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Das hätte man gern gesehen: wie Marcel Reich-Ranicki den derzeit heiß umfehdeten Roman Martin Walsers ("Tod eines Kritikers"), in dem er selbst unmissverständlich vorkommt (missverständlich ist nur, ob in antisemitischer Diktion - oder nicht), im "Literarischen Quartett" ver-, ja wahrscheinlich buchstäblich zerrissen hätte. Aber bekanntlich gibt es die Sendung nicht mehr, was man als Freund deftiger Streitkultur bedauern kann, weniger als Liebhaber feinsinnigen Literatur- und Bücher-Talks. Als solcher hat und hatte man stets schon eine Alternative: Im Schweizer Fernsehen - und nachgereicht in 3sat - war und ist der "Literaturclub" die gepflegtere und tiefsinnigere Variante, über die Welt der Bücher zu plaudern, zu philosophieren, zu diskutieren.
Gastgeber Daniel Cohn-Bendit, der sich in diesem Rahmen gewohnt temperamentvoll, aber mitunter auch charmant zurückhaltend gibt, bespricht mit Schweizer Kritikern (u. a. Andreas Isenschmid, Gunhild Kübler, Hardy Ruoss) und Autoren Neuerscheinungen, manchmal auch Bücher früherer Tage. Aus Anlass der 100. Sendung (die gestern um 10 Uhr in 3sat lief) wurden diesmal ausschließlich Klassiker des vergangenen Jahrhunderts behandelt. Zuseher hatten Bücher ausgewählt (u. a. Frischs "Homo faber", Hesses "Steppenwolf" und Bachmanns "Malina"), über die sich - wie sich zeigte - auch heute noch leidenschaftlich diskutieren lässt. Es müssen also nicht unbedingt Kritiker erschossen werden (was sie freilich auch bei Walser letztlich nicht werden), damit temperierte Literaturdebatten in Gang kommen.