Handelsabkommen soll Barrieren beseitigen und Wirtschaft ankurbeln.
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Brüssel. Ronald Reagan ist der Letzte gewesen. Es ist fast dreißig Jahre her, dass ein US-Präsident vor dem Europäischen Parlament eine Ansprache gehalten hat. Nach 1985 hat es keiner mehr geschafft, und das Bedauern darüber drückt mehr als gekränkte Eitelkeit eines Abgeordnetenhauses aus, das gern auf seine Rolle innerhalb der EU-Institutionen verweist. Es wäre nämlich nicht nur ein Signal an die Volksvertretung, wenn sich der jetzige Präsident Barack Obama nach Brüssel oder Straßburg begeben und dort sozusagen von Friedensnobelpreisträger zu Friedensnobelpreisträger sprechen würde. Es würde darüber hinaus gehen, findet der Vizepräsident des EU-Parlaments, Othmar Karas - und scheut vor pathetischen Worten nicht zurück: "Es wäre eine Botschaft der USA an das Volk Europas."
Doch wer auch immer in den kommenden Jahren die USA regiere, werde die Zusammenarbeit mit den Europäern wieder intensivieren müssen, meint der ÖVP-Abgeordnete. "Wir müssen auf gleicher Augenhöhe miteinander reden, wie wir die globale und bilaterale Rolle gestalten können", sagt Karas.
Dass die transatlantischen Beziehungen aber durchaus eine Verbesserung vertragen könnten, zeigt nicht nur das mangelnde Interesse von US-Präsidenten an Auftritten vor dem EU-Parlament. Auch das mühsame Ringen um ein Handelsabkommen zwischen den beiden Partnern demonstriert die Meinungsunterschiede, die es zu überbrücken gilt. Dabei bilden die EU und die USA gemeinsam den größten Handelsblock weltweit, wo Waren, Dienstleistungen und Direktinvestitionen im Wert von fast einer Billiarde Euro ausgetauscht werden. Und so wie durch diese Vernetzung wirtschaftliche Krisen in einem Teil Auswirkungen auf den anderen haben, könnte der Abbau von Handelshemmnissen dazu beitragen, Arbeitsplätze auch in Europa zu schaffen. Das Bruttoinlandsprodukt der EU könnte dadurch um mehr als 150 Milliarden Euro bis 2018 angekurbelt werden, gibt die Europäische Kommission an.
Unterschätzte Partner
Die Bedeutung dessen werde allerdings von beiden Seiten unterschätzt, konstatiert Elmar Brok, der Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im EU-Parlament ist. "Alle blicken derzeit auf die wirtschaftliche Entwicklung Chinas, weil dort die hohen Wachstumsraten sind", stellt der deutsche Christdemokrat fest. "Aber Europa und die USA hängen mehr voneinander ab als jeder Einzelne von China." Dies zu vernachlässigen, sei "ein großer Fehler auf beiden Seiten". Gerade um im Wettbewerb mit Wirtschaftsmächten wie China zu bestehen, müsste die transatlantische Interessensverbindung gestärkt werden.
Dabei gehe es nicht nur um den Abbau von Zöllen, erklärt Brok. Vielmehr müssten auch andere Handelshemmnisse beseitigt werden. So seien derzeit pharmazeutische Produkte gleich zwei Mal zu prüfen, was Aufwand und Kosten erhöht.
Ein Handelsabkommen könnte solche Barrieren beseitigen. Die EU-Kommission verweist gern auf die laufenden Vorbereitungen. Eine hochrangige Arbeitsgruppe unter der Leitung von Handelskommissar Karel De Gucht und US-Handelsrepräsentant Ron Kirk soll Maßnahmen vorschlagen, wie solche Hemmnisse abgebaut oder Regulierungen und Standards angeglichen werden können, aber auch wie die Handelspartner die Zusammenarbeit mit anderen Staaten besser abstimmen könnten. Ihren Bericht soll die Gruppe noch vor Ende des Jahres präsentieren.
Tauziehen um Märkte
Ob nun Barack Obama oder Mitt Romney der nächste Präsident der USA ist, wird nach Einschätzung von Experten kaum Auswirkungen auf die Handelsgespräche haben. Wie die meisten europäischen Politiker in ihren Wahlkämpfen betonten beide die Wichtigkeit des Handels, der Exporte und deren Bedeutung für das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Jobs. Die Motive dahinter können aber durchaus unterschiedlich sein. Während etwa die europäische Maschinenbauindustrie an einer Öffnung der Märkte interessiert ist, um ihre Absatzbereiche zu erweitern, drängen die USA darauf, auch gentechnisch veränderte Produkte frei in Europa verkaufen zu dürfen.
Dennoch spielte die Beziehung zur Europäischen Union in den Wahlkämpfen der US-Politiker so gut wie keine Rolle. Obama thematisierte sie kaum, Romney prangerte gerade einmal die Unentschlossenheit der Europäer im Kampf gegen die Schuldenkrise oder das zögerliche Vorgehen bei der Finanzmarktregulierung an. Bei seiner Auslandsreise im Sommer fanden sich - neben Israel - lediglich zwei europäische Staaten auf seiner Besuchsagenda: Großbritannien und Polen.
