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Ein Besuch bei den Mezcal-Brennern, die im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca den traditionellen Agaven-Schnaps herstellen.
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Augustín Güendulaín hat vor der weißgetünchten Kirche von Miahuatlán gewartet. Es ist neun Uhr früh und in den Gassen des Örtchens auf 1600 Metern hält sich eine schneidende Kühle. "Stärkung?", fragt Güendulaín und stoppt seinen klapprigen Ford-Pickup vor einem Verkaufsstand, schnappt sich eine Flasche Mezcal, schraubt sie auf: "Ein Tobalá", sagt er, "mit Chilischoten, gut am Morgen". Da hat er Recht, Wärme und Wachheit sind die unmittelbaren Effekte. Nach dem zweiten Gläschen setzt eine gewisse Heiterkeit ein.
"Wenn du unser Land verstehen willst, musst du Mezcal trinken", sagt Güendulaín. Er, von runder Statur, mit kleinen Augen, ortsüblichem Schnauzer und stattlicher Gürtelschnalle, ist keiner, der daherredet. Der 41-Jährige ist ein Maestro Mezcalero, Mezcal-Produzent in der fünften Generation. Mit acht wurden ihm erstmals die Lippen benetzt, mit elf Jahren half er seinem Vater den Stoff zu brennen, der heute eine ganze Region am Leben erhält. Mezcal: hochprozentiger Schnaps aus der Agave, die viele wegen ihres Aussehens für einen Kaktus halten, die aber ein Spargelgewächs ist; produziert von Familienbetrieben in der wüstenartigen Hochebene des mexikanischen Bundesstaats Oaxaca.
Reinheit und Stärke
Die Geschichte des Mezcal reicht mindestens 400 Jahre zurück. Das Wort stammt aus der Indianersprache Nahuatl und bedeutet: "im Ofen gekochte Agave". Schon vor der spanischen Eroberung vergoren die Völker Zentralmexikos den Saft der Pflanzen, die Europäer brachten die Technik des Destillierens mit. War der Mezcal danach jahrhundertelang als Schnaps der Armen verschrien, hat er sich im letzten Jahrzehnt zum Modegetränk entwickelt, auch international, insbesondere in den USA. Die Produktion nimmt stetig zu, immer mehr Marken drängen auf den Markt.
Seinen Erfolg verdankt er seinen vielfältigen Aromen, seiner kleinbäuerlichen Herkunft, seiner Reinheit und Stärke sowie dem Gerücht, er wirke ähnlich wie Absinth: bewusstseinsverändernd. Mekka der Mezcal-Fans ist der Bundesstaat Oaxaca mit seiner gleichnamigen Hauptstadt, einem der schönsten Kolonialorte Mexikos. Dort eröffnen Mezcalerias, Bars und Restaurants kreieren Mezcalcocktails, es finden Mezcalmessen und Feste statt. Gebrannt wird der Stoff indes immer noch in urigen, oft indianisch geprägten Dörfern. Es ist dieser erdige, manche sagen: mystische Charakter, der den Mezcal ausmacht.
"Mezcal wird handwerklich gemacht, oder es ist kein Mezcal", sagt Meister Agustín kategorisch. Und kommt auf ein weiteres heikles Thema zu sprechen: "Manche vergleichen Mezcal ja mit Tequila. Aber das sind zwei Welten." 2,5 Millionen Liter Mezcal füllen er und seine Kollegen jährlich ab, rund ein Prozent der Tequilaproduktion. Diese ist heute weitgehend automatisiert und in der Hand von Getränkekonzernen. Der wahre Mezcal hingegen wird von Kleinbauern wie Güendulaín in schweißtreibender, wochenlanger Handarbeit hergestellt.
Es ist also ein ungleicher Wettbewerb zwischen Mezcal und Tequila, und so seufzt der Maestro genervt, als uns auf der Fahrt zu seiner Destillerie 15 Kilometer außerhalb von Miahuatlán ein Lkw entgegenkommt, randvoll mit schweren Agavenherzen beladen. Güendulaín, der in seinem Leben noch nie Tequila getrunken hat ("wässriges Zeug für Schwächlinge"), sagt, dass der Truck den "Dieben aus Jalisco" gehöre.
