Europäisches Forum Alpbach feiert 70-jähriges Bestehen mit Rekordbeteiligung.
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Alpbach. Wolken, Nebel, Nieselregen in Alpbach am Eröffnungstag des 71. Europäischen Forums in dem Tiroler Bergdorf. Dass das Wetter, das zuletzt von sommerlicher Hitze geprägt war, nicht immer gleich ist, muss man hinnehmen. Die "UnGleichheit", die heuer in Alpbach Thema der Vorträge und Debatten ist, müsste aber nicht immer sein und kann geradezu skandalös sein.
"Mit dem Thema UnGleichheit legen wir den Finger in eine klaffende Wunde unserer Gesellschaft. Wer profitiert, wer wird schikaniert? Neben der Suche nach politischen Antworten rücken heuer Erfahrungen und Projekte jener Menschen in den Fokus, die in ihrem Alltag die Welt positiv verändern", sagt Franz Fischler, Präsident des Forums. In einem Pressegespräch vor der Eröffnung der von ihm als "Festspiele des Wissens" bezeichneten Veranstaltung hob Fischler das Bemühen Alpbachs hervor, heuer Vorzeigebeispiele zum Generalthema zu präsentieren. Aus einer Fülle von Bewerbungen wurden 50 Pioniere ausgewählt, die an Best-Practice-Modellen demonstrieren, "wie man vor allem soziale Ungleichheit in unserer Gesellschaft reduzieren kann".
Fischler wies darauf hin, dass heuer rund 4500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 86 Nationen in Alpbach sein werden, darunter eine Rekordzahl von 900 Sprechern, Vortragenden und Moderatoren, bei denen auch der Frauenanteil mit 39 Prozent signifikant hoch sei. Insgesamt finden in den kommenden Wochen rund 80 Plenarveranstaltungen und 100 Arbeitskreise statt. Man erwartet eine Reihe prominenter Gäste aus dem In- und Ausland, darunter mehrere Regierungsmitglieder.
Im Pressegespräch benannte die äthiopische Menschenrechtsaktivistin Yetnebersh Nigussie, die sich besonders für Menschen mit Handicaps und in der Aidshilfe einsetzt, gleich ein brennendes Problem, das sie auf Ungleichheit zurückführt - die Migration. Ursache sei, dass viele Menschen nicht gleichwertig behandelt werden und einen Ausweg suchen. Dass diese Menschen verzweifelt seien, erkenne man daran, dass sie in Gegenden und zu Menschen aufbrechen, die sie nicht kennen und deren Sprache sie nicht sprechen, obwohl doch die meisten viel lieber in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Europa sollte in der Entwicklungszusammenarbeit den Fokus auf die Beseitigung der Ungleichheit legen, nicht nur schmerzlindernde Symptombekämpfung betreiben. Ungleichheit ortet die Äthiopierin auf vielen Gebieten. Viele Menschen müssten es erleben, dass ihre Würde und ihre Menschenrechte weniger geachtet werden, weil sie Frauen oder Personen mit Behinderung seien oder etwa aus sozialen oder religiösen Gründen.
"Die Migration ist die größte ethische Frage des 21. Jahrhunderts", erklärte Paul Dujardin, Direktor des Brüsseler Kulturzentrums Palais des Beaux-Arts (Bozar). Er sieht das Problem als große Herausforderung, vor allem für die Solidarität zwischen Europa und Afrika. Die Ungleichheit in unserer Gesellschaft sei von großem Einfluss auf die gegenwärtigen Krisen. Dujardin hält Empathie und Bildung für wichtige Faktoren. Er stellt sich auch die Frage, "wie Künstler in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen können".
Daran knüpft Franz Fischler an, der betont, dass in Alpbach heuer 32 Kulturbeiträge, darunter etliche Ausstellungen, auf dem Programm stehen. "Es geht uns um den Dialog zwischen Künstlern, Bürgern und Entscheidungsträgern. Gerade in unserer komplexen Welt kann die Denkweise von Künstlern helfen, die Probleme unserer Zeit besser zu lösen."
In Alpbach geht es nun mit der Seminarwoche los, bis 4. September folgen Symposien zu Gesundheit, Hochschulen, Recht, Technologie, Politik, Wirtschaft, Baukultur und Finanzmarkt.