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Fasten frisst Muskelmasse und macht das Hirn dumm

Von Christa Karas

Wissen

Nora, 24, war schon immer das Sorgenkind der Familie: Jahrelang anorektisch und dementsprechend unterentwickelt, isst sie jetzt zwar - aber vollkommen einseitig und absolut fettfrei. Ihr Körpergewicht hat sich normalisiert, geblieben ist dagegen eine gewisse Antriebsarmut, wo es um Lebensentscheidungen geht, ihre Denkleistungen sind eingeschränkt und ihre Persönlichkeit entfaltet sich mit großer Verzögerung erst so nach und nach, weshalb sie auch jetzt noch nichts von Sex wissen will.


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Nora entspricht damit dem klassischen Bild eines Menschen, bei dem Mangelernährung bereits Folgen gezeigt hat. Doch Nora lebt nicht in einem der zahlreichen Länder der Dritten Welt, in denen dies und die damit verbundenen Folgen - vor allem geistige Retardiertheit - das größte Problem ist. Sie reflektiert die Kehrseite einer Überflussgesellschaft, deren Mitglieder zu einem beträchtlichen Teil übergewichtig und in der Diätfragen ein "Dauerbrenner" sind.

Mediziner der Universität Münster haben indes vor kurzem bestätigt gefunden, dass magersüchtige Frauen ein geringeres Denk-, Lern- und Reaktionsvermögen und ein verringertes Hirnvolumen haben. Sie hatten zwölf Patientinnen mit einem Kernspintomographen untersucht und außerdem in neuropsychologischen Test die Fähigkeiten geprüft, sich an Wörter zu erinnern, zu reagieren und sich zu konzentrieren. Die Magersüchtigen schnitten in allen Bereichen schlechter ab als gesunde Frauen.

Wie sich zeigte, wiesen die Patientinnen weniger N-Acetylaspartat auf, ein Stoffwechselprodukt, das Hinweise auf die Dichte und Funktionalität von Neuronen im Gehirn gibt. Besonders alarmierend: Mit Hilfe einer Therapie nahmen die Frauen zwar wieder zu und wurden auch weniger depressiv, doch die Hirnveränderungen blieben auch nach sechs Monaten noch bestehen und derzeit können die Ärzte nur hoffen, dass sich im weiteren Verlauf auch dies bessert.

Die Forscher gehen davon aus, dass mit der Magersucht ein dauernder Mangel an Nährstoffen und eine damit verbundene Verringerung von Östrogenen zu einer Zerstörung der Neuronen geführt hat. Im Durchschnitt waren die untersuchten Frauen 22 Jahre alt und hatten einen Body-Mass-Index (BMI) von 14,9. Bei einem BMI von 17,5 oder darunter spricht man von Magersucht (Anorexie).

Das Gehirn braucht Fett

Faktum ist: Die Nahrung, die wir zu uns nehmen, beeinflusst alle unsere Organe, am unmittelbarsten aber das Gehirn. Vier Stoffgruppen sind dabeivon zentraler Bedeutung:

Fettsäuren zur Bildung der spezialisierten Gehirnzellen, die uns zum Denken und zum Fühlen befähigen. Aminosäuren aus Eiweiß (Proteinen) als wichtige Botenstoffe innerhalb des neuronalen Netzwerks. Zucker (Glukose) aus Kohlehydraten benötigt das Gehirn, um Energie zu produzieren und weiter zu leiten. Vitamine und Spurenelemente schützen die Nervenverbindungen des Gehirns und dessen Zellen vor Fehlfunktionen und (auch altersbedingten) Schädigungen.

Aktuelle Untersuchungen zeigen unterdessen, dass etwa falsch verstandene Diäten vielfach zu einer Unterversorgung des Gehirns vor allem mit Fettsäuren führen - mit gravierenden Folgen für die Hirnfunktion, zumal auch wichtige Vitamine wie A und D an Fett gebunden sind. Dabei kommen die wichtigsten essenziellen Fettsäuren - enthalten u. a. in Oliven- und Sonnenblumenkernöl, Walnüssen, vielen Kaltwasserfischen, Fleisch, Eiern, Milchprodukten - durchaus auch in Nahrungsmitteln vor, die Diät-verträglich sind. Marketing-Gag Heilfasten

Namhafte deutsche Mediziner haben sich kürzlich aber auch aus anderen Gründen massiv gegen Fastenkuren zur Gewichtsreduktion ausgesprochen. Diese führen nämlich primär zu einem Abbau an Muskelmasse. "Während jeder Nullkalorienzufuhr greift der Organismus auf die Eiweißreserven zurück. Dabei deckt er seinen Bedarf auch aus der Herzmuskulatur, wodurch Veränderungen wie etwa Herzrhythmusstörungen und Kammerflimmern entstehen, die mit dem Tod enden können," warnte etwa der Ernährungsexperte Sven-David Müller.

Hinzu kommt: Wer Muskelmasse abbaut, dem fällt Bewegung nachher umso schwerer. Doch just sportliche Aktivitäten könnten den Körper daran hindern, sich aus den Muskeln das Eiweiß und damit die Kalorien zu holen, die er über die Nahrung nicht bekommt.

Weitere potenzielle Folgen mehrtägigen Fastens sind: Blutübersäuerung (Azidose), Gichtanfälle, niedriger Blutdruck, Schwäche, Kopfschmerzen, Müdigkeit, trockene Haut und Schleimhaut, Mundgeruch und erhöhtes Kälteempfinden. - Die deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin und Diätetik in Bad Aachen sagte es denn auch ganz offen: "Der Begriff Heilfasten ist lediglich ein Marketinggag, der dem Absatz von Büchern und der Werbung von Kliniken dient."

Abnehmen mit Köpfchen

Wie man es besser macht, zeigten jetzt Forscher der Uni Leipzig mit dem Konzept "MIRA - Mit Intelligenz richtig Abnehmen": Sie setzen bei langfristig angestrebten Gewichtsabnahmen nicht nur auf Gewichtskontrollen und Diätanweisungen, sondern vor allem auf Beratung. Mit Erfolg: Bei 60 Prozent der Teilnehmer verringerte sich langfristig das Gewicht deutlich - am stärksten bei jenen, die am häufigsten die regelmäßigen Beratungsangebote in Anspruch genommen hatten. Nach 40 Wochen hatten zwei Drittel mindestens fünf Prozent ihres Gewichts abgenommen.