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"Feigheit darf keine Option mehr sein"

Von Walter Hämmerle

Politik

Die Republik erinnert mit einem Festakt an den "Anschluss" vor 80 Jahren.


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Wien. Die Spitzen der Republik, die ehemaligen wie die gegenwärtigen, versammelten sich am Montag zu einem Staatsakt des Gedenkens im Zeremoniensaal der Wiener Hofburg. Vor 80 Jahren, in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938, überquerten deutsche Truppen an mehreren Stellen die Grenze zu Österreich. Die österreichische Regierung unter dem autoritär regierenden Kurt Schuschnigg wich, in dessen eigenen Worten, "der Gewalt" des NS-Regimes. Dabei war an Widerstand ohnehin nicht gedacht worden, im Gegenteil: Die deutschen Soldaten wurden von zahllosen Bürgern jubelnd willkommen geheißen. Mit Sicherheit nicht von allen, aber doch von vielen Österreichern wurde der "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich begrüßt. Und wenn es dazu noch eines Belegs bedurfte, dann lieferten ihn die rund 250.000 begeisterten Menschen, die Adolf Hitler am 15. März auf dem Heldenplatz frenetisch feierten.

Diese Ereignisabfolge, samt der unglückseligen Vorgeschichte der Ersten Republik und den Folgen der Katastrophe des anschließenden Zweiten Weltkriegs, wird in einer kurzen Dokumentation zu Beginn des Gedenkakts noch einmal zusammengefasst. Dann ergreift Bundespräsident Alexander Van der Bellen das Wort. Mit dem "Anschluss" werde "das dunkelste Kapitel unserer Geschichte aufgeschlagen", es sei - ausgelöst durch Polarisierung, Rassismus und Antisemitismus - zu einem politischen und gesellschaftlichen Multi-Organversagen gekommen. Noch heute, so der Bundespräsident, sei es unvorstellbar, "wie Menschen gleichzeitig Mozart hören und den Gashahn aufdrehen konnten". Alle in Österreich seien dazu aufgerufen, dieses Versagen aufzuarbeiten, und zwar ohne Schlussstrich "gestern, heute und morgen".

Bundeskanzler Sebastian Kurz erzählt sodann von der besonderen Verantwortung seiner, der heute jungen Generation: Schließlich sei sie mit Sicherheit die letzte Generation, die noch die Möglichkeit haben wird, persönlich mit Überlebenden der Shoah, der Massenvernichtung der Juden durch das NS-Regime, zu reden. Und Kurz macht auch das politische wie moralische Versagen deutlich, dass in den ersten Jahrzehnten nach 1945 keine Regierung die aus Österreich vertriebenen Juden zur Rückkehr eingeladen hatte. Das holte erst Franz Vranitzky 1991 nach, wobei es da für viele schon zu spät war. Nicht zuletzt aufgrund dieser Versäumnisse kündigt Kurz die Errichtung eines Erinnerungsorts für die Opfer der Shoah in der Wiener Innenstadt an; diese Geschichte der Versagens und Versäumens verpflichte Österreich auch zum entschlossenen Kampf gegen jede Form des Antisemitismus, des hiesigen wie des importierten.

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Die eigentliche Gedenkrede hält sodann André Heller. Der Künstler und Impresario erzählt davon, wie seine Familie den "Anschluss" erlebte: Der Vater, Jude, Fabrikant und Anhänger des autoritären Ständestaats, wird nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus dem Haus gezerrt und muss auf den Knien mit einer Zahnbürste den Gehsteig reinigen. Und er erinnert sich an eine Begegnung mit dem deutschen, 1933 nach Österreich geflohenen Autor Carl Zuckmayer 1970 in Wien; für Zuckmayer brach am 12. März 1938 die Hölle los, und Wien verwandelte sich in ein Albtraumgemälde von Hieronymus Bosch, in einen Hexensabbat des Pöbels, bei dem alle menschliche Würde begraben wurde.

Heute gebe es, so Heller, keine Ausrede mehr, nicht Rassismus und Antisemitismus entschlossen entgegenzutreten. Anders als in der NS-Zeit riskiere man damit nicht mehr sein Leben. Das unterscheide die heutige Generation von der damaligen. Bruno Kreisky habe deshalb einmal zu ihm gesagt: "Aus Dankbarkeit für euer Glück darf Feigheit keine Option mehr sein."