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Fensterln für ein Bier

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die Regierung im Irak will mit einem Alkoholverbot Christen und Jesiden geschäftlich die Lebensgrundlage entziehen.


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Es ist konspirativ, wenn man dieser Tage in Bagdad Bier kaufen will. Unbemerkt schleicht man sich in eine Seitenstraße der irakischen Hauptstadt und sucht nach geschlossenen, zumeist weißen Lamellentüren aus Metall, die einen Schlitz in der Mitte aufweisen. Dort klopft man leise an. Wenn man Glück hat, öffnet sich die Luke und das Gesicht des Alkoholhändlers lässt sich blicken. "Bier oder Whisky?", fragt Nazar und macht schnell das Fensterchen zu, bevor er im Ladeninneren verschwindet, nach wenigen Augenblicken wiederkommt, die Lucke wieder aufmacht und eine Plastiktüte mit sechs eiskalten Bierflaschen herausreicht. Schnell nimmt er das Geld und schließt sofort wieder das Fensterchen.

Wo sonst ein Alkoholgeschäft neben dem anderen mit hellen Lichtern und üppiger Werbung Kunden anlockt, findet man nur noch verschlossene Türen. Die prachtvollen Alkoholtempel in Bagdads Vergnügungsviertel Karrada, deren großes Sortiment sonst alles aufweist, was der internationale Markt an Bier, Wein, Schnäpsen und vor allem Arak zu bieten hat, sind gänzlich mit Kette und Eisenschloss verrammelt. Das muslimische Opferfest "Eid al Adha" steht bevor. Dann ist Alkohol "haram", verboten. So ist es auch im Ramadan, bei den schiitischen Festen Muharram und Ashura und seit Neuestem auch während des Pilgermarsches zum Gedenken an den siebten schiitischen Imam Musa al-Khadim, dessen Schrein sich in Bagdad befindet.

Trinkfreudige Schiiten

Doch dem nicht genug. Jetzt sollen den Irakern alkoholische Getränke gänzlich abgewöhnt werden. Die schiitische Regierung und ihre Mehrheit im Parlament stimmten für ein Verbot, das den Import, die Produktion und den Verkauf von Alkohol unter Strafe stellt. Bis zu zehn Millionen irakische Dinar (etwa 7.000 Euro) ist das Strafmaß. "Dabei trinken gerade die Schiiten am meisten", weiß Nazar, der Alkoholhändler. Während sich seine sunnitischen oder auch christlichen Kunden einige Flaschen kaufen, würden die Schiiten kartonweise bestellen.

Dass der irakische Staat den Bürgern den Alkohol nehmen möchte, ist nicht neu und wurde das erste Mal 2016 beschlossen. Seitdem lag das Gesetz auf Eis. Die im Oktober neu ins Amt gekommene Regierung von Premier Mohammed Shia al-Sudani macht aber ernst. Zusammen mit einer Liste von Gesetzen wurde das Alkoholverbot Ende Februar im Amtsblatt veröffentlicht und sollte nach drei Monaten in Kraft treten. Die ersten Schritte sind getan. Grenzschützer wurden angewiesen, keinen Alkohol mehr ins Land zu lassen. In den letzten Wochen gab es nur noch Lagerbestände zu kaufen. Deutsches Bier wurde zur Bückware. Die Verknappung des Angebots trieb die Preise in die Höhe. Für eine Flasche Importbier muss das doppelte bezahlt werden wie früher. "Es gibt Importware an den Grenzen im Wert von zig Millionen Dollar, die nicht eingeführt werden darf", sagt der Geschäftsmann Ghaswan Isso, der in Mossul den beliebten Anisschnaps Arak produziert. Lediglich in der Kurdenregion im Norden wird das Einfuhrverbot nicht durchgesetzt. Die Kurden pochen auf ihre Autonomie und lehnen das Gesetz strikt ab.

