangert, dass schwerwiegende Mängel in den Handlungen der Bush-Regierung einfach mit "Vernunftgründen" aus dem Weg geschafft wurden. Beispiele dafür sind die Vorwürfe der Regierung zu den nicht-vorhandenen Massenvernichtungswaffen und zur Verbindung zwischen dem Irak und dem 11. September.
"Der beste Weg, um diese Dinge miteinander zu verknüpfen, ist das, was Fromm ,irrationale Autorität' nennt", erklärt Burston. Er fügt hinzu, dass "Menschen das Bedürfnis haben, an etwas zu glauben". Die Tatsache, dass die Mehrheit der Amerikaner davon überzeugt ist, dass Saddam Hussein etwas mit den Anschlägen vom 11. September zu tun hatte, könne als Beispiel dafür genommen werden, wie Menschen den Versuchungen des Glaubens erliegen. Und zwar des Glaubens an die sogenannte "irrationale Autorität", die, um ihr Ziel zu erreichen, immer wieder Gewalt, Täuschung und Geheimhaltung anwendet. Burston weiß auch, wie solche Täuschungen unterstützt werden.
Wiederholung wirkt
"Mit speziellen Formeln, die auch die häufige Wiederholung in einem autoritären Tonfall durch eine Person, die als eine Autorität angesehen wird, beinhalten, können Menschenmengen überredet werden. Bei vielen Menschen wirkt das einfach", so der Psychologe. Ähnlich argumentierte CIA-Analytiker Ray McGovern im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" im Herbst: "Goebbels (der Nazi-Propagandaminister) war gut darin und sein Diktum, dass Leute etwas glauben, wenn man es fünf Mal sagt, stellte sich - leider - als wahr heraus."
Kurz nach den Anschlägen vom 11. September habe Präsident Bush die Entscheidung getroffen, damit anzufangen, den Namen Osama Bin Ladens und den Saddam Husseins ab sofort im selben Atemzug zu erwähnen, wie in einem zynischen Mantra, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters am 24. Juni den früheren Vizepräsidenten Al Gore. So erhoffte sich Bush, die beiden Namen in der öffentlichen Meinung zu einem Ganzen zusammenzuschweißen.
Gore hatte die Regierung von US-Präsident Bush außerdem beschuldigt, "eine schnelle Eingreiftruppe aus medialen ,Braunhemden' (Nazi-Schlägertruppen) errichtet zu haben", um auf Journalisten und Herausgeber Druck auszuüben, damit sie von einer kritischen Berichterstattung Abstand nehmen.
Burston gesteht vielen Mitgliedern der Bush-Regierung zu, dass sie ein "globales Gesellschaftsklima erschaffen wollen, das die Demokratie mehr fördert und damit den Terrorismus eindämmt". Sie würden dabei aber oft Mittel anwenden, deren "Auswirkungen genau das Gegenteil von dem sind, was eigentlich bewirkt werden hätte sollen". Dieses Phänomen werde jedoch durch das Modell der "sozialen Fantasiesysteme" des Psychologen R.D. Laing erklärt.
Laing glaubt, dass die meisten Menschen eine Art Pseudo-Vernunft entwickeln aus der emotionalen Notwendigkeit heraus, sich an Pseudo-Realitäten anzupassen. Das führe dazu, dass sie in sozialen Fantasiesystemen von unterschiedlichsten Ausmaßen leben.
"Menschen, die tief in solchen sozialen Fantasiesystemen stecken, funktionieren dann im Rahmen einer Gruppe von Gleichgläubigen", erläutert Burston. "Ihr Gefühl für die Realität der Welt außerhalb ihrer Bezugsgruppe ist jedoch als Folge stark verkümmert. Deshalb wirken viele ihrer Handlungen auf Außenstehende verrückt."
Tatsächlich würde die Existenz eines sozialen Fantasiesystems erklären, warum sich die Selbstsicht der USA immer weiter von der Sicht der Außenwelt entfernt.
Parallelen zu den 1930ern
Burston sieht einige Ähnlichkeiten zwischen heute und den 1930er Jahren. Obwohl der geschichtliche Hintergrund der zwei Perioden völlig unterschiedlich ist, "gibt es einige sozialpsychologische Parallelen".
Einige heutige Politiker verwendeten bewusst "Heuchelei und Täuschung", formuliert der Psychologe. Dadurch komme es derzeit zu "einer Art Tanz, einem Tango zwischen den Führern und den Geführten".
Genau wie in den 1930ern bestehe eine "gewisse Bereitschaft der Leute, Fehlinformationen als Fakten anzunehmen - egal wie unglaubwürdig sie zu sein scheinen", erläutert Burston. Der Grund dafür sei das Verschwinden der von Fromm beschriebenen "rationalen Autorität" - Autorität, die durch Transparenz und Offenheit gekennzeichnet ist und eine Anlage zur Wahrheitsliebe schafft.
"Derzeit sehen wir aber zunehmend eine Auswaschung dieser Wahrheitsliebe - die Menschen werden immer beeinflussbarer und gewillt, sich verführen zu lassen", so Burston. Das wiederum eröffne neue Möglichkeiten für "Leute mit Geheimplänen". Diese können sich das öffentliche Vertrauen zu Nutze machen. "Und es wird immer schlimmer", warnt der Psychologe.
"Es besteht eine wachsende Gefahr für die Lebensfähigkeit demokratischer Systeme jeglicher politischer Ausrichtung auf der ganzen Welt." Burston warnt auch, dass dies möglicherweise zu einem "geschlossenen faschistischen Regime" in den USA führen könne. "Das Land steht an der Kippe." Der anerkannte Politikwissenschafter Michael Parenti stimmt dem im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" zu. "Der Faschismus könnte kopiert werden." Wichtig ist dabei, wie Faschismus definiert wird.
Deckmantel Amerikanismus
Yale-Absolvent und Buchautor Parenti sieht den Faschismus als ein Werkzeug, das von skrupellosen Machteliten benutzt wird, ihr Ziel zu erreichen. "Sie haben allerdings in den über 80 Jahren, in denen der Faschismus besteht, gelernt, dass er noch viel besser einsetzbar ist, wenn man ihn in ein bisschen Demokratie verpackt."
"Ich glaube, dass die Essenz des Faschismus in dem liegt, was er hervorbringt: Ein System, das konsequent den Reichtum von vielen auf wenige umverteilt. Außerdem sichert es die Vorherrschaft von großen Kartellen über die gesamte politische Wirtschaft", so Parenti. Durch die Weglassung der faschistischen Symbole und anderer Traditionen, sozusagen in dem man dem System weiße Handschuhe überzieht, werde der "gute alte Amerikanismus" zum "Mantel, um den sich das Volk versammelt, dem Präsidenten dann zusätzliche Macht zuspricht und seine Freiheit und dergleichen aufgibt", erläutert Parenti.
Angesichts der hohen militärischen Ausgaben, der Steuerstruktur der USA und der Veränderung der Wirtschaft, warnt Parenti davor, dass derzeit eine Politik auf der Tagesordnung steht, die dem Faschismus nicht unähnlich ist - jedoch "ohne alle Spuren von Demokratie zu beseitigen".
In seinem Buch "Super Patriotism", das bald auf den Markt kommen wird, untersucht Parenti, wie Nationalstolz und Furcht ausgenutzt werden.
Übersetzung: Barbara Ottawa