Das Ringen um "Gentechnisch veränderte Organismen" (GVO) in der Landwirtschaft geht weiter. Während im vergangenen Jahr in Brüssel die Weichen für ihren Einsatz gestellt wurden, dürften auch heuer die österreichischen Äcker "sauber" bleiben. Dennoch sind 2005 grundlegende Richtungsentscheidungen zu erwarten, zum Beispiel was die Gentechnik-Freiheit des Saatgutes anbelangt. Eine Grundsatzfrage ist nach wie vor ungeklärt: Kann es in Mitteleuropa überhaupt eine Koexistenz zwischen traditioneller und Gentechnik-Landwirtschaft geben?
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Wer in den vergangenen Monaten auf der Packer Bundesstraße unterwegs gewesen ist, dem werden wahrscheinlich zwei riesige Transparente nahe der Straße aufgefallen sein, die eindringlich vor dem Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft warnen. Kurz nach der Aufstellung wurde Volker Helldorff, Besitzer einer großen biologischen Landwirtschaft und Urheber dieser Aktion, vom zuständigen Gendarmerieposten angezeigt, weil er in unmittelbarer Nähe zur Straße eine unzulässige "Werbung oder Ankündigung" aufgestellt habe.
"Pollenbarrieren"
Helldorffs Antwort: "Es handelt sich dabei um Pollenbarrieren. Sie sollen die gentechnikfrei wirtschaftenden Bauern vor dem Auskreuzen von Genpflanzen der Nachbarn schützen. Da ich von Brüssel keine Antwort bekomme, wie solche Barrieren ausschauen sollen und niemand haftet, wenn sie nicht wirken, habe ich mich für diese Version entschieden." Tatsächlich sandte die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt einen landwirtschaftlichen Sachverständigen an die Orte des Geschehens, der nach genauer Untersuchung der Transparente zur Auffassung kam, dass diese Art der Pollenbarrieren nicht wirksam sein könnten. Wieder entgegnete Helldorff prompt und forderte die Behörde auf, ihm mitzuteilen, wie diese Barrieren beschaffen sein müssten, um optimal zu funktionieren.
Dieser Fall, der wie eine Behördenposse aussieht und noch im Laufen ist, hat für Helldorff aber einen bitterernsten Hintergrund: "Wenn die Gentechnik in die Landwirtschaft Einzug hält, ist mein Biogetreide innerhalb kurzer Zeit durch Pollenflug verseucht. Werden nämlich genmanipulierte Pflanzen auf meinem Acker gefunden, verliere ich sofort meine Biolizenz und kann meine Produkte, wenn überhaupt, nur noch zu einem Minderpreis verkaufen. Die finanzielle Grundlage des Betriebes wird mir entzogen. Es würde sich also um eine glatte Enteignung ohne Entschädigung handeln und wäre daher ungesetzlich." Dass laut dem nun in Kraft getretenen österreichischen Gentechnikgesetz der "Gentechnikbauer" zur Verantwortung gezogen werden kann, ist Helldorff zu wenig, denn niemand könne einmal ausgekreuzte Gentechnik-Pflanzen zurückrufen.
Die Haftungsregelungen wurden auch von Umweltschutzorganisationen und den Grünen kritisiert - denn zuerst muss der geschädigte Bauer darlegen, dass eine bestimmte Tätigkeit oder Unterlassung des "Gentechnik-Bauern" zu der GVO-Verunreinigung geführt hat. Erst im Anschluss daran liegt es am "Gentechnik-Bauern", diese Vermutung zu widerlegen. Im ursprünglichen Entwurf hätte der "Gentechnik-Bauer" von Anfang an seine Unschuld beweisen müssen.
