ÖBB planen einen Logistikbahnterminal und den Anschluss an das osteuropäische Breitspurbahnnetz, um den Großraum Wien an die neue Seidenstraße anzubinden. Die Wirtschaftskammer fordert unterdessen einen Standortanwalt für Großprojekte.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Er soll fast so viel kosten wie der Hauptbahnhof. Ein knapp eine Milliarde Euro teurer Bahnterminal, voraussichtlich im burgenländischen Parndorf, und die Verbindung zum osteuropäischen Breitspurschienennetz sollen den Großraum Wien im Buhlen um den mitteleuropäischen Knotenpunkt der Seidenstraße nach vorne bringen. "China verwirklicht dieses Projekt. Ob Österreich nun dabei ist oder nicht", betont Walter Ruck, Chef der Wirtschaftskammer Wien (WKW). Auch fordert er einen Standortanwalt, um Projektwerbern bei Vorhaben wie dem Lobautunnel gegen eine "Phalanx" an NGOs und Bürgerinitiativen zur Seite zu stehen.
Wie die "Wiener Zeitung" ausführlich berichtete, hatte sich Österreich nach einem diplomatischen Fauxpas im Mai punkto Anbindung an die Seidenstraße ins Aus geschossen. Durch ein im Oktober unterzeichnetes Abkommen zwischen WKW und ihrem chinesischen Pendant CCPIT hat Österreich wieder Zugriff auf alle Informationen und Ausschreibungen im Zuge des Routenausbaus.
Größte Bank der Welt kommt nach Wien
In den aktuellen Plänen führt der Landweg der neuen Seidenstraße über Peking und Xi’an durch die Mongolei, Teheran, Istanbul, Moskau und Hamburg bis nach Prag, London und Madrid. Auf dem Wasserweg soll es über Singapur, Kalkutta und Mombasa durch den Suezkanal nach Piräus gehen. Der größte Hafen Griechenlands wird übrigens zur Hälfte vom chinesischen Staatsunternehmen Cosco gepachtet. Die ÖBB arbeiten hier bereits mit den Chinesen bei Logistikdiensten zusammen.
Außerdem freut man sich seitens der WKW darüber, dass die International Bank of China, die größte Bank des Reichs der Mitte, laut Wirtschaftsmagazin "Forbes" die größte Bank der Welt, eine Niederlassung in Wien errichten will. Darüber sollen die Nord-, Zentral- und Osteuropageschäfte des Instituts abgewickelt werden.
WKW und ÖBB wollen insbesondere auf die Verlängerung der Breitspureisenbahn bis nach Mitteleuropa für den Güter- und Personenverkehr setzen. Neben Österreich arbeiten die Slowakei, die Ukraine und Russland gemeinsam daran. Allein in der Slowakei würden dafür vom derzeitigen Endpunkt in Kosice aus durch das ganze Land mehr als 400 Kilometer Schienen verlegt. In Österreich wäre die Anbindung von der slowakischen Grenze bis Großraum Wien 20 bis 40 Kilometer lang.
Wie viel der Schienenausbau kosten würde, kann ÖBB-Chef Andreas Matthä noch nicht genau sagen. "Derweil laufen die Umweltverträglichkeitsprüfungen und Trassenfindung in Zusammenarbeit mit den Gemeinden", sagt er zur "Wiener Zeitung."
Der dazugehörige Terminal als Logistikhub wird wahrscheinlich in Parndorf gebaut, wo die Anbindung an die Autobahn A4 und das Schienennetz gegeben ist. Sofern alle Prüfungen klappen, könnte bereits Anfang der 2020er Jahre gebaut werden, sagt Matthä. Die ÖBB erbringen bereits seit Juli 2017 Logistikdienste für China. Bisher sind 40 Züge ins Reich der Mitte gefahren, für 2018 erwartet Matthä zumindest 300 Züge, die zwischen China und Europa verkehren.
Durch die Verlängerung soll das Umladen von Frachtgut vom Breitspurnetz auf das normale Schienennetz von Kosice näher an den Knoten Wien verlagert werden. Aber auch in der Slowakei wird ein großer Terminal entstehen, wahrscheinlich nahe Bratislava. Das würde laut ÖBB auch den interregionalen Handels- und Personenverkehr vertiefen.
Zusätzlich würde Wien damit Budapest das Gewicht als vorläufiger Endpunkt der Seidenstraße nehmen. Diesen Status hat die ungarische Hauptstadt unter anderem starker Lobbyingarbeit von Ministerpräsident Victor Orbán zu verdanken. Dabei wäre Wien aufgrund seiner Lage und als Knotenpunkt von drei transeuropäischen Netzen die logischere Wahl, argumentiert Walter Ruck. Er verweist auch auf eine Schätzung des Infrastrukturministeriums, nach der bis einschließlich 2054 mit 127.000 neuen Arbeitsplätzen für Bau und Betrieb der Breitspurverlängerung und des Terminals gerechnet wird. Bei Betrieb der Strecke kommen in Spitzenzeiten so bis zu 9000 Arbeitsplätze im Jahr hinzu. Insgesamt erwartet man vom Projekt 15,5 Milliarden Euro Wertschöpfung.
Aber nicht nur der Logistikhub soll die Region um Wien standortfit machen. Die Wirtschaftskammer möchte auf dem Rücken der neuen Seidenstraße einige noch in Warteposition befindliche Großprojekte wie den Lobautunnel, die dritte Piste in Schwechat, die Marchfeldschnellstraße und eine Erweiterung des Wiener Hafens durchboxen. Aufhorchen lässt die Wirtschaftskammer auch mit ihrer Forderung an die kommende Regierung, für große Infrastrukturprojekte einen eigenen Standortanwalt zu schaffen.
WKW fordert Standortanwalt für Projektwerber
Dieser soll Projekte und Projektwerber begleiten und volkswirtschaftliche Auswirkungen von Bauvorhaben analysieren. Organisatorisch soll er in der Wirtschaftskammer angesiedelt werden, auch wenn von einer unabhängigen Stelle gesprochen wird. Geht es nach der WKW, kommt dem Anwalt zusätzlich eine Parteienstellung im Genehmigungsverfahren zu. Damit soll er als Gegengewicht zu Bürgerinitiativen und Nichtregierungsorganisationen auftreten. Diese würden Umweltargumente überproportional in die Diskussion einbringen, während die WKW wirtschaftliche Faktoren vernachlässigt sieht. Der Anwalt soll auch auf die Dauer der Planungsverfahren achten. Diese dauern in Österreich mit 17 Monaten im Schnitt ein halbes Jahr länger als in der EU.
Das erinnert ein wenig an die Wünsche einiger Landeshauptleute. Diese hatten im Zuge des Urteils gegen die dritte Piste gefordert, die Standortpflege mit Umweltschutz als öffentliches Interesse in Verfassungsrang zu heben. So könnten Projektwerber Gegenargumente viel leichter aushebeln. Bei der WKW beruhigt man aber. Der Anwalt solle lediglich Unterstützung bei der Argumentation leisten. "Die Entscheidung bleibt selbstverständlich bei den Gerichten", heißt es.