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Fehlende Arbeitskräfte durch fehlenden Stich

Von Marina Delcheva

Wirtschaft

Die niedrige Impfquote in Osteuropa könnten für den Arbeitsmarkt zum Problem werden.


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Das ist ein ungewöhnliches Bild: Vier Männer marschieren mit drei vor ihnen gehissten Flaggen von Bosnien, Serbien und Kroatien am Schwedenplatz vorbei. Sie protestieren mit tausenden anderen am Sonntag gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung, wie der "Kurier" zuerst berichtete. Die geplante Impfpflicht eint die Impfgegner der eigentlich zerstrittenen Völker Ex-Jugoslawiens über Religions- und Nationalitätsgrenzen hinweg. Und ganz allgemein herrscht östlich von Österreich Verwunderung bis Unmut über die Regierungspläne, ab 1. Februar eine Impfpflicht einzuführen.

Die Impfgegner und der Glaube an Verschwörungstheorien könnten für den Arbeitsmarkt zum Problem werden. Denn die zentral-, ost- und südosteuropäischen Länder haben eine besonders niedrige Impfrate und eine besonders hohe Impfskepsis innerhalb der Bevölkerung. Aus diesen Ländern kommen jedoch besonders viele Menschen als Altenpfleger und Saisonfachkräfte in der Gastronomie und Landwirtschaft nach Österreich. Auch für sie gilt ab 1. Februar aber 1G, also geimpft.

Viele Grenzpendler

Schätzungen des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) zufolge kommen 98.000 bis 100.000 Menschen regelmäßig oder temporär aus den östlichen EU-Nachbarstaaten - also aus Ungarn, Slowenien, der Slowakei, Rumänien, Polen - nach Österreich zum Arbeiten. Darunter fallen einerseits Tages- und Wochenpendler in den ostösterreichischen Grenzregionen. Anderseits sind das auch Arbeitnehmer, die wochen- oder monatsweise als Saisonniers in der Landwirtschaft oder im Tourismus tätig sind. "Es handelt sich um Menschen, die hier unselbständig beschäftigt sind, aber nicht ihren Hauptwohnsitz nach Österreich verlegt haben", erklärt Wifo-Arbeitsökonom Peter Huber.

Nicht eingerechnet sind mindestens 62.000 selbständige 24-Stunden-Pflegekräfte, die meist aus der Slowakei oder Rumänien hier im Zwei- oder Vier-Wochen-Rhythmus ältere Menschen pflegen. Hinzu kommen laut Wirtschaftskammer nicht ganz 1.300 Saisonniers aus Drittstaaten, die temporär in Österreich arbeiten dürfen. Diese kommen meistens aus Serbien oder Bosnien-Herzegowina. Sie alle wären auch von der geltenden Impfpflicht erfasst, theoretisch zumindest.

Niedrige Impfquoten

Sieht man sich nun die Impfquoten in den zentral- und osteuropäischen Ländern an, muss man davon ausgehen, dass eine Vielzahl der Menschen, die regelmäßig nach Österreich zum Arbeiten kommen, aber eben nicht ihren Lebensmittelpunkt hier haben, wohl ungeimpft sind. Bulgarien ist zum Beispiel mit 25 Prozent vollständig gegen das Corona-Virus Geimpfter EU-Schlusslicht. In Bosnien sind es nur 22 Prozent, in der Slowakei sind es 42, in Slowenien 55 Prozent. Einige könnten sich noch wegen des Jobs noch impfen, aber wohl nicht alle.

Noch ein Problem kommt hinzu: In Serbien und Ungarn sind auch der russische Impfstoff Sputnik V und der chinesische Sinovac zugelassen. In Österreich nicht. Dürfen dann Erntehelfer, die zum Beispiel mit Sputnik immunisiert wurden, im Mai zum Spargelstechen ins Marchfeld kommen?

"Bei der Impfpflicht ist ja noch gänzlich offen, wie diese am Arbeitsplatz geahndet werden soll", sagt Sandra Leitner, Ökonomin und Arbeitsmarkt-Expertin am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). "Aus Arbeitsmarktperspektive ist aber zu erwarten, dass eine geringere Migration und Pendlertätigkeit aus diesen Ländern nach Österreich stattfinden könnte."

Das würde wiederum den bestehenden Fachkräftemangel im Tourismus, in der Pflege, in der Landwirtschaft aber auch in der Industrie verschärfen. "Es muss uns gelingen, diese Skepsis und dieses Misstrauen in die Impfung irgendwie zu zerstreuen", sagt Leitner.

Auch die Tiroler Industriellenvereinigung befürchtet einen Fachkräftemangel, wie sie am Mittwoch in einer Aussendung schrieb: "Die Impfpflicht birgt Risiken, die für den Wirtschaftsstandort Tirol nicht zu unterschätzen sind." Impfskeptiker könnten dann Länder ohne Impfpflicht bevorzugen.

Viele Fragen offen

Wie diese Pflicht tatsächlich aussehen soll, für wen sie gilt, wie sie exekutiert wird und ob eine Corona-Schutzimpfung zur Einreisebedingung nach Österreich wird, weiß man im zuständigen Gesundheitsministerium noch nicht. "Die Bundesregierung hat mit dieser Woche einen umfassenden Prozess gestartet, an dessen Ende die Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht stehen soll. Das Gesundheitsministerium will dabei rasch einen Gesetzesentwurf vorlegen, anschließend wird es ein Begutachtungsverfahren geben", heißt es auf Nachfrage.

Keine Impfpflicht ist aus wirtschaftlicher Sicht aber auch keine Lösung. Zumindest, solange die Impfquote nicht ausreicht, um Lockdowns und Einschränkungen zu vermeiden. "Es ist natürlich kein Nachteil, wenn alle geimpft sind", sagt Huber. In Ländern mit hohen Impfquoten wie Portugal und Spanien gibt es derzeit keinen Lockdown, keine überfüllten Spitäler und auch für Touristen sind Urlaubsziele mit niedriger 7-Tages-Inzidenz attraktiver.

In Österreich arbeiten mehr als 100.000 Saisonniers und Pendler aus Osteuropa. Dort ist aber die Impfquote besonders niedrig und die Impfskepsis besonders groß. Die Impfpflicht könnte den Fachkräftemangel verschärfen.