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Fast alle für die Reichensteuer

Von Christoph Rella

Politik

100.000 Genossen feierten bei Sonnenschein den 1. Mai. | Jungsozialisten kritisieren Kanzler Werner Faymann. | Wien. Wenn die Wiener Sozialdemokraten die Genossen jährlich zu den 1. Mai-Feiern auf den Rathausplatz einladen, will Herr Josef auf keinen Fall fehlen. "Es ist eine gute Tradition", sagt er und streicht über seinen ergrauten Schnauzbart. Auch wenn manche, allen voran die Jugendlichen den Aufmarsch antiquiert finden mögen, so sei "doch der 1. Mai etwas Wichtiges".


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Dass den Wienern dieser Tag wichtig ist, demonstrieren sie durch ihre Präsenz. Es ist kurz nach neun Uhr. Geduldig warten Mitglieder, Sympathisanten und Schaulustige auf den Einmarsch der Bezirksorganisationen, die vom Platzsprecher lautstark begrüßt werden. Die Funktionäre schwenken rote Fahnen und winken.

Viele Genossen haben ihre Forderungen auf Transparenten und Schildern zu Papier gebracht: "Bildung ist ein Menschenrecht" oder "Ja zur Vermögenssteuer", steht in großen Lettern geschrieben. Verwirrung bei den älteren Zaungästen stiftet wiederum das Transparent eines Demonstranten mit langem Haar, der die ungewöhnliche Parole "Orgasmus statt Rassismus" auf ein Tuch gepinselt hat.

"Strache muss weg"

"Ihr Jungen müsst das alles erhalten, was wir aufgebaut haben", sagt Frau Aloisia, die sich in der Nähe der mächtigen SPÖ-Tribüne einen Stehplatz gesichert hat. Seit den 50er Jahren marschiere sie bereits mit und habe seitdem noch nie eine Maifeier ausgelassen. Auch mit Bürgermeister Michael Häupl sei sie zufrieden, nur der Strache gehöre "endlich weg. Wissen Sie, wir haben ja die Türken selbst geholt, also müssen wir sie akzeptieren", sagt die 80-Jährige.

"San des SPÖler?", fragt eine Dame verwundert, als eine Abordnung von Kurden mit roten Fahnen und Bildern des PKK-Anführers Abdullah Öcalan defilieren. "Da sind sicher auch Arbeitnehmervertreter darunter", beruhigt ihr Mann. "Es lebe der 1. Mai! Es lebe Öcalan!", rufen die Demonstranten.

Etwas abseits beobachtet indessen Herr Josef interessiert den Aufmarsch der Genossen und schwärmt von den 1. Mai-Feiern der 60er und 70er Jahre. Damals sei die Welt in der SPÖ und der Arbeiterschaft noch in Ordnung gewesen. "Jetzt versucht ja die FPÖ die Straße zu erobern", seufzt der Rote und spart nicht mit Kritik an der eigenen Partei. In der Ausländerfrage sei ihm die SPÖ "etwas zu lau". Es stünde ihr gut an, schärfer gegen "die zündelnde Strache-FPÖ" vorzugehen.

Dass die FPÖ für die Sozialdemokratie in Wien ein ernst zu nehmender Gegner ist, weiß auch Bürgermeister Häupl. "Wir werden unsere schöne Stadt verteidigen und sicher nicht den Zerstörern überlassen", ruft er den Genossen zu. Herr Josef applaudiert. Ovationen erntet der Stadtchef zudem, als er sich gegen eine Null-Lohnrunde ausspricht und Gerechtigkeit für die Arbeitnehmer fordert. Als daraufhin Bundeskanzler Werner Faymann die Rednertribüne betritt, ziehen Aktivisten der Sozialistischen Jugend eilig ein überdimensionales Transparent auf: "Klassenkampf statt Kuschelkurs", muss der SPÖ-Chef lesen und auf einem zweiten Plakat heißt es: "Lieber Werner, ohne ÖVP und ,Krone hätten wir dich gerner".

Jugend will Taten sehen

Auch dass Faymann in seiner Rede nicht auf die Forderung nach einer Vermögenssteuer eingeht, macht einige Jungsozialisten wütend. "Das ist alles Taktik", sagt ein Mädchen, "er weiß, wenn er dafür ist, muss er etwas tun". Es sei eine Enttäuschung, dass man derartig ignoriert werde. Auch den übrigen Politikern, die sich für die Vermögenssteuer ausgesprochen haben, könne man nicht glauben. "Die sind am 1. Mai rhetorisch gut drauf, aber rauskommen tut nichts", so ein SJ-Mitglied resignierend.

Die Stimmung unter den Aktivisten sinkt abermals, als eine von der Stadtpartei engagierte Sängerin am Ende der Maifeier das "Arbeiterlied" und die "Internationale" anstimmt. "Das klingt wie Abspann-Musik eines Disneyfilmes", empört sich eine Jungsozialistin. "Das ist einfach nur peinlich", sagt ein anderer. Ähnlich sehen dies auch ältere Parteigänger und quittieren die Darbietung mit Buhrufen.

Vorne auf der Bühne winken Faymann und Häupl unbeirrt den Menschen zu. Auch Herr Josef winkt. Der Kanzler gefällt ihm. Wie übrigens alle SPÖler. Darunter auch Helmut Elsner. Der sei ja "fast ein Held der Arbeiterbewegung".