Alle Menschengattungen vermischten sich. Warum aber hat sich der moderne Mensch durchgesetzt?
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Wien. Erst vor wenigen Tagen wiesen Archäologen nach, dass der moderne Mensch früher in Europa ankam als angenommen. Werkzeugfunde im niederösterreichischen Willendorf zeigen, dass Homo sapiens nicht vor 40.000, sondern vor 43.500 Jahren hier auftauchte. Somit sei die Zeitspanne größer, in der sie sich den Kontinent mit den Neandertalern teilten, sagt Bence Viola vom Department für Anthropologie der Uni Wien: "Heutige Menschen außerhalb Afrikas tragen 1,5 bis 3 Prozent Neandertaler-DNA."
Für den schwedischen Paläontogenetiker Svante Pääbo sind die Funde "äußerst interessant. Wenn nun Fossilien gefunden werden, könnten wir untersuchen, wie intensiv sich die Arten hier vermischt haben", sagte er am Rande eines Vortrags im Vienna Biocenter Donnerstagmittag in Wien - und rieb sich erfreut die Hände.
Pääbo isolierte 1984 die DNA einer Mumie aus totem Gewebematerial. Seither untersucht er, welche genetischen Veränderungen in der Evolutionsgeschichte den modernen Menschen ausmachen. Pääbo sequenzierte das Erbgut des Neandertalers und konnte nachweisen, dass heutige Menschen Anteile von ihm in sich tragen. Weiters identifizierte Pääbo 2010 den Denisova-Mensch, der mit Neandertaler und Homo sapiens verwandt ist, sich jedoch genetisch auch unterscheidet. Der Direktor des Max Planck Instituts für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig präsentierte in seinem lebhaften Vortrag seine Arbeit.
"Das Genom zweier Individuen enthält je drei Millionen Basenpaare. Es gibt also drei Millionen Unterschiede, anhand derer wir die Menschheitsgeschichte rekonstruieren können", führte er aus. Die größte genetische Variation herrsche Afrika, nur ein Teil der Vielfalt sei nach Eurasien ausgewandert. Vor 100.000 Jahren teilte sich der Homo sapiens die neue Welt mit anderen Menschenarten, allen voran mit dem Neandertaler im westlichen Eurasien, der sich vor 400.000 entwickelte und vor 40.000 Jahren wieder verschwand.
"Wir wollten wissen, ob der Neandertaler durch den Homo sapiens ersetzt wurde, ob er einen Beitrag leistete oder ob er unser direkter Vorfahr ist", so Pääbo. Zunächst benötigten die Forscher erhebliche Knochenabschnitte, um DNA-Fragmente zwischen Mikroben auszumachen. Heute können sie Millionen Fragmente in winzigsten Fossilien finden.
Die Neandertaler waren nie in Afrika, nahmen also keinen Einfluss auf die dortige Bevölkerung. Ihr Erbgut ist jedoch in Europäern und auch minimal in Chinesen zu finden. "Der Neandertaler lebte nicht in China, hinterließ aber überall Spuren. Somit hatte der moderne Mensch dessen Genom in die Welt getragen", subsumiert Pääbo. Sein Kollege David Reich von der Universität Harvard geht davon aus, dass global die Vermischung der Gattungen vor 90.000 bis 40.000 Jahren stattfand und der Anteil der Neandertaler-DNA im Genom über die Generationen weniger wurde. Heutige Bevölkerungen hätten unterschiedliche Anteile von Neandertaler-DNA.
Die Max-Planck-Forscher konnten zudem 2010 eine neue Frühmenschenart identifizieren. Aus DNA-Proben eines Fingerknochens aus der Denisova-Höhle im sibirischen Altai-Gebirge erkannten sie den Denisova-Menschen als mit modernem Menschen und Neandertaler verwandt. Weiters besitzt er ein unbekanntes, ein bis vier Millionen Jahre altes Genom. "Wir sind versucht anzunehmen, dass es von Homo erectus stammt, aber wir wissen es nicht", räumt Pääbo ein: "Bei vielen Funden, die älter als eine Million Jahre sind, ist keine DNA mehr da." Anteile von Denisova-Genom fanden die Forscher auch in Südostasien, Papua-Neuguinea und bei australischen Aborigines: "Wir haben ein ziemlich gutes Bild des sozialen Lebens in steinzeitlichen Höhlen", sagt er.
Probleme mit der Fertilität
Vom Neandertaler hat sich der moderne Mensch Haut und Haare zum Kälteschutz und Gene zur Abwehr von Infektionskrankheiten geholt. Auch eine Risiko-Variante für Diabetes Typ 2, die Energie für Hungerperioden speichert, kommt von ihm. Die Tibeter haben ihre Fähigkeit, in Höhenlagen mit wenig Sauerstoff zurechtzukommen, von den Denisovanern geerbt. Die Forscher überprüften auch funktionelle Unterschiede bei Menschen ohne Neandertal-Genom. Sie wurden im Hoden fündig: "Männliche Hybride scheinen Probleme mit der Fertilität gehabt zu haben", sagt Pääbo.
Warum aber setzte sich der Homo sapiens durch? Pääbo vermutet Unterschiede im Cortex des Gehirns. "Neandertaler existierten fast 400.000 Jahre lang, doch ihre Steinwerkzeuge blieben gleich. Der moderne Mensch erschien vor 100.000 Jahren und hat sich enorm entwickelt. Er verteilte sich weltweit und traf auf Abermillionen Menschen, während andere Gattungen nur Tausenden begegneten. Wir analysieren nun die genetischen Veränderungen im Cortex."