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Reichere Staaten pochen auf Einsparungen im Haushalt bis 2020.
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Brüssel. Die städtischen Verkehrsbetriebe haben sich schon darauf eingestellt. Bis Samstag werden die Autobusse beim Schuman-Platz umgeleitet. Dass der Ort, wo die EU-Institutionen untergebracht sind, bei den Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit Betonsperren und Zäunen von der Umgebung abgeriegelt wird - daran mussten sich die Brüsseler gewöhnen. Doch meist legt sich dieser Staus und Ärger hervorrufende Zustand nach eineinhalb bis zwei Tagen: Freitag nachmittags ist der Kreisverkehr wieder befahrbar, die Zugänge zu den U-Bahn-Stationen sind wieder geöffnet, und die Busse peilen ihre gewohnten Haltestellen an. Doch diesmal könnte es später werden.
Es war nämlich ein Sondergipfel, zu dem die EU-Politiker zusammengekommen waren. Sein Ziel war eine Einigung auf die künftigen Ausgaben der Union. Und so gut wie alle waren darauf eingestellt, dass das Ringen um rund eine Billion Euro für die Jahre 2014 bis 2020 lang dauern wird.
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--> Denn die Positionen der Länder scheinen auf den ersten Blick kaum vereinbar. Während reichere Staaten auf Sparzwänge verweisen, pochen die ärmeren auf gut gefüllte Fördertöpfe. EU-Budgetkommissar Janusz Lewandowski fasste es knapp zusammen: "Die Spannungen sind noch sehr groß." Und die würden sich auch nicht im Laufe eines Tages lösen.
Im Detail sah das dann so aus: Die Briten pochten auf Budgetkürzungen und zugleich ihren Beitragsrabatt. Sie kündigten "harte Verhandlungen" an. Die Franzosen wollten keine Einsparungen bei den Subventionen für die Landwirtschaft. Diese Forderung erhoben ebenfalls die Österreicher, die daneben auch darauf bestanden, weiterhin Ausgleichszahlungen für ihre Beiträge zum Haushalt zu bekommen. Die Polen, größter Empfänger von EU-Mitteln, verteidigten die Ausgaben im Kohäsionstopf, aus dem unter anderem Geld in den Ausbau der Infrastruktur fließt. Die Deutschen, ebenfalls an einem schlankeren Budget als von der EU-Kommission vorgesehen interessiert, deuteten an, dass es im schlimmsten Fall auch erst im nächsten Jahr eine Einigung geben könne. Die Finnen hingegen wünschten sich noch im Laufe des Wochenendes eine Verständigung.
Einzelgespräch für jeden
Als EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy am Donnerstagabend einen neuen Kompromissvorschlag präsentierte, hatte er schon fast zehn Stunden Gespräche hinter sich. Mit jedem einzelnen Premier und Präsidenten traf er zusammen, um Bewegungsspielräume und Möglichkeiten von Zugeständnissen auszuloten. "Beichtstuhl-Verfahren" nennt sich das; vertrauliche Informationen oder Ermahnungen können so besser übermittelt werden als in einer größeren Runde. Der erste Gesprächspartner war der britische Premier David Cameron, als letzter stand der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann auf der Liste.
Daneben gab es jede Menge andere individuelle Begegnungen. So sprach sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande ab; David Cameron traf seinen schwedischen Amtskollegen Fredrik Reinfeldt sowie den niederländischen Premier Mark Rutte. Alle drei galten als Opponenten des letzten Budgetentwurfes. Polens Ministerpräsident Donald Tusk wiederum wollte um Unterstützung aus Paris und Rom werben.
Zwist um Agrarförderungen
Doch jenseits des Feilschens um Beitragsrabatte oder Förderungen ging es ebenso um einige grundsätzliche Debatten. So gibt es seit längerem ein Tauziehen darum, ob die Landwirtschaft weiterhin mehr subventioniert werden soll als andere Bereiche. Agrarförderungen machen noch immer den größten Budgetposten aus: Mehr als ein Drittel des Geldes fließt in die Landwirtschaft, und größter Nutznießer davon ist Frankreich. Doch gibt es Staaten - darunter Deutschland -, die befinden, dass die Qualität der Ausgaben überprüft werden soll. Dies würde dazu führen, dass nicht unbedingt der Wirtschaftssektor am stärksten gefördert würde, wo es immer weniger Beschäftigte gibt. Statt also für die Landwirtschaft müssten mehr Mittel für Forschung und Entwicklung zur Verfügung gestellt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas zu vergrößern.
Diese sehen etliche osteuropäische Regierungen wiederum gerade durch die Kohäsionspolitik gestärkt. Polen etwa, dessen Wirtschaft als Einzige in der gesamten EU im Jahr 2009 nicht geschrumpft ist, betont immer wieder den Zusammenhang seiner ökonomischen Entwicklung mit den EU-Strukturmitteln. Was manchen Westeuropäern wie ungeliebte finanzielle Unterstützung der ärmeren Mitglieder scheinen mag, sehen die Empfänger als Beitrag zur Förderung der gesamten EU-Wirtschaft. Als Beispiel dafür könnte auch Österreich dienen, das mit seinem ökonomischen Engagement in Osteuropa von besseren Wirtschaftsdaten dort profitiert.
Alle Länder beharren darauf, dass ihre Argumente in den Finanzverhandlungen berücksichtigt werden. Deren Ergebnis bildet den Rahmen für sieben Jahre, innerhalb dessen die jährlichen Etats fixiert werden. Diese mehrjährige Planung wurde vor einem Vierteljahrhundert eingeführt, um den Staaten mehr Sicherheit für langfristige Projekte zu geben. Solche Vorhaben wären denn auch gefährdet, wenn sich die Union nicht auf den Haushalt einigen kann. In diesem Fall gäbe es nach 2013, nach dem Ende der derzeit laufenden Finanzierungsperiode automatisch nur noch jährliche Budgets.
Mit am Verhandlungstisch sitzt Kroatien, das im kommenden Jahr als 28. Mitglied in die EU aufgenommen werden soll. Abstimmen darf es aber diesmal noch nicht. Zustimmung zum Budget muss allerdings vom Europäischen Parlament kommen. Das hat sich bereits gegen allzu große Kürzungen ausgesprochen.