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Barbara Raudner, ehemals EU-Angestellte, hat ihr Hobby zum Beruf gemacht - und ist heute eine von Österreichs wenigen professionellen Sportkletterinnen.
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Beim vereinbarten Interviewtermin im Wiener Café Prückel strahlt sie einem schon von weitem entgegen. Mit ihrem neongrüngelben Sportshirt ist Barbara Raudner ein auffallender Farbtupfen inmitten der dunkle Businesskleidung tragenden Frühstücker an einem Montagmorgen. Ihr immer wieder aufblitzendes breites Grinsen lässt darauf schließen, dass sie sich in ihrer Haut pudelwohl fühlt. Relaxed wirkt sie sowieso. Früher musste sie selbst die tägliche Businesskleidung tragen. Vor zwei Jahren jedoch tauschte sie die seit 18 Jahren gewohnten Bürowände gegen spektakuläre Felswände. Sie machte das Klettern in der Natur zu ihrem Beruf.
Relativ später Beginn
Am Anfang steht der Gardasee, mit den südlichen Dolomiten ringsum. Barbara Raudner macht dort mit ihrem Ehemann Hannes Urlaub und beobachtet rund um die Stadt Arco Kletterer. Sie lässt sich anstecken und beginnt - mit 28 Jahren, also relativ spät, wie sie selbst sagt - selbst zu klettern. Sportlich war die gebürtige Steirerin, die an der Grazer Karl-Franzens Universität "Europa: Sprachen, Wirtschaft und Recht" studierte und später auch die Werbeakademie absolvierte, ohnehin "immer schon".
Parallel zum stressigen Job im Bereich PR und Öffentlichkeitsarbeit bei der Vertretung der Europäischen Kommission in der Wiener Innenstadt geht sie nach Büroschluss klettern. Das Training wird immer intensiver. Oft kommt Barbara Raudner erst nach Mitternacht ins Bett. Beruf und Hobby sind ihr gleichermaßen wichtig - ausreichend Zeit für beides zu haben wird immer schwieriger. Schließlich lässt sie ihren Angestelltenjob sausen, kündigt und macht sich als Profikletterin selbstständig.
Das war vor zwei Jahren. "Viele meinten, es war leichtsinnig von mir, so einen Job bei der EU-Kommission aufzugeben", berichtet Barbara Raudner. "Aber ich wollte versuchen, meinen Traum zu leben. Das Leben kann sehr kurz sein. Man kann sich nicht auf die Pension verlassen, um sich Wünsche zu erfüllen."
Also wagte die ehemalige EU-Angestellte den Sprung - nein, nicht ins kalte Wasser, sondern auf mitunter heiße Felswände. Das Hobby zum Beruf zu machen bedeutete freilich auch, finanziell zurückzuschrauben. In Österreich ist es nicht leicht, vom Klettern zu leben. Sportklettern ist hierzulande eine Randsportart. Es dominieren laut dem Institut für Freizeit- und Tourismusforschung Radfahren, Wandern und natürlich Schifahren.
Beim Sportklettern geht es darum, eine einzelne Tour, beispielsweise von 50 Metern Höhe, sportlich zu durchsteigen und nicht einen ganzen Berg zu bezwingen. Im Gegensatz zum alpinen Klettern sind Sportkletterrouten meist auf eine Seillänge begrenzt und mit fix angebrachten Bohrhaken abgesichert. Das Training ist aufwändig. Die Bewegungsabläufe sind komplex. Während etwa beim (Marathon-)Laufen die Gedanken gelegentlich abschweifen, müsse man beim Klettern hundertprozentig konzentriert sein, präzisiert die Profisportlerin.
Die Aussicht auf hohe Gipfel wie etwa den 3970 Meter hohen Eiger in der Schweiz spornt beim Klettern ungemein an. "Ich bin zielorientiert fokussiert. Du musst daran glauben, dass du es kannst, schwierige Stellen überwindest und oben ankommst." Voraussetzung für ihre Motivation ist, dass die Route "eine schöne Linie" hat.
Verlass auf Partner
"Ich muss mir den Weg durch den Fels erarbeiten", sagt Barbara Raudner, "ich muss mir die Züge checken, wie ich von einem Punkt zum nächsten komme". Dabei müsse man sich auf den Sicherheitspartner verlassen können. Denn beim Projektklettern ist man niemals alleine. Neben gutem Material - "da darf man nicht sparen" - ist der "Partnercheck" absolut notwendig. Das bedeutet, jeder der Partner kontrolliert bei dem anderen, ob der Klettergurt geschlossen, der Kletterer korrekt mit einem Anseilknoten eingebunden und ob das Kletterseil korrekt ins Sicherungsgerät eingelegt ist.