Osteuropäische Verbündete
Diese Länder gehören denn auch zu den engen Verbündeten der USA in Europa. So ist die Skepsis gegenüber der US-Politik in Osteuropa weit milder als in etlichen westeuropäischen Staaten, was nur ein Beispiel dafür ist, wie schwer sich die EU damit tut, eine gemeinsame Außenpolitik zu entwickeln - und wie weit entfernt sie noch davon ist. Polen etwa war ein Beitritt zum Verteidigungsbündnis Nato fast ebenso wichtig wie die Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Polnische Soldaten wurden in den Irak genauso geschickt wie nach Afghanistan. Andere Länder lehnten solche Einsätze ab.
Die Zersplitterung der EU, die sich im außenpolitischen Verhältnis auch zu den USA zeigt, ist mit ein Grund warum Washington die EU nicht immer als starken Partner wahrnimmt. Und so mancher würde gar beinahe von Geringschätzung sprechen.
"Den Europäern ist nicht bewusst, wie wenig die Amerikaner sich für ihre Probleme interessieren", sagt etwa Karel Lannoo von der in Brüssel ansässigen Denkfabrik CEPS (Centre for European Policy Studies). Diese Einstellung ortet der Finanzexperte sowohl bei den Republikanern als auch den Demokraten. Und erzählt, um dies zu untermauern, von einem Kongress der Demokraten, bei dem nicht ein einziges Mal das Wort "Europa" gefallen sei.
Um ihre Glaubwürdigkeit zu stärken, müssten die EU-Mitglieder zusammenspielen und gemeinsam in eine Richtung gehen, meint Lannoo: "Wenn wir es schaffen zu zeigen, dass wir ein föderales Modell entwickeln können, werden wir von den föderal organisierten USA auch ernster genommen." Dafür müsste die EU sich aber nicht nur zu einer tatsächlichen Wirtschafts- sondern auch zu einer politischen Union hin bewegen.
Das wäre ebenfalls im Verhältnis zu den USA von Nutzen - ob unter der Führung von Obama oder Romney. Zwar scheint der derzeitige Präsident den Europäern näher zu sein, wenn es um die Auffassung von demokratischen Werten geht, konstatiert Lannoo. In der Wirtschaftspolitik hingegen könnte es unter Umständen der Republikaner Romney sein, der Europa entgegenkommt. Seine Partei plädiere nämlich für offene Märkte - wenn auch nicht gegenüber allen Handelspartnern. Doch der Ruf nach Protektionismus, dem Schutz amerikanischer Produzenten, richte sich vor allem gegen China.
Unbekannte Administration
Anders sieht dies Jörg Leichtfried, Leiter der SPÖ-Delegation im EU-Parlament. Er befürchtet, dass protektionistische Maßnahmen sehr wohl auch die EU treffen könnten, sollte Romney die Wahl gewinnen. Da aber die europäische Wirtschaft stark von Exporten abhänge, würden sinkende Ausfuhrquoten europäische Arbeitsplätze gefährden. Außerdem sei bei einem Wahlsieg Romneys eine aggressivere Außenpolitik zu erwarten.
Gleichzeitig wird in Brüssel immer wieder betont, dass die künftige Ausrichtung der USA nicht nur von der Person des Präsidenten abhänge. Ebenso sei abzuwarten, wer in der Administration vertreten sein, wer zum Außen- und wer zum Finanzminister ernannt wird. Unter Obama, heißt es, werde sich wohl nicht viel ändern; Romney wiederum wäre zunächst einmal eine Unbekannte im transatlantischen Zusammenspiel.
Vielfaches für Verteidigung
In beiden Fällen wird es aber noch genug Reibungsflächen zwischen den Partnern geben. Sie umfassen nicht nur die aktuellen Wirtschaftskonflikte oder Auffassungsunterschiede zur Bekämpfung der Finanzkrise. Sie berühren auch Themen wie den Klima- oder Datenschutz, die die Europäer strikter auslegen als die Amerikaner. Und welch andere Bedeutung beispielsweise die Verteidigungspolitik in den USA hat, zeigen allein die Haushaltszahlen.
So gibt Washington ein Vielfaches der Summe in der EU für das Militär aus. Im Vorjahr machte das Verteidigungsbudget dort knapp 430 Milliarden Euro aus, oder 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die EU hingegen widmete diesem Haushaltsposten nach Angaben des österreichischen Verteidigungsministeriums rund 186 Milliarden Euro, was 1,3 Prozent des BIP entspricht. Daher drängen die Amerikaner die Europäer immer wieder dazu, mehr Geld etwa für die Nato-Strukturen zur Verfügung zu stellen. Andererseits wollen die USA nun auch beim eigenen Heer sparen. So soll die Zahl der Soldaten reduziert werden - auch jener in Europa stationierten.