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Feige, nicht demokratisch

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

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Mitunter geschieht es, dass Politiker das Richtige wollen und dann doch das Falsche tun. In einer Zeit zertrümmerter Autoritäten und mangelnder Orientierung ist "Mitbestimmung" zum neuen Zauberwort geworden. Die Basis zu beteiligen ist, ins Abstrakte gedacht, natürlich eine hervorragende Idee. Nur wird mitunter das Gegenteil zur Realität.

Etwa wenn nun das Schicksal der deutschen Koalitionsverhandlungen in der Hand einer verschwindend kleinen Minderheit zu liegen kommt. Nur zur Erinnerung: Mehr als 43 Millionen Bürger haben sich am 22. September die Mühe gemacht, einen neuen deutschen Bundestag zu wählen. Exakt 19.777.721 davon haben ihr Kreuz bei CDU und CSU gemacht - und damit Angela Merkel einen bemerkenswerten Wahlsieg geschenkt. Auf die Sozialdemokratie entfielen 12,8 Millionen Stimmen.

Ob die ausverhandelte Koalition jedoch auch tatsächlich zustande kommt, liegt in der Hand von lediglich 470.000 SPD-Mitgliedern. Wenn man bedenkt, dass die Beteiligung wohl irgendwo zwischen 50 und 80 Prozent liegen wird, dann könnte - im Extremfall - eine schwarz-rote Koalition am Widerstand von 120.000 SPD-Mitgliedern scheitern.

Eine solch haarsträubende Unverhältnismäßigkeit beim Verhältnis Minderheit zur Mehrheit führt die Idee der demokratischen Repräsentation ins Absurde. Und zwar völlig losgelöst von der Frage, wie man über eine große Koalition im Allgemeinen und das nun paktierte Regierungsübereinkommen im Konkreten denkt.

Wohlfeile und beliebte Beteiligungssprüche wie "wer nicht hingeht, ist eben mit dem Ergebnis einverstanden" führen dabei nur argumentativ ins Nirgendwo: Es gibt kein - und schon gar kein demokratiepolitisches - Argument dafür, weshalb das Schicksal der deutschen Bundesregierung, nebenbei die Führungsmacht eines derzeit wackeligen Europas, in den Händen einer so eklatanten Minderheit liegen sollte.

Dass es trotzdem so weit gekommen ist, belegt ein bemerkenswertes Beispiel für Führungsversagen in der deutschen Sozialdemokratie: Es ist schlicht besonders feige und nicht, wie manche gerne behaupten, besonders demokratisch.

Macht dieses Beispiel Schule - auch in Österreich ist aus der SPÖ mitunter der Ruf nach einer Urabstimmung zu vernehmen -, werden allgemeine Wahlen sinnlos.