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Feilschen um Flüchtlinge

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Die geplante Vereinbarung mit der Türkei stellt die EU vor rechtliche Herausforderungen.


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Brüssel. So hoch gesteckt das Ziel, so schwierig die Umsetzung. Nach einer prinzipiellen Einigung der EU-Staats- und Regierungschefs mit ihrem türkischen Amtskollegen auf eine umfassende Kooperation Anfang der Woche, müssen etliche Details noch geklärt werden. Und die Zeit ist knapp: Schon in einer Woche wollen die EU-Spitzenpolitiker bei ihrem Gipfeltreffen die Vereinbarung fixieren.

Das bereitet aber in so mancher Hauptstadt Sorgen, wie bei einem Treffen der Innenminister der Union deutlich wurde. Denn die Zugeständnisse, die der Türkei für ihre Unterstützung beim Schutz der EU-Außengrenzen gemacht werden sollen, reichen weit: Visafreiheit für Türken ab Sommer, Beschleunigung der EU-Beitrittsverhandlungen, mehr Geld für Flüchtlingshilfe. Vor allem der erste Punkt ist der Regierung in Ankara ein Anliegen; doch muss jeder Staat eine Reihe von Bedingungen erfüllen, bevor die Visumpflicht abgeschafft werden kann. Dies in nur drei Monaten zu erreichen, würde "an ein Wunder grenzen", heißt es in Diplomatenkreisen.

Zudem gibt es massive Bedenken gegen die Pläne, alle illegal nach Griechenland eingereisten Migranten in die Türkei zurückzuschicken und syrische Flüchtlinge direkt aus der Türkei umzusiedeln. Internationale Organisationen sehen es nicht als gewährleistet an, dass die Menschen ein faires Asylverfahren in der Türkei bekommen. Kritik regt sich ebenfalls an Verletzungen der Pressefreiheit und der Situation im Südosten des Landes, wo bei Kampfhandlungen zwischen der türkischen Armee und der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hunderte Menschen umgekommen sind.

Völlig ausgespart wird dies aber nicht. So hält es Innenministerin Johanna Mikl-Leitner für "kritisch", wenn die Regierung in Ankara eine Zeitung unter Zwangsaufsicht stellt und wenige Tage später in Brüssel "Wunschlisten auf den Tisch" lege. Und die Türkei werde noch belohnt, indem über eine Vorverlegung der Visaliberalisierung gesprochen werde. "Da frage ich mich schon, ob wir uns und unsere Werte noch ernst nehmen oder ob wir diese über Bord werfen", meinte Mikl-Leitner am Rande des Ministertreffens.

72 Voraussetzungen in fünf Bereichen muss die Türkei für die Visafreiheit erfüllen. Technische Anforderungen, wie die Bereitstellung von biometrischen Pässen, sind dabei leichter zu realisieren als so manche gesetzliche Vorgabe. So müssten Regelungen zum Datenschutz ebenso angepasst werden wie Anti-Diskriminierungs-Gesetze in Kraft treten.

So optimistisch sich die EU-Kommission zeigt, dass die Vereinbarung zur Flüchtlingsrücknahme in Einklang mit internationalem Recht zu bringen ist, nennt auch sie Bedingungen. Ankara müsse sicherstellen, dass für Schutzsuchende kein Risiko von Verfolgung bestehe und dass Menschen Asyl beantragen können und nicht einfach in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden, erklärte Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos. Gleichzeitig soll das Vorhaben dazu dienen, die Schlepper zu stören: Wer sowieso aus Griechenland zurückgebracht werde, werde weniger gewillt sein, für die Reise dorthin zu zahlen, ist das Kalkül. Der Mechanismus sehe vor, "dass diejenigen, die mithilfe von Schleppern gekommen sind, nicht diejenigen sind, die nach Europa kommen", machte der deutsche Innenminister Thomas De Maiziere klar. Was hingegen mit den 13.000 Menschen geschehen soll, die an der griechisch-mazedonischen Grenze ausharren, bleibt unklar. Das Flüchtlingslager in Idomeni versinkt im Schlamm; eine Zwangsräumung lehnte Athen bisher ab. Nach Angaben der Vereinten Nationen treffen an einem Tag mehr als 3000 Menschen ein.