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Festung Europa auf dem Prüfstand

Von Stefan Haderer

Gastkommentare
Stefan Haderer ist Kulturanthropologe und Politikwissenschafter.

Der Westen hat bisher nur darüber nachgedacht, wie man die arabischen Machthaber stürzt. Nun sollte man endlich auch an die Flüchtlinge denken.


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Die arabischen Revolutionen haben die meisten davon betroffenen Nationalstaaten in Krisenherde verwandelt. In Ägypten sind es vor allem christliche Kopten, die sich von der Macht der Islamisten bedroht fühlen und fliehen. Der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien hat dazu geführt, dass laut Schätzungen des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR bis zu 5000 Menschen täglich ihre Heimat verlassen - insgesamt sind das weit mehr als zwei Millionen Flüchtlinge. Inzwischen ist die italienische Insel Lampedusa nach einem Schiffsunglück mit hunderten Toten wieder in die Schlagzeilen geraten. Vor allem in Deutschland debattiert man heftig über die "Aufnahmekapazität" für arabische Flüchtlinge.

Eine effiziente Flüchtlingspolitik innerhalb der Europäischen Union wird immer notwendiger, doch Regierungen und Politiker scheinen mit dieser Frage überfordert. Bisher hat sich der Westen hauptsächlich darauf konzentriert, in Ungnade gefallene Machthaber - und damit die gesamte Zivilbevölkerung der betroffenen Staaten - mit Sanktionen abzustrafen. Gleichzeitig feilte man an mehr oder minder erfolgreichen Plänen für demokratischere Übergangsregierungen für die "Zeit danach".

Wie Regierungen aber in Zukunft mit der anhaltenden Flüchtlingswelle aus Syrien, Libyen und Ägypten umgehen wollen, darüber äußern sich Politiker nur verhalten. So etwa Außenminister Michael Spindelegger, der sich bereit erklärte, 500 Syrern christlicher Konfession Asyl zu gewähren. Den USA wurde im TV-Sender Al-Jazeera indes vorgeworfen, seit 2011 nur 90 syrische Flüchtlinge aufgenommen zu haben. Nicht nur die EU-Mitgliedstaaten, sondern auch Länder wie die USA, Russland und Saudi-Arabien, die als Akteure eigentlich direkt in die Kriege in Syrien und Libyen verwickelt sind, wollen so wenig Verantwortung wie möglich übernehmen. Bei Saudi-Arabien und Katar ist das vielleicht noch verständlich. Dort stellt man eben lieber befristete, halblegale Arbeitsverträge für die Entwicklung der Nationalökonomie aus, anstatt Flüchtlingen zu helfen, von denen man nicht weiß, wann sie wieder das Land verlassen werden.

In den USA, die viele "Green Cards" jährlich in der Lotterie verlosen, sorgt die Debatte bei vielen Menschen für Kopfschütteln. Doch auch die Europäische Union, die sich in so vielen Politikfeldern und Lebensbereichen für ein gemeinsames Handeln aller Mitgliedstaaten starkmacht, ist in der Flüchtlingsfrage ratlos. Starr halten die Nationalstaaten am Konzept der "Festung Europa" fest. Mit der Dublin-II-Verordnung, die seit 2003 in Kraft ist, hat man sich Vorposten an den Grenzen Europas geschaffen, denen jede Verwaltungskapazität abhandenkommt. Die Regelung besagt, dass jener Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, der die Einreise veranlasst oder nicht verhindert hat. Stattdessen will man die Grenzschutzagentur Frontex, die im Umgang mit Schiffbrüchigen so willfährig agiert wie ein Privatkonzern, ausbauen. Wäre es da nicht besser, Dublin-II zu überarbeiten und konstruktivere Lösungen vorzubringen?