Jalisco ist die Heimat der Tequila-Industrie, und weil dort die blauen Agaven knapp geworden sind - einziger zulässiger Tequila-Rohstoff -, kaufen die Firmen nun die Felder Oaxacas leer. "Sie zahlen dreimal höhere Preise als wir", sagt Güendulaín. "Sie wissen, dass sie uns so erledigen, aber das ist ihnen recht. Sie wollen mit dem Mezcal Schluss machen. Wir sind ihnen zu gefährlich geworden." Rund um Mihuatlán herrscht Krieg um die Agave.
Kurioserweise haben auch diesmal die scheinbar Schwächeren einen Trumpf: Mezcal-Produzenten sind nicht von einer Agavenart abhängig. Mezcal kann aus mehr als 30 magueys hergestellt werden, wie Agave auf Spanisch heißt. Diese wachsen oft wild, haben charakteristische Aromen, tragen schöne, teils indianische Namen: Papalometl, Tepextate, Tobaziche, Tobalá. Ihr Nachteil: Sie sind rar, brauchen lange bis zur Reife und sind schwer zu kultivieren. Die Mezcalherstellung ist ein Generationenprojekt.
Kurz darauf passiert Güendulaín mit seinem Wagen einen Torbogen: "Willkommen in San Luis Amatlán - Wiege des guten Mezcal." Das Dorf inmitten einer grüngelb schimmernden Berglandschaft ist Heimat gleich mehrerer Schnapsbrennereien. Die von Agustín Güendulaín könnte die Kulisse für einen Spaghettiwestern sein: ein Haus aus Feldsteinen, das Dach aus alten verrutschten Ziegeln, daneben ein Mühlstein, drum herum staubige Felder, auf denen glotzende Ziegen stehen, alles in das gleißende Licht der Wüstensonne getaucht.
Kaum ausgestiegen, läuft Güendulaín zu einem mannshohen Erdhaufen. Er steckt seine Hand hinein, zieht sie nach einigen Sekunden zurück. "Alles gut", sagt er, "die Temperatur stimmt! Noch einen Tag."
Das Herz der Agave
Wenn sie blüht, wird der Agave die Blüte genommen. Die Pflanze soll ihren Zucker bei sich behalten. Wenn sie reif ist, schlägt man ihr die harten, wachsartigen Blätter ab. Übrig bleibt das Herz. Güendulaín und seine Kollegen nennen es piña, Ananas, weil es genauso aussieht, allerdings viel größer ist. Das Herz einer durchschnittlichen Agave, eigentlich ihre Wurzel, wiegt zwischen 50 und 100 Kilo. Mit scharfen Lanzen wird es aus dem Boden gehebelt. "Aus zehn Kilo Agavenherz machen wir einen Liter Mezcal", sagt Güendulaín. 200 Kilo seien das Minimum für eine Destillation, aber er fange bei einer Tonne an.
Es wird eine Grube gegraben, Pinienholz wird entzündet, Feldsteine, wenn möglich vulkanischen Ursprungs werden darein gelegt. Wenn sie glühend heiß sind, werden sie mit Agavenfasern bedeckt, dann die geteilten oder geviertelten Agavenherzen darüber geschichtet. Den Scheiterhaufen bedeckt Meister Güendulaín meterdick mit Erde, es darf kein Sauerstoff eindringen und keine Hitze entweichen. Der Mezcal erhält so seine rauchige Note.
Nach rund fünf Tagen gräbt Güendulaín die gegarten Herzen wieder aus. Ein Muli zieht einen Mühlstein, der die weichen Herzen zermalmt. Ihre faserigen Reste werden anschließend in große Holzfässer mit warmem Wasser geschichtet. Die Fermentierung beginnt.
