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Feigenblatt für Machtübernahme?

Von Ritt Goldstein

Politik

Die US-Regierung unter Präsident George W. Bush ist aufrichtig empört über die Bedrohung durch irakische Massenvernichtungswaffen. Aber es gibt Vermutungen, dass das nur das letzte Feigenblatt der Regierung ist, um lang geplante Vorhaben zur Machtübernahme in dieser Region zu verdecken.


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Die derzeitige Vorgehensweise der Regierung gleicht immer mehr derjenigen des Verteidigungsministers während des Golfkrieges im Jahre 1990, des heutigen Vizepräsidenten Dick Cheney. Dieser unternahm damals allem Anschein nach den Versuch, die amerikanische Öffentlichkeit absichtlich über die Fakten falsch zu informieren, die die damalige US-Invasion des Irak rechtfertigen sollten.

Irak taktischer Angelpunkt . . . und Ägypten die Beute

In einer Präsentation vor dem Verteidigungsausschuss (DPB) des Pentagon am 10. Juli des heurigen Jahres machte Laurent Murawiec vom non-profit Datenanalyseinstitut Rand folgende Voraussage: "Irak ist der taktische Dreh- und Angelpunkt, Saudi Arabien der strategische und Ägypten ist die Beute". Das Treffen war von Richard Perle, DPB-Vertreter des Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, arrangiert worden. Präsentiert wurde ein Plan, bei dem der Irak als Sprungbrett für die Umgestaltung der ganzen Region benutzt werden soll. Dem Washingtoner Irak-Experten Raad Alkadiri zufolge ist "das Ziel nicht nur ein neues Regime im Irak; das Ziel ist ein neuer Mittlerer Osten".

In einer Rede im August beschrieb Cheney die umgekehrte "Domino Theorie"-Logik hinter dem amerikanischen Vorhaben. Ihm zufolge werden die "freiheitsliebenden Menschen der Region eine Chance haben, Wertvorstellungen umzusetzen, die dauerhaften Frieden bringen können", wenn die USA einmal mit Saddam Hussein abgerechnet hat. Jessica Mathews, Präsidentin der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden, wischte Cheneys Argument beiseite und konterte: "Das Argument, wir würden eine demokratische Welle im Irak starten, ist nur heiße Luft". Unterstützt werden dieses und ähnliche Argumente von Ägyptens Präsident Hosni Mubarak. Er glaubt, dass ein Angriff auf den Irak "Rückwirkungen und andere Entwicklungen nach dem Angriff" mit sich bringen wird: "Wir fürchten, dass Chaos in der Region ausbrechen wird." Es gibt jedoch auch die Meinung, dass ein solches Chaos ein wichtiger Teil der Pläne der USA ist.

Die Ölfelder das Ziel?

Befürworter dieser reinen Kräfte-Politik-Vision sehen den Fall der derzeitigen Regierungen im Mittleren Osten als eine von den USA geschaffene Chance, sich der Ölfelder in der Region zu bemächtigen - mit einer US-Truppe, die dann bequemerweise bereits im Irak ist. Die frühere britische Ministerin unter Tony Blair, Mo Mowlam, betonte, dass man "mit einer großen Truppenansammlung in der Krisenregion zur Zeit solcher Umbrüche diese wichtigen Vorkommen (die Ölfelder, Anm.) zum Schutz des Westens übernehmen und kontrollieren könnte". Die Resolution über Kriegsbefugnisse des US-Präsidenten, die vor kurzem den US-Kongress mit nur minimalen Änderungen passierte, eröffnet nach vielfacher Ansicht den Handlungsspielraum für genau solche Aktionen.

Laut Scott Silliman, dem Direktor des Institutes für Recht, Ethik und Nationale Sicherheit der Duke University, "sagt diese Resolution: ,Herr Präsident, Sie können überall Gewalt anwenden, um überall Frieden zu schaffen'". Die verschiedenen Bedrohungsszenarien, die die Bush-Regierung aufgeboten hat, um Attacken zu rechtfertigen, haben sich jedoch wiederholt als unbewiesen herausgestellt. Bedenken, dass die Szenarien künstlich geschaffen wurden - wie es auch vor dem Golfkrieg im Jahre 1990 geschehen war -, erhärten sich.

Während des letzten Golfkrieges hatte die Regierung von Bush senior mit vielen der selben Gesichter, die auch in der jetzigen Regierung sitzen, behauptet, dass ein irakischer Großangriff mit 250.000 Mann und 1.500 Panzern gegen Saudi Arabien bevorstünde. Der "Christian Science Monitor" berichtete, dass dem Pentagon Satellitenbilder vorlägen, auf denen eine Truppenkonzentration als Vorbereitung für einen Angriff gegen den US-Verbündeten und Ölproduzenten Saudi Arabien zu erkennen sei. Zeitgleich schossen andere Satelliten jedoch völlig andere Bilder.

