Polizei räumt Platz vor ungarischem Parlament. | Bundespräsident Fischer ruft zur Versöhnung auf. | Budapest. Das Budapester Parlament war am Montag großräumig abgeriegelt, der Kossuth-Platz vor dem Hohen Haus bereits seit den frühen Morgenstunden von den dort ausharrenden Menschen geräumt. Die Anti-Regierungsdemonstranten hätten der Feuerwehr die Durchfahrt verwehrt, hieß es von offizieller Seite
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Der 50. Jahrestag des ungarischen Volksaufstandes von 1956, der am Sonntag und Montag in Budapest mit großem Aufwand und in Anwesenheit von symbolträchtigen 56 europäischen Staatsoberhäuptern begangen wurde, war von einer Polit-Krise überschattet, die seit Wochen das Land spaltet. Denn seit bekannt wurde, dass der sozialistische Premier Ferenc Gyurcsány vor Parteikollegen zugegeben hat, die Nation belogen zu haben, ist die Donaumetropole nicht zur Ruhe gekommen. Die Proteste rissen nicht ab, es kam wiederholt zu gewalttätigen Ausschreitungen. So auch am Montag. In Rufweite des Parlamentseinganges, von Absperrungen in Schach gehalten, waren bereits um 9.00 Uhr Demonstranten versammelt.
Opposition boykottiert die Veranstaltung
Ihre relativ geringe Anzahl machten sie durch Lautstärke wett. "Gyurcsány, Erbe der Mörder von 1956", steht auf einem Transparent, "tritt endlich ab", auf einem anderen. Die hochrangigen ausländischen Staatsgäste, unter ihnen Deutschlands Bundespräsident Horst Köhler und Präsident Heinz Fischer, sollen von alldem nichts mitbekommen. Um 10.30 ist eine Parade vor dem Parlament geplant, kurz vor 10.00 ergeht eine kurze polizeiliche Mahnung an die Protestierenden, dann drängen Sondereinheiten der Exekutive die pfeifende und Slogans brüllende Menge einige 100 Meter weit ab. Für die hohen Gäste sind sie jetzt nicht mehr wahrnehmbar.
Die folgende Festsitzung im Parlament ist prominent besetzt, Vertreter der rechtskonservativen Oppositionspartei Fidesz fehlen aber. Sie boykottieren die Veranstaltung, weil Premier Gyurcsány auf eine Ansprache anlässlich des geschichtsträchtigen Ereignisses nicht verzichten wollte. Angesichts dieser tief greifenden Differenzen half es auch nichts, dass Bundespräsident Heinz Fischer am Vortag in der Budapester Oper die Streitparteien indirekt zur Versöhnung aufrief.
Präsident greift
Premierminister an
Wenn man eine Lehre aus der sowjetischen Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 ziehen könne, dann doch wohl die, dass keine Partei die ausschließliche Wahrheit für sich beanspruchen könne, so Fischer. Der Gastgeber, Ungarns Präsident László Sólyom, der als Fidesz-nahe gilt, formulierte es weit kontroversieller: Alle die, die sich nach dem Scheitern der Revolution mit dem KP-Regime unter Kadar arrangiert hätten, könnten heute "nicht mit reinem Gewissen feiern". Diese Aussage war als Spitze gegen den Premier gemeint, wie Beobachter meinen. Denn Gyurcsány war KP-Jugendfunktionär, ehe er nach der Wende 1989 zu einem der reichsten Männer Ungarns avancierte.
Während am gestrigen Montag im Parlament der Revolution gedacht wurde, versammelten sich etwa 1000 Demonstranten 15 Gehminuten vom Hohen Haus entfernt, unweit der Elisabethbrücke. Man sah ordengeschmückte Veteranen in Uniform ebenso wie langhaarige Jugendliche. "Das sind alles Extremisten", meint ein Passant abfällig, "aber in einem Punkt stimme ich ihnen zu: Es ist hoch an der Zeit, dass der Premier abtritt". Nicht, weil er zugegeben habe, gelogen zu haben, sondern weil er "das Land wirtschaftlich ruiniert hat, um die Wahlen zu gewinnen."