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FBI nicht genau unter Lupe genommen

Von Ritt Goldstein

Politik

Wie das Wasser aus einem berstenden Staudamm ergossen sich letzte Woche die - lang vermuteten aber nie ausgesprochenen - Vorwürfe gegen das FBI in Zusammenhang mit den Anschlägen auf die USA am 11. September 2001. Die ehemalige FBI-Mitarbeiterin Sibel Edmonds schrieb einen offenen Brief an den Chef des Federal Bureau of Investigation (FBI), in dem sie der 9/11-Kommission vorwirft, die Rolle des FBI, das die Anschläge mit ermöglicht hat, nicht genau genug unter die Lupe genommen zu haben. Außerdem verwende das Gremium auch seine Untersuchungsergebnisse dazu, alle Ereignisse rund um den 11. September langsam zu vertuschen.


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Zuvor hatte das US-Justizministerium die Anschuldigungen Edmonds' zum "Staatsgeheimnis" erklärt. Die "New York Times" nannte das einen "ungewöhnlich großen Vertuschungsschleier". Am 13. Mai unterschrieb Staatsanwalt John Ashcroft eine Verfügung, die es der FBI-Mitarbeiterin untersagte, in einem von den Familien einiger 9/11-Opfer eingebrachten Verfahren auszusagen. Als Begründung wurde "die Wahrung von Staatsgeheimnissen" angegeben - was selten vorkommt.

Die Anwendung dieser Klausel verhinderte auch die Weiterverfolgung einer Zivilklage, die Edmonds gegen das Justizministerium einbrachte. Der Agentin wurde auch generell verboten, ihre Anschuldigung mit jemandem zu diskutieren. Medien waren daraufhin voll mit Anschuldigungen gegen die US-Regierung unter Präsident Bush, diese wolle Edmonds "zum Schweigen" bringen.

Die türkischstämmige Amerikanerin war Übersetzerin beim FBI bis sie ihre Anschuldigungen an die Öffentlichkeit brachte. Alle bisherigen Informationen Edmonds' konnten nie widerlegt werden, im Gegenteil, mit der Zeit haben sie sich als immer exakter herausgestellt.

"Ihr Gang an die Öffentlichkeit hat bei ihrer Entlassung eine Rolle gespielt", zitierte der FBI-Direktor Robert Mueller in einem Brief an den republikanischen Senator Orrin Hatch (Utah), der Vorsitzender des Justizausschusses ist, einen Rechnungshofbericht. Der "Wiener Zeitung" gelang es, eine Kopie des Briefes zu erhalten. In diesem steht auch, gestützt auf den Inhalt des Berichts, dass das FBI ein neues Ziel verfolgt, nämlich, die "Disziplin von FBI-Mitarbeiterinnen" anzustreben. Außerdem stehe eine "zusätzliche Untersuchung" von Edmonds Anschuldigungen noch aus.

In ihrem offenen Brief an die 9/11-Kommission stellt

Edmonds den Nutzen der Kommission bei der Lösung von "strukturellen Problemen in der Abteilung" in Frage. Sie stellt vernichtend fest: "In Ihrem Bericht gehen Sie nicht auf Personen ein, die schon früher und auch heute Untersuchungen verhindert haben, oder die unsere Sicherheit und unsere Leben für ihre Karriere aufs Spiel setzen".

Als Konsequenz, so Edmonds in ihrem Brief, enthalte der Bericht "keine Information über diese Probleme im System, die dazu geführt haben, dass das FBI die Anschläge vom 11. September nicht verhindern hat können".

Edmonds sagte auch mehrere Stunden lang vor der Kommission aus.

Mueller schreibt in seinem Brief an Hatch, dass der "Rechnungshof Kritik am FBI geübt hat, weil es Edmonds' Spionagevorwürfe nicht genau genug untersucht hat". In diesen Anschuldigungen geht es um einen Kollegen Edmonds', der angeblich "2002 die USA überhastet verlassen hat", zusammen mit "einigen Verdächtigen, die auf der Fahndungsliste des FBI stehen".

Edmonds beschrieb die Position des FBI zu diesem Fall folgendermaßen: "Es hätte nicht gut ausgesehen, wenn dieser Fall von Gefährdung der Sicherheit und Spionage untersucht worden und an die Öffentlichkeit gelangt wäre." Dabei verwies sie auch auf den letzten Spionagefall, der einen Fleck auf dem Image des FBI hinterlassen hat, jener von Robert Hanssen. Der Ex-Mitarbeiter war 2001 wegen Datenweitergabe an Russland verhaftet worden.

In der ganzen Reihe von Anschuldigungen, die Edmonds in ihrem offenen Brief an die Kommission erhebt, ist wahrscheinlich jene gegen das FBI am interessantesten, in der es um Daten über die Anschläge vom 11. September geht. Laut Edmonds hatte das FBI bereits vier Monate vor den Anschlägen eine Warnung über die geplante Aktion erhalten.

Bush und seine Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice haben zwar immer dementiert, dass es auch nur irgendwelche Anzeichen dafür gegeben haben könnte, dass Flugzeuge für die Anschläge verwendet würden - Edmonds deckt jedoch andere Fakten auf.

Angeblich hatte das FBI im April 2001 Informationen erhalten, wonach Osama bin Laden "einen groß angelegten Terrorschlag gegen die USA vorbereitet mit vier bis fünf Großstädten als Hauptziele". Weiters sei bekannt gewesen, dass "bei den Anschlägen Flugzeuge verwendet werden", dass die daran beteiligten Terroristen bereits in den USA seien und dass der Anschlag "in ein paar Monaten" erfolgen werde.

Laut Edmonds' Angaben stammte die Warnung von einem langjährigen FBI-Informanten und wurde direkt an den Spezialagenten in Washington, der für Terrorismus-Bekämpfung zuständig war, weitergeleitet. Des weiteren seien nach den Anschlägen FBI-Agenten und Übersetzer aufgefordert worden, über diese Informationen Stillschweigen zu bewahren.

Jetzt haben auch zwei Mitglieder des Justizausschusses des US-Senats, Charles Grassley (Republikaner, Iowa) und Patrick Leahy (Demokrat, Vermont), den Rechnungshof aufgefordert, Edmonds' Anschuldigungen genauer zu untersuchen. Grassley nannte ihre Aussagen "sehr glaubwürdig".

Übersetzung: Barbara Ottawa