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Festival der Demokratie

Von Michael Schmölzer aus Edinburgh

Politik

Analyse: Das Schottland-Referendum hat gezeigt, wie friedlich mit einem höchst heiklen Thema umgegangen werden kann.


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Edinburgh. Das Referendum über die Abspaltung Schottlands war eine heikle demokratiepolitische Herausforderung, die - hier herrscht in Europa Einigkeit - sowohl von England als auch von Schottland mit Bravour gemeistert wurde. Die "Yes"-Kampagne der schottischen Nationalisten verlief friedlich, auch die aus London gesteuerte "Better Together"-Bewegung verzichtete auf Gewalt. Es kam zwar zu Zwischenfällen - etwa als Labour-Chef David Miliband persönlich nach Edinburgh kam, um dort das "No"-Lager zu stärken: Er wurde von Aktivisten niedergebrüllt und geschubst, bekam die "hässliche Seite" der Abspaltungsbewegung zu spüren, wie er selbst sagte.

Doch gerade der Vorfall zeigt, wie sensibel in Großbritannien mit dem Thema Politik und Gewalt umgegangen wird. Der Nordirland-Konflikt, der in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Todesopfer gefordert hat, ist abschreckendes Beispiel, aus dem man gelernt hat. Selbst in dem berüchtigten und von trostlosen Elendssiedlungen geprägten Edinburgher Vorort Leith, bekannt aus dem Junkie-Epos "Trainspotting", wo zumindest vor einigen Jahren noch brutale Schlägereien an der Tagesordnung waren, blieb alles ruhig.

Gandhi lässt grüßen

Das ist nicht selbstverständlich, vor allem, wenn man in die Ostukraine blickt. Selbstverständlich sind dort die Gegebenheiten und Voraussetzungen völlig andere, trotzdem ist es ein Faktum, dass Sezessionisten dort über Leichen gehen, mit der Waffe in der Hand und einer ausländischen Macht im Rücken ihre Ziele verfolgen.

Schottland hat in der Vergangenheit viele blutige Kämpfe gegen England gefochten, die Nationalisten von heute haben mit friedlichen, oft sehr kreativen Mitteln versucht, ihre Ziele zu erreichen. Da wird etwa Mahatma Gandhi ins Treffen geführt, wenn es auf einem Transparent heißt: "Zuerst ignorieren sie Dich, dann lachen sie Dich aus, dann bekämpfen sie Dich, dann gewinnst Du."

Der friedliche Vorkämpfer für die indische Unabhängigkeit findet hier in Schottland tatsächlich Nachahmer: Die Los-von-London-Bewegung, die vor allem von den jüngeren Generationen getragen wird, umfasst viele unterschiedliche Gruppen, etwa die Friedensbewegung, die endlich die britischen Atomwaffen aus Schottland verbannen will. Auch wenn es vielleicht übertrieben wäre, von einem "Woodstock im Kopf" zu sprechen: Überall waren blau-weiße Fahnen, selbstgebastelte "Yes"-Plakate und bemalte Autos zu sehen. "Yes" und "No"-Aktivisten verteilten friedlich nebeneinander Flugzettel.

Die Schattenseiten

Es wurde lebhaft im Pub diskutiert, Politikbegeisterung und Engagement für die Sache war spürbar. Das zeigt sich nicht nur an der rekordverdächtig hohen Beteiligung an der historischen Volksabstimmung am Donnerstag.

Trotzdem ist unübersehbar, dass das Referendum seine Schattenseiten hat: "Ich und meine Familie haben gerade mit ,Ja‘ gestimmt", twitterte etwa Ruth Maguire am gestrigen Donnerstag, "mit Tränen in den Augen". Das Votum hat Menschen innerlich in Konflikt gebracht und ganz klar Gräben aufgerissen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Abstimmung demokratiepolitisch einwandfrei abgelaufen ist. Dieser Graben geht quer durch Schottland, wo sich Nationalisten und Unionisten gegenüberstehen. Und jener Graben, der Schottland und England immer schon trennte, ist tiefer geworden.

Sehnsuchtsvolle Blicke

Andere europäische Minderheiten wie Katalanen, Basken, Padanier, Südtiroler, Korsen und Sarden blicken mit Neid auf Schottland. Anfang November wollen die Katalanen über eine Unabhängigkeit abstimmen - doch Madrid hat schon jetzt angekündigt, dass man das Resultat nicht anerkennen werde. Der Katalane Javier Suarez steht in Nationaltracht vor Holyrood, dem schottischen Parlament, und schreit sich die Seele aus dem Leib: "Wir Katalanen wollen auch abstimmen, aber Spanien lässt uns nicht", steht auf dem Transparent, das er vor sich hält.

Den Tag des schottischen Referendums bezeichnet er als "wichtigsten Tag" für sein Anliegen - die Schaffung eines unabhängigen Katalonien mit Barcelona als Hauptstadt. "Da geht es wirklich um etwas, das sind keine Kindereien mehr", sagt er gegenüber der "Wiener Zeitung". Suarez befürchtet, dass Madrid den entgegengesetzten Weg einschlägt und bei den nächsten Wahlen darüber abstimmen lässt, ob den Katalanen die bereits zugestandenen Autonomierechte wieder genommen werden sollen.