Berlin - Der heute beginnende 52. Bundesparteitag der deutschen Freien Demokraten (FDP) in Düsseldorf verspricht ein Event der Superlative zu werden: Erstmals will der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, auf einem deutschen Parteikonvent sprechen. Der designierte FDP-Chef Guido Westerwelle wird mit seiner Wahl der jüngste Parteivorsitzende nach dem Krieg. Die Beratungen der 662 Delegierten werden von fast 1.600 Journalisten, Gästen und Technikern begleitet. Das sind fast dreimal so viele wie sonst.
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Allerdings war der Schlagabtausch zwischen den "Kurfürsten" Walter Döring und Jürgen Möllemann, Ex-Wirtschaftsminister und -Vizekanzler, noch immer nicht beendet. Er ging führenden Liberalen erkennbar auf die Nerven. Döring, Landeschef von Baden-Württemberg, erklärte, er wolle sich bei Möllemann, dem Landeschef in Nordrhein-Westfalen, nicht dafür entschuldigen, dass er ihm "Größenwahn" vorgeworfen hatte.
Möllemann, der zur Kanzlerkandidatur für die FDP bereit ist, will stellvertretender Parteivorsitzender werden, seine Wahl gilt als sicher. Die bisherigen Amtsinhaber Döring und Rainer Brüderle treten wieder an.
Im Sinne des Generationswechsels an der Spitze der Liberalen nominierte Westerwelle die 42-jährige Ostdeutsche Cornelia Pieper als seine Generalsekretärin. Als Beisitzerinnen kandidieren die 36-jährige Umweltexpertin Birgit Homburger und die bayerische FDP-Chefin und deutsche Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Für den dritten Beisitzerposten gibt es mindestens drei Kandidaturen. Eine Bewerbung kommt vom Kieler Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki, den Möllemann zur Stärkung seiner Hausmacht gut brauchen könnte.
Die Jugendorganisation "Junge Liberale" kündigte an, mehr als ein Dutzend ihrer Mitglieder würden für den Bundesvorstand kandidieren. Im bisherigen Präsidium hätten die "Julis" keine Mitglieder gehabt. Mit der Unterstützung der Kandidaturen ihrer ehemaligen Vorsitzenden Homburger und des Sozialpolitikers Martin Matz solle sich das jetzt ändern.
Aber auch Altersweisheit will Westerwelle um sich versammeln. Als nicht stimmberechtigte Mitglieder sollen in das Präsidium auch alle Ehrenvorsitzenden von Altbundespräsident Walter Scheel über den langjährigen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Ex-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff bis zu Ex-Außenminister Klaus Kinkel eingeladen werden.
Am ehemaligen Wirtschaftsminister Günter Rexrodt, der Schatzmeister werden soll, schätzt Westerwelle offenbar dessen Fähigkeit, Spenden zu sammeln. An den angeblich mangelnden Akquisitionserfolgen des nicht mehr kandidierenden Vorgängers Carl-Ludwig Thiele hatte sich im vergangenen Jahr Kritik entzündet.
Mehr Geld kann die Partei nach Angaben Westerwelles auch deshalb brauchen, weil ihr ehrgeiziger Aufbruchplan Kosten verursacht. Die FDP, die derzeit zwischen neun und elf Prozent schwankt, will bis zur Bundestagswahl 2002 auf Kosten der Grünen um die 18 Prozent einfahren. Streit in der Strategiedebatte, ob dazu ein Kanzlerkandidat Möllemann oder ein Spitzenkandidat Westerwelle nötig sei, ist auf dem Parteitag schon programmiert: Anträge aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und aus Berlin liegen vor, mehrere Änderungsanträge ebenfalls.
Westerwelle will es der Parteitagsdynamik überlassen, wie und an welcher Stelle er seine programmatischen Grundanliegen einbringt: Danach soll die FDP keine Koalitionsaussage machen, weil sie als eigenständige Partei kein Anhängsel einer anderen Partei mehr sei.
Außerdem will die FDP mit einer Rückbesinnung auf die "klassische soziale Marktwirtschaft" deutlich machen, dass sie sich in der Nachfolge des legendären CDU-Kanzlers Ludwig Erhard (1963 bis 1966) sieht.