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Feminismus als Street Art

Von Christina Höfferer

Reflexionen

Die Römerin Alice Pasquini ist ein Star der internationalen Sprayer-Szene. Auf rund zweitausend Häuserwänden hat sie bisher Bilder von starken und unabhängigen Frauen erschaffen.


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London, Sydney, New York, Barcelona, Moskau, Saigon und - natürlich - Rom: In jeder dieser Städte findet man bunte und ausdrucksstarke Wandgemälde der 1980 in Rom geborenen Alice Pasquini. Sie wuchs im römischen Viertel Flaminio auf, wohnte dort an der Piazza Mancini, einem großen Platz nahe beim Tiber.

Heute zieren Alices gesprayte Bilder die Rollläden von zwei Kiosken auf der Piazza Mancini. "Als ich nach längerer Zeit in Frankreich wieder nach Rom zurückkam, erschien es mir nur logisch, meine Bilder vor der eigenen Haustüre zu malen", sagt Alice Pasquini. Bald rief sie auch der Betreiber einer Fahrradwerkstätte beim nahen Auditorium an, damit sie sein Geschäft verschönere - und weitere, prestigeträchtige Aufträge folgten.

Die Hip-Hop Szene der 1990er Jahre markiert Alices Sozialisa-
tion als Jugendliche. Sie entdeckt Sprayliz, eine Comic-Heldin, die mittels Graffitis politische Statements auf die Wände sprüht. Dadurch angeregt, besucht Alice die Kunstakademie in Rom, studiert in Madrid Animation und Kunstkritik und lebt ein Jahr in London.

Illustrationen, Bühnenbilder und Set-Designs gehören ebenfalls in das Portfolio der Künstlerin. "An der Akademie wurde ich gewarnt, dass die Malerei tot sei", erzählt Alice, die aber trotzdem Malerin wurde: "Diese Kunstform starb mit Duchamp, lehrten mich meine Professoren, deshalb wollte ich aus dem Hörsaal hinaus, raus aus den akademischen Kreisen."

Etablierte Kunstform

In diese Kreise ist Pasquini jetzt wieder zurückgekehrt, denn Street Art gilt mittlerweile als etablierte Kunstform. Die Römerin hält Vorträge vor Kunststudenten in London, erklärt den Unterschied zwischen gesprayten Botschaften à la "Laura, ich liebe Dich, komm zurück zu mir", die italienische Straßenzüge zieren, und den aufwändig gestalteten Murales der Künstler ihrer Zunft.

In Rom stellte Alice Pasquini u.a. in der Amerikanischen Botschaft und in einer sensationellen One-Woman-Show in der Casa dell’Architettura aus. Gemeinsam mit fünfzehn weiteren Künstlern nahm Pasquini im Herbst 2015 am Outdoor Festival beim MAXXI Museum in Flaminio teil. Die römischen Stadtviertel Flaminio, Quadraro, Pigneto und San Lorenzo wurden allesamt schon mit Alice Pasquinis Spraydosen veredelt.

Mit ihrer Straßenkunst feiert die dunkelhaarige Italienerin "starke und unabhängige Frauen", wie sie selbst eine ist. Rund zweitausend Häuserwände hat Alice Pasquini bereits besprayt: Die Frauen auf den Bildern sind nachdenklich, voller Selbstvertrauen, sinnlich, gefühlvoll und meist fröhlich. Manche fahren auf einer Vespa, schaukeln, joggen oder räkeln sich in der Sonne. Oft sind auch Kinder auf den Hauswänden zu sehen.

"Rom ist eine Stadt der Künstler", sagt Pasquini in ihrem Ate-lier im Künstlerviertel San Lorenzo, "die Street Art folgt einem roten Faden, der sich durch die Stadt zieht, hier ist jede Ecke von Künstlern gestaltet. Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass auch ich mich der Straße bemächtigen will - und meinen eigenen Weg in ihr zeige."

Auf der Straße ist das Verhältnis zwischen Künstler und Betrachter anders als in einer Galerie, der Dialog ist direkter und unmittelbarer. "Botschaften auf der Straße, die oft sehr kritisch sein können, haben eine lange Tradition in Rom, denken wir nur an den Pasquino," sagt Alice. Der Pasquino ist eine der "sprechenden Statuen" von Rom - Skulpturen aus der Antike, auf welchen Zettel mit Botschaften, oft harscher Kritik an der Obrigkeit (meist an den Päpsten) angebracht wurden. Pasquino, Pasquini: Die Namensgleichheit nimmt die Künstlerin zum Anlass für Reflexionen über Kunst und Gesellschaft: "Ich wollte meine eigene persönliche Sprache auf die Straße bringen, denn als Frau sehe ich mich nicht als eine sexy Comic-Heldin und auch nicht als nackte Werbeträgerin, ich möchte echte Frauen zeigen."

