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Die deutsche Islamismusforscherin Susanne Schröter über das Entstehen von Parallelgesellschaften.
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Die Angriffe von Austro-Türken auf Demonstranten in Favoriten haben weitreichende Folgen. Die Bundesregierung will nun schrittweise gegen sogenannte Parallelgesellschaften in Österreich vorgehen. Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) hat am Wochenende ihren "Fünf-Punkte-Plan" präsentiert. Dieser basiert auf einer Studie der deutschen Islamismus-Forscherin Susanne Schröter. Die "Wiener Zeitung" bat sie zum Interview.
Wiener Zeitung: Ihre Studie zu den "Parallelgesellschaften in Österreich", die vor den aktuellen Geschehnissen in Wien-Favoriten erstellt wurde, dient der österreichischen Bundesregierung nunmehr als eine Art Handlungsanleitung, um ebendiesen Entwicklungen zu begegnen. Ist das zulässig? War das ihre Intention?Susanne Schröter: Nein, das war natürlich nicht meine Intention. Mir ging es um eine Bestandsaufnahme. Andererseits ging es mir auch darum, Kategorien zu entwickeln, mit denen man arbeiten kann. Dass das aktuell geworden ist, damit konnte ich nicht rechnen. Allerdings bestätigt sich jetzt vieles von dem, was ich in meiner Studie beschreibe, in zugespitzter Form.Dass dieser Konflikt ausgerechnet in Favoriten ausgetragen wird, hängt mit der sozialräumlichen Segregation zusammen. Favoriten ist ein abgehängtes Milieu, gekennzeichnet durch einen heruntergekommenen Wohnbau. Ein ehemaliges klassisches Arbeiterviertel, das zum Migrantenviertel wurde. Es gibt ein hohes Vorkommen von Migrantenvereinigungen, teilweise herrscht Bildungsnotstand.Es ist sicher kein Zufall, dass die Lehrerin Susanne Wiesinger (Autorin von "Kulturkampf im Klassenzimmer", ehemalige Ombudsfrau für Wertefragen und Kulturkonflikte unter der türkis-blauen Bundesregierung, Anm.) in diesem Milieu ihre Bestandsaufnahme gemacht hat. Ich sehe meine Studie als Handwerkszeug für unterschiedliche Akteure. Nicht nur aus der Politik, sondern durchaus auch im Bereich der Sozialarbeit.
Als erste Maßnahme lädt nun die Integrationsministerin ausgerechnet jene zum klärenden Gespräch ein, die in Favoriten für die Eskalation verantwortlich waren. Was soll das bringen?
Wäre ich Parallelgesellschaft, dann würde ich mich dadurch in meinem Tun und in meiner "Wichtigkeit" massiv bestärkt fühlen. Und meine AnhängerInnen vermutlich auch. Gespräche sind immer gut. Allerdings sollte man bei solchen Gesprächen dann nicht nur Tee trinken und Konfliktthemen von vornherein aussparen. Man muss diese Vereine in die Verantwortung nehmen und an ihre Verantwortung erinnern. Man kann eskalierte Gewalt nicht einfach so durchwinken. Ich bin schon gespannt, was dabei herauskommt.
Bestärkt man diese Gruppen nicht dadurch auch in ihrem Tun?
Sie werden sich ernstgenommen fühlen. Sie bekommen eine Einladung von einer Ministerin. Aber gewissermaßen ist das auch eine Vorladung. Es wird an den handelnden Akteuren liegen, wie sie mit dieser Situation umgehen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will außerhalb der Türkei Politik machen, und zwar über Vereine, die er in zahlreichen Ländern kontrolliert. So etwas darf man nicht durchgehen lassen.
Inwieweit kann hier überhaupt die Bundespolitik lenkend eingreifen? Sie thematisieren in Ihrer Studie nahezu ausschließlich Maßnahmen (Wohnen, Bildung und Arbeitsmarkt und so weiter ), die auf kommunaler Ebene umgesetzt werden müssen, um Parallelstrukturen zu verhindern.