Meister Güendulaín schaut in ein Fass, randvoll mit einer unappetitlich braungelben Masse, die einen süßlich-vergorenen Geruch absondert. Im Innern rumort es, auf der Oberfläche haben sich Blasen gebildet. Sie zeigen an, die erste Etappe der Fermentierung ist abgeschlossen. Nun wird Güendulaín kaltes Wasser hinzugeben, um die Fermentierung zu entschleunigen, er wird den Brei mit einem langen Stock umrühren, um im ganzen Fass eine gleichmäßige Gärung zu erzielen. Und dann wird er wieder warten, so wie die Mezcalherstellung ohnehin viel aus Warten besteht.
Plötzlich lehnt ein Mann mit Schnauzbart, Stiefeln und Cowboyhut am Mühlstein. Toribio Güendulaín, Augustíns Vater. Er wolle nach dem Rechten sehen, sagt er, geht mit seinem Sohn in einen Schuppen. Auf einem kleinen Altar steht ein Krug, darüber ist ein vergilbtes Bild der Jungfrau von Juquila angebracht, so etwas wie die Schutzheilige der Mezcalhersteller.
Der alte Güendulaín nimmt einen hohlen Bambusstab und saugt Mezcal aus einem Kanister an, lässt ihn dann in eine Schale laufen. Anhand der Blasen, die sich bilden, liest er den Alkoholgrad ab. Die erste Destillation sei immer sehr hochprozentig, sie werde mit der zweiten oder dritten vermischt, um die optimale Prozentzahl zu erzielen. Aber unter 45 Prozent perle das Getränk nicht mehr richtig und bei den lächerlichen 38 Grad des Tequilas schon gar nicht. El perlado sei mithin ein wichtiges Merkmal für den Novizen, um einen guten Mezcal zu erkennen.
Die Vielfalt der Sorten
Dann wird getrunken: Tobaziche. Nicht in einem Zug heruntergestürzt, sondern erst gerochen dann geschlürft, wie guter Wein und Kaffee. Toribio sagt, er könne jeden Mezcal am Geschmack erkennen. Der eine schmecke zitroniger, der andere erdiger, der nächste blumiger, der übernächste nach Pinien. Dieser hier schmecke ganz klar nach wilden Gräsern - und als er das sagt, schmeckt man es auch.
Die Destillierungsanlage der Güendulaíns ist klassisch aufgebaut. Die relativ kleinen, in Ton eingemauerten Kupferkessel werden zu zwei Dritteln mit der vergorenen Flüssigkeit, el tepache, gefüllt und zu einem Drittel mit Agavenfasern, el bagazo. Die Kessel müssen zuvor mit Nopal ausgekocht werden, dem Nationalkaktus Mexikos. "Dient der Reinigung, gibt einen super Mezcal", sagt Güendulaín Senior. Unter den Kesseln wird Feuer gemacht. Der Alkohol verdampft bei 78 Grad über Metallröhren, die schließlich über wassergekühlte Spiralen auslaufen, in denen der Alkohol kondensiert und in feinem Strahl in ein Tongefäß läuft.
Mittagszeit. Wir fahren zum nahen Haus der Familie. Ein Pferdekarren steht im Hof, Hunde kläffen, Hühner flattern. Die Küche ist in einem separaten Gebäude aus Lehm und Stroh untergebracht. Vater Güendulaín setzt einen Topf mit Hühnersuppe auf, stellt Chilis, Limonen und Koriander auf den Tisch. Eine Flasche Mezcal kommt hinzu: Pechuga, etwas ganz Feines. "Er lag mit Ananas, Bananen, Äpfeln, Zimt, Anis, Trauben, Mandeln, Orangenschalen sowie der Brust eines Huhns ein", erklären die Mezcal-Meister.
Und wie man so in der schummrigen Küche sitzt, der Rauch des Ofens seinen angenehmen Duft verbreitet, die Suppe kocht und man mit den Güendulaíns auf die Revolution, die mexikanischen Frauen und Sebastian Schweinsteiger anstößt, verschwimmen allmählich Zeit und Raum um einen herum. "Im Mezcal steckt unsere Geschichte", sagt der junge Güendulaín, "unsere Identität".
Philipp Lichterbeck, geboren 1972, lebt in Rio de Janeiro und arbeitet als Journalist für verschiedene deutschsprachige Printmedien.