Für Frauen, so Alice, sei es schwieriger, einen bestimmten Ausdruck zu entwickeln, denn schon von klein auf werde ihnen eine Persönlichkeit vorgegeben. "Frauen sind als Kinder voller Tatendrang; wenn sie heranwachsen, bringt ihnen das aber oft Konflikte ein, sie sind dann plötzlich keine braven Mädchen mehr."

Die Künstlerin fixiert das, was sie auf den Straßen sieht, als Bilder auf den Wänden. Zwischen Marokko und Russland entstehen auf diese Weise ganz unterschiedliche Frauenbilder. "Oft schreiben mir Frauen: "Das bin doch ich, die du da gemalt hast!", erzählt Pasquini, die betont, dass es aber allgemeine Darstellungen sind, "die sich aus einzelnen Eindrücken von Frauen zusammensetzen".

Der Bürgermeister von Rom, Ignazio Marino, rief die Künstlerin an, um fünf Wandbilder am Kapitol, in den Empfangsräumen für die Bürger der Ewigen Stadt, in Auftrag zu geben. Und das, während gleichzeitig in einer anderen italienischen Stadt ein Strafprozess gegen Alice Pasquini im Gange war. Denn die Römerin wurde in Bologna angezeigt und strafrechtlich belangt. Tatbestand: Verschmutzung, Artikel 639 des italienischen Strafgesetzbuchs, erschwert durch den Artikel 81, fortgesetzte strafbare Handlung. Das Strafausmaß reicht bis zu einem Jahr Freiheitsentzug und bis zu tausend Euro. Der Prozess ist in der Berufung.

"Es braucht Mut zum Sprayen, ich fühle mich nicht als Dieb, ich mache ja nichts Böses, sondern Gutes für die Stadt", sagt die Künstlerin, die zu dem Strafprozess nicht Stellung nehmen darf.

Postgraffiti-Ära

In Rom hingegen ist auf den Webseiten und Publikationen der Stadtgemeinde zu lesen, dass ganze Stadtviertel durch Street Art aufgewertet werden. Die Stadt hat sogar einen Führer zu den Murales veröffentlicht. Gesichtslose Häuserschluchten bekommen auf diese Weise Identität. Die großen Murales werden als Auftragsarbeiten ausgeführt, sind also alleine schon dadurch etwas ganz Anderes als anonyme Nacht-und-Nebel-Sprayaktionen. Alice malt ausschließlich untertags - und signiert ihre Spray-Arbeiten.

Wir befinden uns heute in einer Art Postgraffiti-Ära. Es findet mehr Dialog der Sprayer mit den Betrachtern statt, es geht nicht mehr nur darum, ein Unbehagen auszudrücken. Die Darstellungen sind figurativer geworden, die Qualität der Farben hat sich erhöht. Der Anspruch, den die Sprayerin an sich stellt, ist es, etwas zu schaffen, was künstlerischen oder politischen Wert hat.

Wobei sie nicht garantieren kann, dass das Kunstwerk bei den Menschen, die Tag für Tag damit leben müssen, positive Gefühle erzeugt. "Das ist das Risiko, welches ich mit meiner Kunstform auf mich nehme", sagt Pasquini. "Aber grundsätzlich will ich bewirken, dass sich die Leute in ihrer Stadt zu Hause fühlen, dass sie sich mehr als ein Teil der Stadt empfinden - und ich will ihre Träume teilen."

Alice Pasquini will die Menschlichkeit im Alltäglichen wieder entdecken. "Häuserwände zu bemalen ist ein großartiges Symbol der Freiheit. Es ist meine Leidenschaft, ich kann verfallene Mauern verschönern. Weiße Wände interessieren mich nicht."

Weitere Infos unter:

www.alicepasquini.com

Eine Karte mit Street Art in Rom kann im Internet heruntergeladen werden:

www.turismoroma.it/wp-content/uploads/2015/04/leaflet_streetart.pdf

Christina Höfferer hat Geschichte an der Universität Wien studiert und lebt als Radio- und Reisejournalistin in Rom. Zuletzt ist von ihr der Band "Lesereise Rom. Vom süßen Leben und der großen Schönheit" (Picus) erschienen.