Oft klettert sie mit Ehemann Hannes. Besonders motivierend sei es auch, gemeinsam mit einer Frau zu klettern. Wichtig ist: Die Stimmung muss passen. Wenn sie dann eine schwere, international anerkannte Route "punktet", also die Route schafft, sei das Gefühl "unbeschreiblich schön", erzählt Raudner. Im Rotpunktstil muss die Route nämlich bei Nicht-Belasten der Sicherungskette im Vorstieg ohne Sturz, Ausruhen im Seil oder Hochziehen am Haken in einem Zug durchgestiegen werden.
Nach nur zwei Jahren erklomm die Profikletterin einen Felsen der Schwierigkeitsstufe 8a. Ihre bisherige Höchstleistung sind mehrere 8c-Routen im In- und Ausland und im April 2013 ihre erste 8c+ Tour am Felsen. Solche Routen weisen starke Überhänge auf oder extrem kleine Griffe, erklärt Barbara. Nach Einteilung der französischen Schwierigkeitsgrade beginnen die ersten Kletterversuche mit 3a-Routen. 9a ist das Schwierigste, was Frauen bisher am Fels geschafft haben - erst einige wenige. Eine Erstbegehung steht ebenfalls bereits auf Barbara Raudners Erfolgsliste. In so einem Fall ist die Bohrmaschine mit dabei, damit die Route zuerst eingebohrt werden kann.
Geld verdient sie jetzt in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen: Sie gibt als Kletterlehrerin ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter, hält Workshops oder Multimedia-Shows: in der Alpenrepublik wie in anderen gebirgigen Gegenden Europas, etwa in Italien, Spanien oder der Schweiz.
Leben aus Rucksack
"Ich versuche, den Leuten Mut zu machen." Gerne gereist ist die fremdsprachenverliebte Berufssportlerin, die neben Deutsch fließend Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch spricht, schon in ihrem früheren (Berufs-) Leben. Mit dem Unterschied, dass sie jetzt des Öfteren aus dem Rucksack lebt. Dann gibt es noch Sponsoren, für die Barbara Raudner etwa auf Fachmessen als "Testimonial" auftritt und für die eine oder andere Marke auch tatkräftig im Österreich-Vertrieb mitarbeitet.
Ihr Verhältnis zu den Sponsoren sei freundschaftlicher Natur, betont sie. Wichtig sei gerade beim Klettern, dass man sich nicht unter Druck setzen lasse. "Man muss sich schwere Routen zum Ziel setzen, und zwar als Ziel für sich selbst. Man sollte aber sowohl leistungsorientiert als auch realistisch sein, diese Balance ist wichtig."
Wenn sie im Internet via Facebook oder auf ihrer Homepage Fotos vom Klettern postet, wie sie sich mit bloßen Händen samt Muskelkraft am rauen Gestein hocharbeitet und senkrecht am Fels zu kleben scheint, würde man Barbara Raudner beim Training in den Canyons der USA vermuten. Ein Amerika-Trip ist jedoch erst im nächsten Jahr geplant. Zum Klettertraining fährt sie derzeit vorzugsweise nach Kärnten. Ihre Finger schauen inzwischen "deformiert" aus. Bei kaum einer anderen Sportart halten derart zarte Körperteile wie die Finger einen Großteils des Körpergewichts.
A propos Gewicht: Viele Kletterer seien magersüchtig. Da müsse man speziell bei Kindern und Jugendlichen aufpassen, betont die Berufskletterin. Viele der schwersten Felsrouten werden aber sehr wohl von normalgewichtigen Sportlern geklettert. Im Angesicht der Mehlspeisvitrine im Kaffeehaus gibt Barbara Raudner auch ohne weiteres zu, hin und wieder gerne zu naschen. Schließlich sei Essen auch Lebenslust. Und abschließend meint sie motivierend: "Es ist niemals zu spät. Für nichts. 50- oder 60-Jährige können noch genauso noch klettern."
Heike Hausensteiner war Politik-Redakteurin der "Wiener Zeitung" (1996-2005), danach u.a. Chefredakteurin des Monatsmagazins "european - was uns verbindet" und arbeitet jetzt als freie Journalistin in Wien.
Weitere Informationen unter:
www.barbararaudner.at
www.bergsteigen.com