Das Risiko eines neuerlichen Krieges zwischen Armenien und Aserbaidschan ist höher geworden. Zu diesem Schluss kommt ein internationaler Think Tank.
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Es sind Hügel und Wälder, die die Landschaft prägen. Die schwarzen Bergrücken kontrastieren mit dem satten Grün der weiter unten gelegenen Wiesen. All das floss in den Namen der Region ein: Nagorno Karabach, Berg Karabach.
Es ist kein großes Gebiet; mit rund 4400 Quadratkilometern nur etwas größer als das Burgenland. Es ist weder reich an Rohstoffen noch ein wichtiger Industriestandort. Doch es sind schon erbitterte Kriege um kleinere Flecken Erde geführt worden - und auch da ging es nicht nur um Ressourcen.
So handelt es sich auch beim jahrzehntelangen Zwist zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg Karabach nicht zuletzt um eine Frage des Nationalstolzes. Aserbaidschan verlangt zurück, was völkerrechtlich gesehen zu ihm gehört. Armenien wiederum, das das Gebiet besetzt hält, sieht die Region als eigene an: Immerhin lebten dort schon immer mehr Armenier als Azeris. Das war auch nach dem Ersten Weltkrieg der Fall, als das kommunistische Zentralkomitee Berg Karabach der damaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan zugeschlagen hat.
Nach den Kämpfen, Vertreibungen und Morden vor knapp 20 Jahren folgte 1994 ein Waffenstillstand. Seitdem herrscht in dem Gebiet etwas, was in der Diplomatensprache "eingefrorener Konflikt" heißt.
Der könnte sich aber in absehbarer Zeit wieder in offenen Kämpfen entladen. Ein Wettrüsten, sich häufende Zusammenstöße an der Grenze, beißende rhetorische Scharmützel und keinerlei Fortschritte bei Friedensverhandlungen erhöhen das Risiko, dass es wieder zu einem Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan kommt. Zu diesem Schluss gelangt die International Crisis Group (ICG).
Es ist ein düsteres Szenario, das der Think Tank in seinem aktuellen Bericht entwirft: Eine Eskalation der Spannungen könnte eine größere Spirale der Gewalt auslösen als vor 1994 und sich verheerend auf den gesamten Südkaukasus auswirken. Verbündete Länder wie Russland oder die Türkei würden hineingezogen. Die - auch für Europa - wichtige Versorgung mit Erdöl und Gas aus Aserbaidschan wäre gefährdet. Eine neue Flüchtlingskrise wäre absehbar. Um dieses Risiko abzuwenden, sollten beide Seiten ein Abkommen schließen und endlich mit vertrauensbildenden Maßnahmen beginnen, empfiehlt ICG.
Denn im Vorjahr sind die Länder einer Konfliktlösung kein Stück näher gekommen. Im Gegenteil: Es wurde massiv aufgerüstet. Aserbaidschan hat beschlossen, seine Militärausgaben heuer fast zu verdoppeln. Die rund zwei Milliarden Euro dafür machen ein Fünftel des gesamten Staatshaushalts aus.
Armenien hat bekannt gegeben, moderne Flugabwehrraketen vom Typ S-300 zu besitzen. Außerdem wurde ein Vertrag mit Moskau zur Stationierung russischer Truppen verlängert. So bleibt Russland zumindest bis 2044 offiziell Schutzmacht Armeniens.
Die Vermittlergruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) steht dem mehr oder minder hilflos gegenüber. Appelle an andere Staaten, die empfohlenen Waffenembargos einzuhalten, verpuffen. In den Verhandlungen bezichtigen Baku und Eriwan einander regelmäßig, keine ernsthaften Gespräche zu führen sondern den jeweils anderen hinzuhalten. Und die Präsidenten beider Länder wollen aus innenpolitischen Gründen nicht den Eindruck erwecken, sie würden nachgeben.
Bezahlen für den Konflikt müssen nicht zuletzt die Soldaten an der Grenze. Laut ICG starben im Vorjahr fast 30 Menschen in Gefechten. Heuer wurden drei Soldaten getötet.