Ich würde mir erwarten, dass die kommunale Politik den Ernst der Situation erfasst hat. Jetzt geht es darum, mit vereinten Kräften zusammenzuarbeiten. Etwa, indem man ein Modellprojekt für gelungene Integration schafft. An einzelnen Teilstellen zu drehen, wird nicht den gewünschten Effekt haben. Bei sich gerade etablierenden Parallelstrukturen reicht das vermutlich aus. Das, was in Favoriten passiert, ist allerdings das Ergebnis einer langjährigen Entwicklung. Das heißt, jetzt braucht es einen weitaus größeren Plan, um die Situation in Griff zu bekommen.
Ihr Kollege, der deutsche Soziologe Heinrich Heitmeyer, mit dem Sie auch schon zahlreiche Studien veröffentlicht haben, schreibt sinngemäß, dass man deeskalierende Maßnahmen im Zusammenhang mit "gescheiterter" Integrationspolitik nicht den Konservativen überlassen sollte. Die seien nämlich dafür verantwortlich. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz hat seine politische Karriere auf Bundesebene als Integrationsstaatssekretär gemacht. Was kann eine Regierung, deren prominentestes Mitglied die aktuelle Situation mitverantwortet, da jetzt noch großartig ausrichten?
Ich bin keine Kommentatorin der österreichischen Politik. Es gibt eindeutige Versäumnisse in bestimmten Bereichen. Das muss man ändern. Egal, wer auch immer was zu verantworten hat: Jetzt muss man, ohne Schuldzuweisungen, gemeinsam aktiv werden. Ich weiß, dass in Österreich das Verhältnis zwischen Bundesregierung und Wien alles andere als einfach ist, und dass es da sehr große Spannungen gibt. Ich bin Pragmatikerin und sage: Man wird diese Differenzen überwinden müssen.
Sie beschreiben in Ihrer Studie sehr detailliert, wie sich Parallelstrukturen etablieren und wie diese letztendlich zur Parallelgesellschaft mutieren können. Allerdings hat das mit den Ausschreitungen in Favoriten nur wenig zu tun. Die Menschen, die da auf der Straße für Tumulte gesorgt haben, sind überwiegend Österreicher und in Österreich geboren. Die leisten hier ihren Präsenzdienst, arbeiten nur noch bedingt unter prekären Verhältnissen und leben in Genossenschaftswohnungen. Sollte man hier nicht eher eine Faschismus- oder zumindest eine Nationalismusdebatte führen?
Nationalistische Segregation ist hier ein entscheidender Indikator. Wenn man innerlich immer noch der Meinung ist, dass die Heimat die Türkei ist und Erdogan der Präsident ist, dann ist die Integration gehörig schiefgegangen. Völlig unabhängig davon, wie lange ich schon wo lebe. Und da muss man dann auch einfach mal Tacheles reden. Nicht nur die Aufnahmegesellschaft muss sich verändern, auch die Communitys, in dem Fall die türkische Community, muss Farbe bekennen und ihren Teil dazu beitragen.
Sie regen die Bildung einer Dokumentationsstelle für den politischen Islam an. Inwieweit ist eine derartige Stelle in Zusammenhang mit den aktuellen Ausschreitungen sinnvoll? Man hatte bei den Bildern der vergangenen Tage nicht den Eindruck, dass es sich hierbei um Jugendliche handelt, denen das Freitagsgebet und der Koran ein besonderes Anliegen sind.
Der Einfluss, den die türkische Regierung, aber auch die Moslembruderschaft auf diese Jugendlichen ausübt, ist unbestreitbar. Viele Kinder- und Jugendliche gehen in die Sonntagsschule und in islamische Kindergärten. Da werden Werte und Normen vermittelt, die nicht immer mit denen einer westlichen, säkularisierten Gesellschaft übereinstimmen. So eine Dokumentationsstelle ist eine gute Sache, weil man dann endlich einmal verlässliche und belastbare Daten hat. Ich erwarte mir, dass diese Stelle mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern besetzt wird, die ihr Handwerk verstehen. Viele Jugendliche, die mit islamistischen Parolen um sich werfen, die sogenannte "Generation Halal-Haram", wissen in der Tat nicht viel über den Islam, sind nicht ideologisch gefestigt. Aber sie nutzen den politischen Islam, um ihr Ego aufzupolieren, ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Aber ich gebe Ihnen recht: Man muss zunächst an die heranzukommen versuchen, die diese Ideologie transportieren und ständig Öl in Feuer gießen. Auch das wird eine Aufgabe dieser Dokumentationsstelle sein.