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"Fastenmonat ist keine Hungerkur"

Von Stefan Beig und Bernd Vasari

Politik
Beim Fasten wird man "sich seiner selbst als Diener Gottes bewusst", meint Fuat Sanac. Foto: Newald

Ganztägiges Fasten ist im Koran vorgeschrieben und soll auch gesund sein. | Fällt der Ramadan wie 2010 in den Sommer, ist er oft anstrengender. | Wien. "Ich glaube an die Gesundheit des Fastens, weil ich mich danach seelisch und gesundheitlich besser fühle", meint Fuat Sanac, Dozent am Privaten Studiengang für das Lehramt für Islamische Religion in Wien. Wenn heuer am 8. September der Fastenmonat Ramadan zu Ende geht, kann sich laut Sanac jeder Muslim selbst prüfen, "ob er richtig gefastet hat, und darüber nachdenken, ob etwas anders geworden ist."


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Im Ramadan, dem neunten Monat des Mondkalenders, ist Fasten für alle Muslime Pflicht, und das heißt von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang auf

Essen, Trinken, Rauchen, geschlechtliche Handlungen und jegliche Injektionen zu verzichten. Gegessen wird nur zweimal, und zwar in der Früh vor dem Morgengebet und am Abend nach Sonnenuntergang. Die Länge des Fastens dazwischen variiert und hängt von der Jahreszeit ab. Der Monat Ramadan verschiebt sich nämlich jedes Jahr weiter nach vorne, weil das Jahr des Mondkalenders um etwa elf Tage kürzer ist als das Sonnenjahr. Wer 36 Jahre hindurch gefastet hat, hat zu jeder Jahreszeit gefastet. Einige Ärzte kritisieren die vollständige Enthaltsamkeit von Getränken tagsüber, manche - vor allem europäische - Muslime fordern deshalb eine zeitgemäßere Auslegung des Fastengebots.

Am härtesten war für Fuat Sanac der Monat Ramadan im Sommer vor 30 Jahren, als er in Deutschland studiert hat. "Ich habe damals in einer Brotfabrik gearbeitet, weil ich mein Studium finanzieren und meine Familie ernähren musste. Im Raum waren mehrere Öfen, es hatte 44 Grad. Wenn ich jetzt beim Fasten Hunger und Durst verspüre, denke ich an diese Zeit zurück." Ausgenommen vom Fastengebot des Ramadan sind Kranke, Schwangere, Kinder und Reisende.

Als Fastender war Sanac schon in seiner Heimat Türkei in der Minderheit. "Viele Menschen in der Türkei fasten nicht. Meine Freunde an der Uni in Ankara haben nicht gefastet, ich war der Einzige. In Österreich habe ich während des Ramadan mehr Respekt erfahren als in der Türkei."

Ein Besucher des Freitagsgebets in der Moschee Merkez Camii im 15. Wiener Gemeindebezirk erzählt: "Meine Frau steht um halb drei in der Früh auf und bereitet das Frühstück vor. Ich trinke dann immer Schwarztee. Das nimmt mir den Durst für den ganzen Tag." Von Beruf ist der Mann Straßenbahnfahrer: "Für mich ist es kein Problem, den ganzen Tag nichts zu essen und zu trinken. Jeder ist da anders. Selbst wenn meine Kollegen bei den Wiener Linien neben mir essen, bekomme ich keinen Gusto."

Den Bedürftigen helfen

Der Verkäufer des Lebensmittelgeschäftes Tuna, das sich im Gebäude der Moschee befindet, hat ebenfalls keine Probleme mit dem Fasten, gibt aber zu: "Im Winter ist es einfacher." Auf die Frage, ob er bestimmte Dinge im Ramadan nicht verkauft: "Man kann Getränke kaufen und ich habe auch kaltes Börek. Kebab kann ich aber nicht anbieten." Die Öffnungszeiten des Ladens bleiben im Fastenmonat unverändert.

Beim Freitagsgebet, das auf Türkisch, Arabisch und Deutsch gehalten wird, betont der Imam die Wichtigkeit der Almosenabgabe Zekat, die ein Gläubiger einmal im Jahr abgeben muss. In einer Infobroschüre, erhältlich am Ausgang der Moschee, sind die genauen Bestimmungen anhand von Gold und Euro festgelegt. Ab einem Besitz von 1000 Euro muss der Gläubige 25 Euro abgeben. "Der Ramadan ist auch dazu da, Bedürftigen zu helfen", erzählt ein anderer Gläubiger. "Warum soll ich mich beschweren, während des Tages zu fasten? Es gibt Menschen, die eine Woche nichts zu essen bekommen und kein sauberes Wasser haben."

Auch Fuat Sanac meint, dass ein Ziel beim Fasten die Erfahrung von Hunger und Not und das stärkere Mitfühlen mit hungernden Menschen in der dritten Welt ist. Weiters erhöhe die Enthaltsamkeit auch die Dankbarkeit für Nahrung. Überhaupt soll einen der Ramadan von allen schlechten Dingen freimachen, und dazu gehören auch Neid, negative Gefühlen, üble Nachrede und Streit.

Letztlich kommt es beim Fasten aber auf etwas anderes an. In seinem Buch "Der Islam. Kultur und Geschichte, Wirtschaft und Wissenschaft" hebt Sanac hervor: "Man nimmt ja schließlich nicht an einer Hungerkur teil, sondern fastet, um sich einmal mehr seiner selbst als Diener Gottes bewusst zu werden." Und an anderer Stelle heißt es: "Wir fasten wohl nur deswegen, weil Allah uns im Koran das Fasten vorgeschrieben hat." Sanac verweist darauf, dass es das Fastengebot in allen Religionen gibt. Das betont auch die entsprechende Sure im Koran: "O ihr Gläubigen! Das Fasten wurde euch vorgeschrieben, wie es denen vorgeschrieben worden war, die vor euch waren, damit ihr wirklich fromm werdet."

Am Abend gemeinsam essen

Festlich geht es im Ramadan nach Sonnenuntergang zu. "Jeden Abend werde ich eingeladen oder lade Freunde ein", berichtet Sanac. "Letztes Jahr habe ich im Ramadan nur einen einzigen Tag zu Hause verbracht." Freunde, Moscheen, Kulturvereine und die türkische Botschaft laden zum gemeinsamen Essen ein. Es ist auch üblich, Nicht-Muslime einzuladen. In islamischen Ländern steigt im Ramadan der Lebensmittelverkauf sogar deutlich. Und viele fastende Muslime bringen am Ende des Ramadan eher mehr als weniger auf die Waage.

Der Islam kennt auch ein freiwilliges Fasten sowie Fasten als Bußwerk. Doch beim Bayramfest, das den Fastenmonat beendet, ist Fasten untersagt. "Das ist wie ein Feiertag", sagt der Straßenbahnfahrer in der Moschee. "Man trifft sich am ersten Tag nach Ramadan in der Früh in der Moschee und verbringt dann den ganzen Tag mit seinen Verwandten."