OÖ hofft auf EuGH
Die zentrale Frage ist also die Regelung der so genannten Koexistenz, des Nebeneinanders von biologischer, konventioneller und Gentechnik-Bewirtschaftungsform. Dass diese in einer kleinräumig strukturierten Landwirtschaft wie der österreichischen unmöglich ist, glaubt auch Oberösterreich. Daher kämpft es vehement um ein Gentechnikverbotsgesetz, das jedwede Freisetzung von GVO auf dem gesamten oberösterreichischen Landesgebiet zumindest für drei Jahre untersagen soll. Dieses Vorhaben wurde 2003 in Brüssel abgelehnt, woraufhin das Land eine Nichtigkeitsklage gegen diesen Entscheid beim EuGH einreichte. Zusammen mit der Toskana wurde eine Allianz gegründet, die mittlerweile 20 - vorwiegend italienische und französische - Regionen umfasst und das Selbstbestimmungsrecht der Regionen einfordert. Nach einer mündlichen Anhörung am 17. März wird eine Entscheidung für den Herbst erwartet.
Auf wissenschaftlicher Ebene beruft sich Oberösterreich vor allem auf eine Studie des Risikoforschers Werner Müller (siehe Artikel unten), die zeigt, dass besonders bei Raps und bei Mais eine Koexistenz kaum denkbar ist. Viele andere Bundesländer haben versucht, dem Konflikt mit der EU zu entgehen: EU-konforme Gentechnik-Vorsorgegesetze wurden erlassen, mit denen die Bauern möglichst schwer eine Genehmigung für den Anbau von GVO erhalten sollen - aber sie verbieten nicht grundsätzlich den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen. Diese Bundesländergesetze regeln u.a. die Frage der Koexistenz, während der Bund beispielsweise für die Haftung zuständig ist.
Mit dem erfolgten Beschluss der Gentechnikgesetze im Bund und in den Ländern wäre nun, in verspäteter Umsetzung der EU-Freisetzungsrichtlinie, im Prinzip der Weg frei für einen GVO-Anbau unter strikten Auflagen. Dennoch wird es 2005 nach menschlichem Ermessen noch nicht zum Anbau von GVO in Österreich kommen. Grund sind nationale Importverbote für in Frage kommende "Genpflanzen" - insbesondere für den Genmais MON 810, der 2004 in den EU-Sortenkatalog aufgenommen wurde und daher prinzipiell in allen Mitgliedsstaaten angebaut werden darf.
Diese Verbote Österreichs konnten bis jetzt - trotz mehrfacher Proteste der EU-Kommission - aufrecht gehalten werden. Als nächster Schritt wird es vermutlich beim EU-Umweltministerrat im März zu einer Abstimmung darüber kommen. Sollte sich hier, wie bisher bei allen derartigen Abstimmungen, weder eine qualifizierte Mehrheit für noch gegen die Gentechnik finden, hat wieder die EU-Kommission das Wort. Diese Entscheidung dürfte dann aber den im Mai angebauten Mais nicht mehr betreffen. Außerdem müsse das Saatgut von den Konzernen erst für mitteleuropäische Verhältnisse adaptiert werden, was wieder einige Zeit in Anspruch nehmen würde, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium.
Kompromiss bei Saatgut?
Bei allen Diskussionen über die Koexistenz wird meist auf ein Thema vergessen, das von vielen als weit bedeutender angesehen wird: Auf das Saatgut. Seit mittlerweile drei Jahren will die EU-Kommission einen Vorschlag für die EU-Saatgutrichtlinie zur Abstimmung vorlegen. Umweltschutz- und Bauernorganisationen bekämpften aber ebenso lang die Pläne, biologisches und konventionelles Saatgut je nach Sorte mit einer Gentechnik-Kontamination von 0,3 bis 0,5 Prozent noch als "gentechnikfrei" zu kennzeichnen. Die "alte" EU-Kommission konnte sich bis zum Schluss nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen. Ein Umdenken könnte jedoch der neue griechische Umweltkommissar Stavros Dimas bringen: In einer Anhörung sprach sich dieser für einen GVO-Grenzwert von 0,1 Prozent bei Saatgut aus.