"Alles kommt jetzt aus Kurdistan", sagt Allan, ein Großhändler in Karrada, "über die Grenze zur Türkei". Die Kurden erheben Zölle, behalten das Geld für sich. Der nächste Streit mit der Zentralregierung ist vorprogrammiert, denn die Ware werde weiter in den Süden "geschmuggelt", nach Bagdad und bis nach Basra. Dort herrscht seit langem Alkoholverbot, der Provinzrat in der zweitgrößten Stadt Iraks hat schon 2009 dafür gestimmt. Seitdem wird Basra von Drogen aus dem Nachbarland Iran geflutet. Das befürchten auch viele in Bagdad, wenn das Verbot dann gilt. "Sie machen uns das Leben schwer, wie sie nur können", sagt Allan verbittert, "seit Jahren". Er bezahle 25 Millionen irakische Dinar (etwa 17.000 Euro) für die jährliche Lizenz zum Alkoholverkauf, hinzu kämen unzählige Summen Bakschisch, Schmiergelder, die Polizisten verlangen, um beispielsweise den Lieferwagen, der aus Kurdistan kommt, in den Hof des Großhändlers fahren zu lassen. Oder sogenannte Schutzgelder, die erhoben werden, dass kein Sprengsatz vor dem Tor gezündet werde. Immer wieder haben religiöse Hardliner Anschläge mit Autobomben auf Alkoholläden in Bagdad, aber auch in anderen Städten verübt. 2012 traf ein Anschlag Allans Lager und Verkaufsraum , das Gebäude brannte und alles war kaputt. "Die Feuerwehr kam nicht löschen", erzählt der Großhändler, "Alkohol ist für Muslime haram."

Kritik von allen Seiten

In den meisten konservativ islamischen Ländern erhalten nur Nicht-Muslime Lizenzen zur Herstellung und zum Verkauf von alkoholischen Getränken. Im Irak sind dies traditionell die Christen und andere religiöse Minderheiten wie Jesiden, Shabak und Mandäer. Seit dem Terror von Al Qaida und dem IS haben immer mehr Christen den Irak verlassen. An ihre Stelle sind inzwischen die Jesiden gerückt. Alkoholläden, die früher Christen gehörten, sind heute mehrheitlich in jesidischer Hand. Allan kommentiert diese Entwicklung so: "Als die Juden den Irak verlassen mussten, sagten sie zu uns Christen: Heute ist Samstag, morgen ist Sonntag." Soll heißen: "Heute sind wir es, morgen seid ihr dran." Deren Verfolgung im Irak begann mit der gewalttätigen Enteignung der Juden Bagdads im Jahre 1941. Heute leben dort nur noch zwei jüdische Familien. Von den 1,4 Millionen Christen, die vor zwanzig Jahren im Irak lebten, haben inzwischen mehr als die Hälfte ihre Heimat verlassen. Auch Allan möchte weg, nach Kanada, wo seine Geschwister leben.

Dass das Verbot die Lebensgrundlage von Christen und Jesiden zerstören würde, hat viele aufgeschreckt. Die christlichen Abgeordneten im Parlament sind vor das Verfassungsgericht gezogen. "Das Gesetz verstößt gegen individuelle Freiheit und gegen den Schutz von Minderheiten, den die Verfassung gewährleistet", argumentiert einer der Abgeordneten. Der Sprecher der arabischen Stämme im Irak, Imsahem al-Huwait, kommt ihm zu Hilfe und sieht in dem Alkoholverbot ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Auch andere, vor allem sunnitische Abgeordnete unterstützen die Klage vor dem Verfassungsgericht. Yahia el-Kubeisi etwa sieht mehrere bürgerliche Freiheiten durch ein Verbot verletzt und den Vielvölkerstaat Irak in Gefahr. Der Gerichtsentscheid steht noch aus. So lange wird Nazar noch sein Fensterl öffnen und Vorräte verkaufen.