Wissenschaftsminister Heinz Faßmann will Leistung und Fairness im Bildungssystem und mehr Geld für Grundlagenforschung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Wiener Zeitung": Während Ihrer ersten Amtszeit als Wissenschaftsminister 2018/19 erwähnten Sie gelegentlich, Sie seien "kein Politiker". Sehen Sie das immer noch so?Heinz Faßmann: Ich bin eher ein Sachpolitiker als Parteipolitiker. Mich interessiert Sachpolitik einfach mehr als Parteipolitik.
Was hat Sie an einer zweiten Amtszeit gereizt?
Ich habe ein gewisses Pflichtbewusstsein. Die erste Legislaturperiode war kurz und endete für mich ein bisschen abrupt, ich hatte das Gefühl, etwas nicht fertiggestellt zu haben. In der Forschung ist das vor allem die Exzellenzinitiative. Gerade der Bereich Exzellenzcluster wäre ein gutes Instrument, um die fragmentierte Spitzenforschung zusammenzubringen, um gemeinsam Dinge zu tun. Es ist freilich schön, wenn wir, wie das Regierungsprogramm vorsieht, eine Forschungsstrategie bis 2030 machen. Aber Papier verändert noch nicht die Forschungsrealität, die Exzellenzinitiative hingegen schon. Sie ist eine Verpflichtung, bei den forschungsstarke Disziplinen in den Genuss zusätzlicher Mittel kommen.
Unter den Ländern herrscht ein Verteilungskampf bei Clustern im Allgemeinen. Welche Inhalte wollen Sie bei den Exzellenzclustern fördern?
Wenn die Politik Forschung über Themen strukturiert, ist das meistens nicht innovativ. Wir planen einen themenoffenen Wettbewerb nach dem Vorbild der Exzellenzinitiative in Deutschland und werden die Scientific Community dazu aufrufen, Vorschläge zur Förderung von Clustern abzugeben. Dabei gibt es bloß strukturelle Vorgaben, etwa, dass es zwei bis drei Institutionen umfassen muss.
Gibt es im Bildungsbereich auch Felder von höchster Priorität?
Ich möchte ein Bildungssystem, das einigermaßen fair ist. Dazu gehört eine standardisierte Reifeprüfung mit Wissensüberprüfung zu fairen Bedingungen. Ich habe nichts gegen einen Leistungsbegriff. Bildung heißt nicht nur, Spaß zu haben, sondern man muss sich auch hinsetzen und lernen.
Stichwort Fairness: In der dritten Klasse Volksschule gibt es eine individualisierte Kompetenzfeststellung. Teilen Sie die Sorge, dass damit noch früher entschieden wird, ob das Kind in die Mittelschule oder ins Gymnasium kommt?
Es gibt bereits informelle Kompetenzmessungen, die zu Bildungsstandards führen. Ich möchte, dass an der Schnittstelle von der Volksschule zur Sekundarstufe Eins Leistungsgerechtigkeit und kein sozialer Bias herrscht. Alle Kinder aus allen sozialen Schichten sollen der Leistung gemäß in die nächste Schulstufe aufsteigen.
Ökonomisch bessergestellte Familien haben es jedoch leichter, Leistungsschwächen auszugleichen.Jedes Kind hat ein Elternhaus und man kann nicht alle Kinder institutionell betreuen. Ich möchte Leistungsfairness beim Übergang. Die Kompetenzmessungen in der dritten und vierten Klasse bieten eine breite Grundlage für eine Entscheidung durch diese einigermaßen objektiven Ergebnisse.
Warum ist aus Ihrer Sicht zehn Jahre das optimale Alter, um die Kinder in zwei Schultypen zu trennen?
Das muss ich anders beantworten: Die ÖVP ist mit der Ansage in die Wahl gegangen, dass dieses differenzierte Schulsystem bleibt. Und sie wurde mit deutlichem Stimmenzuwachs gewählt, also kann man nicht plötzlich die Dinge wieder umstellen. Mir ist ein durchlässiges Bildungssystem wichtig. Wenn eine Entscheidung mit zehn fällt und sich das Kind bis 14 in eine andere Richtung entwickelt, sollten Übergänge beschritten werden können. In der Ausbildung sollen keine Sackgassen entstehen.
Im ländlichen Raum steigen Kinder leichter in Berufsbildende oder Allgemeine Höhere Schulen ein als in der Stadt. Wie kann man dieses Problem lösen?
Das ist leider empirische Realität. Die Noten der Neuen Mittelschulen zeigen ein größeres Leistungspotenzial, als in den Höheren Schulen bestätigt wird. Wir brauchen Bildungsweg-Entscheidungen, die zu den Talenten und Potenzialen eines Kindes passen und ich denke, dass die duale Ausbildung für viele auch eine ernsthafte und gute Alternative ist.
Die Diskussion um das Kopftuch von Mädchen an Schulen wird vehement geführt. Was ist für deren Brüder geplant? Das Problem mit Burschen mit seltsamen Ehrvorstellungen soll ja noch größer sein.
