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Fern von Europa

Von Christa Salchner

Europaarchiv

Im August 1989 wurde der kleine, unscheinbare burgenländische Ort St. Margarethen zum Symbol für Freiheit: Ungarische Grenzbeamte öffneten hier für drei Stunden die Grenze zum Westen, hunderte DDR-Flüchtlinge stürmten auf österreichischen Boden und in die Freiheit. Heute ist der Grenzübergang gesperrt, Soldaten des Bundesheeres bewachen das Gelände und halten Ausschau nach illegalen Migranten.


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Manchmal vergehen die Minuten am österreichisch-ungarischen Grenzübergang in St. Margarethen für die zwei Wache haltenden Soldaten wie Stunden. Sie sitzen auf der Holzbank und blicken auf die Weinfelder, die sich wie ein kilometerlanger Teppich vor ihnen ausbreiten. Bei Tag zählen sie die Wespen, Hornissen und Hasen, in der Abenddämmerung und nachts die Wildschweine. Nur wenige Menschen suchen diesen Ort auf: Die Straße, die die burgenländische Gemeinde St. Margarethen mit der ungarischen Stadt Sopron verbindet, endet am geschlossenen rot-weiß-roten Schranken.

Sackgasse

Wer von Eisenstadt kommend durch St. Margarethen fährt und bei der letzten Abzweigung rechts abbiegt, stößt nach einigen hundert Metern auf zwei Schilder. Links befindet sich die Ortstafel, wo der Name durchgestrichen ist. Rechts befinden sich die Werbetafel einer Wohnbaugenossenschaft, die mit dem Slogan "Hier will ich wohnen" neun zum Verkauf stehende Reihenhäuser bewirbt, und ein Verkehrsschild, das eine Sackgasse anzeigt. Darunter hängt eine Hinweistafel: "Staatsgrenze in 4,5 km. Auffahrt und Zugang zum Radwanderweg Mörbisch-Siegendorf verboten."

Die meisten, die von Österreich aus das Tor von St. Margarethen ansteuern, so wird der Grenzübergang genannt, haben einen besonderen Bezug zu diesem Ort, so wie der Innsbrucker Rechtsanwalt Ivo Greiter. Er ist der österreichische Präsident der World Jurist Association und war 1999 daran beteiligt, die Eröffnung des Weltkongresses dieser Vereinigung in St. Margarethen zu organisieren. Um an das zehnjährige Jubiläum der Beseitigung des Eisernen Vorhangs zu erinnern, hat die World Jurist Association einen Gedenkstein aufgestellt. 350 Kilometer Stacheldrahtzaun und Minenfelder teilten Europa 40 Jahre in zwei Hälften und 1989 ging von St. Margarethen die Initialzündung für die politische Wende aus. Das macht diesen Ort zu einem Symbol für Freiheit - auch für das Recht darauf.

Massenflucht 1989

Im August 1989 sollte am Tor von St. Margarethen ein Picknick stattfinden, bei dem zwischen 15 und 18 Uhr die Grenze geöffnet wird, erstmals seit 1949 und um ein Zeichen für die österreichisch-ungarische Freundschaft zu setzen. Das Picknick verlief jedoch anders als geplant und entwickelte sich zur Massenflucht. Als ungarische Grenzbeamte um 15 Uhr das Tor öffneten, stürmten Hunderte Menschen, die aus der DDR angereist waren, in die Freiheit. Kinder, Männer und Frauen rannten auf das Tor zu, drückten es auf, jubelten, weinten und knieten nieder, als sie österreichischen Boden betraten. Die Bilder dieser berührenden Szenen gingen um die Welt und sind heute in Anschlagkästen an der Grenze ausgestellt. Die Dokumentationen und das Tor aus St. Margarethener Sandstein, das von einem kleinen EU-Wappen gekrönt wird, befinden sich aber auf ungarischem Boden und die Grenze darf nicht überschritten werden. Auch nicht der Radweg, der zwischen Mörbisch und Siegendorf den ehemaligen Eisernen Vorhang entlang führt und sich an diesem Ort sogar auf ungarischem Boden befindet. Da die Schaukästen und Gedenktafeln wenige Meter entfernt liegen, halten viele Radfahrer neugierig inne und steigen vom Sattel ab. Die Umrisse der Bilder und Textzeilen sind deutlich erkennbar, schreien danach, gelesen und betrachtet zu werden. Da es verboten ist, den Radweg zu verlassen, und der Anblick der Soldaten und ihrer Sturmgewehre abschreckt, bleiben die Ansichten auf 1989 aber verborgen.

Hoffen auf Schengen

Bürgermeister Franz Strasser ist nicht wirklich glücklich darüber, dass die Grenze nicht passiert werden darf. "Doch das ist sicherlich ein Zustand, der behoben wird", meint er. "Spätestens, wenn das Schengener Abkommen für Ungarn in Kraft tritt." Realistischen Einschätzungen zufolge also vielleicht 2007. "Ich weiß von meiner Großmutter, dass man früher nach Sopron zum Einkaufen gefahren ist." Und irgendwann wird es wieder so werden. Sopron liegt wie Eisenstadt zehn Kilometer von St. Margarethen entfernt.

Bis es soweit sein wird, besteht der Alltag beim Tor von St. Margarethen allerdings aus dem Kampf gegen Kriminalität und Schlepperwesen. Im Vergleich zum Marchfeld seien es nicht viele Menschen, die versuchen, über diesen Grenzgang in Freiheit und Wohlstand zu flüchten, so Oberst Sepp Erhard vom Militärkommando Burgenland. Sie kommen auch nicht mehr aus dem Osten Deutschlands, sondern vor allem aus Ländern wie Moldawien oder Georgien. In diesem Jahr wurden 110 illegale Grenzgänger zwischen Mörbisch und Klingenbach aufgegriffen und der Grenzgendarmerie übergeben, einige auch von der Wache in St. Margarethen.

Die meiste Zeit werden die Soldaten weiterhin damit verbringen, sich die Langeweile zu vertreiben und Tiere zu zählen. Der Schranken zur Straße nach Sopron bleibt geschlossen.