Auf Kopien von Aufnahmen von kommerziellen Satelliten fehlte merkwürdigerweise jeglicher Hinweis auf die vom Pentagon erwähnte Truppenkonzentration. Alles was sie zeigten waren sandbedeckte Fahrbahnen und leere Wüste. Die "St. Petersburg Times" in Florida deckten die Geschichte auf. Sie zitierten zwei Experten für Satellitenbilder, inklusive eines früheren Analytikers der Defense Intelligence Agency (DIA), die "keinen Beweis für eine massive Präsenz irakischer Truppen finden konnten. Auf die Diskrepanz reagierte das Pentagon mit der Erklärung "Vertraut uns".

Nach dem Golfkrieg stellte die Hälfte der 545.000 irakischen Soldaten, die laut Verteidigungsministerium in und um Kuwait stationiert waren, ein weiteres "Rätsel" dar. Für ihre Existenz gab es der "Times" und anderer Quellen zufolge auch keine Beweise.

Informationskontrolle

Der US-Kongressabgeordnete Lee Hamilton, ein Demokrat aus Indiana, der damals Vorsitzender des Außenpolitischen Unterausschusses des Repräsentantenhauses für den Mittleren Osten war, lieferte das, was für die meisten die plausibelste Erklärung war. Der "Times" zufolge sagte Hamilton: "Sie (der Präsidentenstab, Anm.) kontrollieren die Informationen, sie kontrollieren die Geheimhaltung von Informationen und sie kontrollieren die Freigabe von Informationen. Sie benutzen sie, um mit dem Kongress und der amerikanischen Öffentlichkeit wie mit Jo-Jos zu spielen."

Erfundene Gräueltaten

Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass eine Aussage des Kongresses, wonach irakische Truppen Babies aus den Inkubatoren genommen haben, um 312 von ihnen dann "auf dem kalten Boden zum Sterben" liegen zu lassen, erfunden war. Der "Christian Science Monitor" zitierte einen späteren Kommentar des Beraters für Nationale Sicherheit, Brent Scowcroft: "Wir wussten zu dem Zeitpunkt nicht, dass es die Unwahrheit war."

Auch die derzeitigen sogenannten Beweise für irakische Massenvernichtungswaffen oder die Beteiligung an den Anschlägen am 11. September könnte in Frage gestellt werden, weil das Weiße Haus für den Fall Irak keine Einschätzung des Nationalen Geheimdienstes eingeholt hat. Diese Einschätzungen sind Dokumente, die von der CIA und anderen Geheimdiensten zusammengestellt werden und jede bekannte Information zu einem Thema in einem einzigen Bericht zusammenfassen. "USA Today" berichtete, dass diese Einschätzungen seit 1947 die "Hauptstütze für Entscheidungen über die nationale Sicherheit" waren. Die Zeitung schrieb, dass ein Geheimdienstsprecher das Nichtvorliegen einer Einschätzung in diesem Fall folgendermaßen erklärt hat: Die Regierung wolle vermeiden, dass "in einem Dokument, das ein großer Personenkreis einsehen kann, nicht-sichere Informationen, die es weiterhin gibt, festgeschrieben werden".

Die bis dato vernichtendste Geheimdienstinformation zielte auf das Verhalten der Bush-Regierung. In einem Bericht im "Guardian" vom 9. Oktober werden Vertreter des US-Geheimdienstes zitiert, die behaupten, dass die Annahmen des Präsidenten "auf einer einseitigen und manchmal völlig falschen Interpretation der verfügbaren Geheimdienstinformationen beruhen". Geheimdienstmitarbeiter sind angeblich auch "unter großen Druck gesetzt worden", ihre Berichte zu verfälschen.

Um jedoch internationale Bemühungen zu untergraben, die die USA von einer Attacke gegen den Irak abbringen wollen, hat die Bush-Regierung vorsichtige Drohungen ausgesprochen, den zukünftigen Zugang zu den Ölfeldern der Region betreffend.

Das "große Spiel"

Die "Washington Post" berichtete, dass der frühere CIA-Direktor James Woolsy gewarnt hat, dass "wenn sie alles, was sie haben, auf Saddam loslassen, wird es schwierig, die neue irakische Regierung dazu zu überreden, mit ihnen zusammenzuarbeiten." Als eine Art Anmerkung zu dieser Gefahr, schrieb die "New York Times" kürzlich, dass die Bush-Regierung plant, eine US-Militärregierung im Irak einzusetzen - ähnlich der, die Japan nach dem zweiten Weltkrieg regierte. In einem vielsagenden Kommentar zu den derzeitigen Umständen, schrieb John Pilger am 3. Juli: "Es gibt keinen Krieg gegen den Terror. Das ,große Spiel' ist nur schneller geworden und jetzt noch gefährlicher als jemals zuvor."

Übersetzung: Barbara Ottawa