Ich sehe es genau so. Buben, die bestimmte Vorstellungen importieren und ihre Schwestern oder Mädchen ihrer ethnischen Gruppe unter Druck setzen, sind ein Problem. Da kann man nur täglich pädagogische Arbeit leisten.
In der Schweiz besteht eine größere Durchlässigkeit zwischen Unis und Fachhochschulen. Sollten wir die Systeme stärker vereinheitlichen?
Ich möchte sie nicht vereinheitlichen, sonst hätte dieses kleine Österreich 43 Universitäten. Wir haben zwei Systeme mit unterschiedlichen Ideen und das ist gut so. Wir müssen aber schauen, dass es Brücken gibt, insbesondere beim Doktorat. Das Regierungsprogramm sieht zudem die Anerkennung von Qualifikationen vor, die man aus der Berufspraxis nachweisen kann.
Zurück zur Forschung: In Rankings zur Innovationsperformance liegt Österreich seit Jahren im Mittelfeld. Führend zu werden so wie geplant, ist nicht gelungen. Warum?
Man muss ein bisschen eine Distanz zu den Rankings haben. Ich sage nicht, dass wir nicht besser werden sollen, aber Rankings haben hunderte Indikatoren, manche sind sinnvoll, manche sind weniger sinnvoll. Nachholbedarf besteht bei der Umsetzung: Wir haben brillante Forscher, aber zu wenig unternehmerische Innovation.
Woran liegt das?
US-Universitäten sehen es als Plus, wenn jemand seine im akademischen Leben erworbenen Qualifikationen in der Wirtschaft einsetzt. Bei uns würde es heißen, er hat es akademisch nicht geschafft. Die Unis haben sich bisher eher dafür interessiert, was die Welt im Innersten zusammenhält, hatten aber eine Distanz zur ökonomischen Verwertung. Dass man aus Wissen Profitables machen könnte, stand nicht im Zentrum der Karriere-Bewertung. Britische und US-Top-Unis beschäftigen hingegen Abteilungen zur Vermarktung von Wissen, hier müssen wir mehr investieren.
Im Vergleich zu Universitäten in ähnlichen Ländern sind unsere aber nicht üppig ausgestattet.
Diese Vergleiche stimmen nicht immer. Wenn man die Universitäten Wien und Zürich vergleicht, muss man genau nachschauen, ob (kostspieligere, Anm.) medizinische Fakultäten eingerechnet sind oder nicht. Zudem macht ihr Platz 134 von weltweit 15.000 Universitäten im Times Higher Education Ranking die Uni Wien immerhin zu den besten ein bis zwei Prozent. Mehr Geld kann sehr gerne sein, aber wir haben eine wirklich gute Substanz. Heimische Unis haben im vergangenen Jahr 360 Professuren neu ausgeschrieben, das ist so viel wie eine große Universität. Zudem erhalten die Hochschulen 50 Millionen Euro zur Umsetzung von Projekten zur digitalen und sozialen Transformation.
Nach wie vor ist das Forschungsfinanzierungsgesetz nicht finanziell unterlegt. Was ist Ihr Ziel für die Budgetverhandlungen?
Wir brauchen eine Aussage, wie die Forschungsfinanzierung künftig aussehen soll und dass Forschung auf einem Wachstumspfad, nicht auf einem Stagnationspfad steht. Sonst bleibt dieses Gesetz ein Forschungsrahmengesetz von mäßiger Relevanz.
Die seit bald 60 Jahren bestehende Boltzmann Gesellschaft (LBG) soll vom Forschungsträger zum Forschungsförderer werden. Welchen Sinn hätte eine zusätzliche kleine Förderagentur?
Derzeit sind die Ludwig Boltzmann Institute (LBI) in den Universitäten verankert, gehören aber dienstrechtlich zur Trägergesellschaft. Am Ende ihrer Laufzeit von sieben oder 14 Jahren stehen sie oft vor einer schwierigen Situation. Dann hört das Institut auf, zu existieren, und erwartet wird, dass die Unis es übernehmen, Man muss besprechen, ob man die LBI nicht eher so organisiert wie die Christian Doppler Gesellschaft, die Labors als Teile der Unis finanziert und deren Mitarbeiter von der Uni, nicht vom Träger angestellt sind.
Zur "Stärkung der Grundlagenforschung" im Regierungsprogramm: Um wie viel mehr soll der Wissenschaftsfonds FWF für kompetitive Grundlagenforschung bekommen?
Der FWF soll das Geld für die Exzellenzinitiative erhalten und es wettbewerbsorientiert vergeben. Eine Größenordnung kann ich jedoch erst nach den Budgetgesprächen nennen.
Zur Person: Heinz Faßmann, geboren 1955 in Düsseldorf, ist Professor für Angewandte Geographie an der Universität Wien. Von Dezember 2017 bis 2019 war der Parteilose Bundesminister für Bildung - ab 2018 auch zuständig für Wissenschaft und Forschung. Dieses Amt hat er seit dem 7. Jänner in der Bundesregierung Kurz II erneut inne.