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Faymann prescht mit Dacapo für EU-Konvent vor

Von Alexander Dworzak

Europaarchiv

EU-Parlamentarier begeistert, Vorschlag nicht auf der Gipfel-Agenda.


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Wien. Dass sich die Europäische Union in einer tiefen Krise befindet, ist keine Neuigkeit. Unerwartet kam aber das von Bundeskanzler Werner Faymann am Mittwoch präsentierte langfristige Rezept zur Bewältigung des Problems: Ein Konvent müsse her, der sich mit strukturellen Änderungen wie der Rolle des EU-Parlaments oder der Direktwahl des Kommissionspräsidenten auseinandersetzen sollte, trommelte der Kanzler in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Außenminister Michael Spindelegger.

Der Erstversuch eines Konvents scheiterte seinerzeit grandios: Mühsam erarbeiteten von Ende 2001 bis zum Sommer 2003 Abgeordnete aus nationalen Parlamenten und Brüssel mit Vertretern der Kommission eine Verfassung. Diese sei für den Papierkorb, titelte der "Economist" damals. Im Mistkübel landete die Verfassung tatsächlich aufgrund der Ablehnung bei Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden.

Keine Absprache

Faymann hat seinen nunmehrigen Vorstoß weder mit anderen Staats- und Regierungschefs abgesprochen, noch steht er auf der Agenda beim EU-Gipfel Ende Juni. Auch bei der Vertretung der EU-Kommission in Wien hörte man am Mittwoch zum ersten Mal davon, erfuhr die "Wiener Zeitung" auf Nachfrage. Von einem "Vorgriff" Faymanns sprach man im Umfeld von Vizekanzler Spindelegger; zuerst sollten die Ziele der Reform stehen, dann könne man über das Prozedere sprechen. Spindelegger ist Mitglied der "Zukunftsgruppe" der Union, in der Außenminister aus zehn Staaten - darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien - Vorschläge zur Reform der EU erarbeiten. Der am Dienstag vorgelegte Zwischenbericht sieht unter anderem "mehr europäische Durchgriffsrechte" in der Wirtschafts- und Steuerpolitik vor. "Konstruktionsmängel" müssten laut Spindelegger behoben werden; beispielsweise soll das Europäische Parlament ein Co-Initiativrecht bei der Gesetzgebung erhalten - bisher können die Abgeordneten lediglich auf Vorschläge der Kommission reagieren.

Begeistert hat Othmar Karas auf die Idee eines Konvents reagiert: "Ich freue mich, dass das Thema endlich kein Tabu mehr in Österreich ist", sagte der ÖVP-Politiker, der auch Vizepräsident des EU-Parlaments ist. Sozialdemokratische und grüne Europa-Abgeordnete sind ebenfalls langjährige Verfechter dieser Idee. Deren Umsetzung lässt aber noch auf sich warten: Bis zu fünf Jahre könnte der Diskussionsprozess dauern, schätzte Faymann am Mittwoch.

Akutmaßnahmen besprechen die europäischen Staats- und Regierungschefs kommende Woche, darunter einen Fonds für kleine und mittlere Unternehmen, Banken- und Fiskalunion sowie das heiße Eisen Finanztransaktionssteuer; bei letzterem Thema leistet vor allem Großbritannien erbitterten Widerstand. Europa müsse hier "strenge Maßstäbe anlegen, auch wenn nicht alle mitziehen", stellte Faymann am Mittwoch klar.