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Der VW-Aufsichtsratschef lotet angeblich eine Übernahme von Fiat-Chrysler aus, um das schleppende US-Geschäft anzukurbeln.
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Wolfsburg. Blickt man auf die Zahlen des abgelaufenen Halbjahrs, so müsste sie in Wolfsburg eigentlich in Feierlaune sein. Zwischen Jänner und Juli konnte der VW-Konzern seine Auslieferungen um 5,9 Prozent steigern und mit 4,97 Millionen verkauften Pkw wurde der Vorsprung auf General Motors, der Nummer Drei am Weltmarkt, weiter ausgebaut. Doch statt lobender Worte bekamen die Spitzenmanager des größten europäischen Autobauers zu Wochenbeginn ein wahres Donnerwetter von ganz oben zu hören. Vor versammelter Mannschaft geißelte VW-Chef Martin Winterkorn die Renditenschwäche der Kernmarke und ordnete ein milliardenschweres Sparprogramm an. Wohl auch um den Druck in der Debatte um angeblich davongalopppierende Arbeitskosten zu erhöhen.
Von vielen in der VW-Familie dürfte die Brandrede des 67-jährigen Konzernlenkers vermutlich als Beginn eines Umbruchs wahrgenommen worden sein. Doch nicht nur in Bezug auf die Renditenziele könnte der Konzern vor einer Zäsur stehen. Laut einem Bericht des "Manager Magazins" lotet VW derzeit auch eine Übernahme oder Teilübernahme des italienisch-amerikanischen Autobauers Fiat-Chrysler aus. In diesem Zusammenhang sollen Volkswagen-Großaktionär Ferdinand Piech und die Familien Elkann und Agnelli als Fiat-Haupteigner bereits mehrere Gespräche geführt haben, bei denen es vor allem um Chrysler ging.
Der kleinste der Big Three am US-Markt war erst im Jänner komplett von Fiat übernommen wurde. Konzernkreisen zufolge wollen sich die Italiener aber gern auf die gewinnträchtige Sportwagenmarke Ferrari konzentrieren und sich ansonsten weitgehend aus dem Automobilgeschäft zurückziehen, in dem vor allem die Kernmarke in vielen Ländern noch immer rote Zahlen schreibt.
Laut dem Bericht des "Manager Magazin", der umgehend und entschieden von allen Seiten dementiert wurde, steht der Deal, der VW mit Abstand zur globalen Nummer eins machen würde, aber noch vor einigen Hürden. So sollen die Preisvorstellungen derzeit noch deutlich auseinander liegen, zudem verfolgt Fiat-Chef Sergio Marchionne angeblich parallel zu den Gesprächen noch andere strategische Optionen.
Hinzu kommt, dass die VW-Konzernspitze mittelfristig auch über den Zukauf eines weiteren Lkw-Herstellers nachdenkt, um aus den Töchtern MAN und Scania eine weltweit führende Gruppe zu schmieden. Und beide Vorhaben gemeinsam zu stemmen, wäre wohl selbst für den VW-Konzern, der zuletzt über liquide Mittel von knapp 18 Milliarden Euro verfügte, ein mehr als ambitioniertes Projekt, das bei der Belegschaft angesichts des jüngsten Rendite-Donnerwetters wohl auch nicht gut ankommen dürfte. Der 77-jährige Piech, der als Aufsichtsratschef von seinem Salzburger Büro aus noch immer viele Fäden zieht, hat allerdings schon mehrmals Zukäufe auch gegen den Willen des Managements durchgesetzt. Und in der Vergangenheit hat der Porsche-Enkel und langjährige VW-Vorstandschef schön öfters Interesse an Fiat-Geschäftsbereichen bekundet.
Die USA als Minenfeld
Die Integration von Chrysler dürfte für den noch immer an seinem Lebenswerk feilenden Piech aus mehreren Gründen verlockend erscheinen. Seit Jahren suchen die Wolfsburger schon nach Wegen, um in den USA aus der Rolle eines Nischenanbieters mit knapp drei Prozent Marktanteil herauszukommen. Das engmaschige Händlernetz von Chrysler und die erfolgreichen Pick-ups der Amerikaner könnten da wichtige Türen öffnen und zugleich den Boden für den großen VW-eigenen Geländewagen Cross-Blue bereiten, der erst Ende 2016 auf den Markt kommen soll.
Die bisherigen Versuche, den Absatz auf dem zweitgrößten Automobilmarkt nach China zu steigern, waren für VW zuletzt alles andere als gut gelaufen. Der eigens für den US-Markt entwickelte Passat verkaufte sich im vergangenen Jahr deutlich schlechter als erhofft, der mächtige VW-Konzernbetriebsrats-Chef Bernd Osterloh sprach bereits vor einigen Monaten von einer "Katastrophenveranstaltung". Im Dezember musste Jonathan Browning, der US-Chef von VW, gehen.
Der US-Markt ist für die führenden Autobauer aber nicht nur wegen der enormen Größe so bedeutsam. Denn abgesehen vom noch immer brummenden China war die Kauflaune nirgendwo auf der Welt so hoch wie in den Vereinigten Staaten. In Europa beginnen sich die Absatzzahlen erst jetzt wieder zu erholen, in den Schwellenländern, die für die Automobilbranche noch vor kurzer Zeit als großer Sehnsuchtsort gegolten haben, haben die wirtschaftlichen Probleme so gut wie alle Wachstumsfantasien zerstört. In Brasilien etwa ging der Absatz von VW in den ersten sechs Monate um 18 Prozent zurück.